Süddeutsche Zeitung

Russen im Wintersport:Der lustfeindliche Westen

Michail Prochorow, einer der reichsten Männer Russlands, versteht die Welt nicht mehr: Der Westen spreche immer gleich von Orgien, wenn sich die Russen mal amüsieren.

Daniel Brössler

Weil ihn die französische Polizei über Orgien in einem Skiort befragte, sieht sich ein Milliardär als Opfer des lustfeindlichen Westens. Michail Prochorow ist ein Mann mit Prinzipien. Zum Beispiel redet er, wenn es sich vermeiden lässt, nicht mit Journalisten. Er weiß: "Geld liebt die Stille."

Und was Geld betrifft, so hat Prochorow davon eine Menge. Das Wirtschaftsmagazin Forbes taxiert das Vermögen des 41-jährigen Russen auf 6,4 Milliarden Dollar.

Unerfreuliche Umstände haben den Mann aus der Gold- und Nickelbranche nun doch gezwungen, mit seinem Grundsatz zu brechen.

Am Dienstag erschien im russischen Massenblatt Komsomolskaja Prawda ein Interview mit Prochorow, der sich gezwungen sieht, seinen Ruf zu verteidigen. Im Westen werde gleich von Orgien gesprochen, erläutert er, wenn es doch um "die traditionelle Liebe der Russen zu schönen und lebhaften Festen und die Fähigkeit, sich zu vergnügen" gehe.

Und: "Die Schönheit unserer Frauen, die sich sexy und modisch zu kleiden wissen, gibt niemandem das Recht, sie Prostituierte zu nennen."

Es sind vor kurzem im noblen französischen Skiort Courchevel nämlich Dinge vorgefallen, die der Reputation eines Geschäftsmannes nicht zuträglich sind und die zu tun haben mit lebhaften Festen sowie sexy gekleideten Frauen.

Am 9. Januar, eisgekühlter Wodka und Champagner flossen gerade in Strömen, platzen 50 französische Polizisten in eine geschlossene Gesellschaft. Bei der Razzia nahmen die Beamten 26 Personen fest, darunter Prochorow, einige seiner Freunde und mehrere junge Russinnen. Die Polizisten gingen dem Verdacht nach, die Damen gehörten zu einem illegalen Callgirl-Ring.

Prochorow, einer der reichsten Männer Russlands, musste sich einen Kurzaufenthalt in einem Untersuchungsgefängnis und Fragen der Ermittler nach seiner Rolle in einem möglichen Fall von Menschenschmuggel und Prostitution gefallen lassen. Erbracht hat das offenbar nichts, denn am 12. Januar wurde Prochorow freigelassen.

"Weiß der Teufel, wessen die mich da beschuldigten", empört er sich nun. Der Milliardär sieht sich als Opfer einer anti-russischen Stimmung in Westeuropa: "Im Ausland wird das Auftauchen freier, unabhängiger, gut gebildeter, selbstbewusster Russen leider mit Erstaunen, Neid und Aggression aufgenommen." In Courchevel sei nichts vorgefallen, was gegen die Moral verstoße - wobei der Junggeselle über die aus Russland eingeflogenen Damen, ganz Gentlemen, keine näheren Angaben macht.

Dafür erläutert er, warum Spaß sein muss: "Nach Jahren der Erniedrigungen und Tragödien haben die Russen ein Anrecht auf ein schönes und fröhliches Leben." Leider, so räumt er ein, "können sich das nicht alle leisten. Aber es werden immer mehr."

Die Hoteliers von Courchevel fürchten nun, die Russen könnten ihrem schönen Leben künftig anderswo frönen. Viele Oligarchen würden dem Ort die Treue halten, mutmaßen indes russische Tourismus-Fachleute. St. Moritz sei eben zu konservativ, verriet eine Expertin im Reiseprogramm des Radiosenders Echo Moskwy: "Da kann man im Bademantel nicht zum Abendessen erscheinen."

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Quelle:
SZ vom 24.1.2006
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