Rückzugsorte:Kurz mal abtauchen

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Manchmal genügt eine ausgiebige Dusche, um die Gedanken frei zu bekommen. Zeit im Bad - ist Auszeit und Wohlgefallen eines jeden - so scheint es. (Foto: Getty Images)

Wenn Männer ihre Ruhe wollen, gehen sie aufs Klo. Frauen gehen in die Badewanne. Warum eigentlich nie andersrum?

Von Tanja Rest

Sagen wir: einer dieser bösen Tage. Morgens Kindergeschrei, Streit, Nervenzusammenbruch. Spurt in die Arbeit. Kollegengeschrei, Termingeklingel, Unterwassergefühl. Spurt nach Hause. Kindergeschrei, Streit, Nervenzusammenbruch.

Was braucht der Mensch in diesem Moment? Oh ja, erbraucht einen Rückzugsort.In einer idealen Welt gäbe es nicht nur einen gesetzlich garantierten Krippenplatz für Kinder, sondern auch einen gesetzlich garantierten Rückzugsort für Eltern, einklagbar beim Bundesfamilienministerium, weshalb Wohnungen für Familien nur noch in der Minimalversion 3ZKB-R auf den Markt kommen dürften. In einer defizitären Welt gibt es dagegen zwei ab-schließbare Räume: Badezimmer und Toilette. Und da sitzen wir dann.

Das heißt, die einen von uns sitzen, während die anderen liegen, sauber nach Geschlechtern getrennt. Wer hätte gedacht, dass Rückzugsorte ein Fall für die Genderforschung sind?

Am späten Ende dieses bösen Tages nämlich hocken die Väter auf dem Klo, während die Mütter in der heißen Wanne floaten. Das ist erst mal eine gute Sache, weil sie sich da nicht in die Quere kommen. Rückzug innerhalb der Familie heißt ja nicht nur, die geliebten kleinen Pestbazillen auszusperren, sondern auch, den geliebten großen Bazillus namens Partner eine Zeit lang nicht sehen zu müssen.

Aber warum nicht andersrum - also sie auf dem Klo und er in der Wanne? Ist das genetisch oder gelernt? Und, nicht zu vergessen: Funktioniert es denn?

Für Frauen ist das schon mal irre leicht zu beantworten. Seit langer Zeit sind sie die Zielscheibe von pastellfarbenen Bilderwelten, die mit pastellfarbenen Adjektiven betextet werden: "flauschig", "kuschelig", "mollig", "duftend" - allesamt Wörter, für die es in Männermagazinen zu Recht auf die Fresse gäbe. Eine Frau, die mit geschlossenen Augen in einer Schaumwolke liegt, während auf dem Badewannenrand drei Aromakerzen, ein Gläschen Chardonnay und ein paar Rosenblätter ästhetisch ansprechend drapiert sind, ist in einer solchen Bilderwelt verpflichtend vorgeschrieben.

Das Versprechen dieser Gesamtkomposition geht über einen bloßen Rückzug - Tür zu, Riegel vor, gut ist - weit hinaus. Es läuft auf nichts Geringeres als Entspannung hinaus, ein Begriff, für den sich die Wellnessindustrie schon vor Jahrzehnten das Copyright gesichert hat, wie übrigens auch für die Chiffre Ich-tu-mir-was-Gutes. Das "Tun" deutet es schon an: Der Rückzug allein genügt hier nicht, es muss noch etwas hinzukommen, bis das Ziel, die Entspannung, erreicht ist. Es geht also streng genommen schon wieder um Leistung.

Bezeichnenderweise berichten Frauen von ihren Abenden in der heißen Wanne mit der atemlosen und immer etwas schrillen Stimme von Grundschülern, die in der Schule ein Fleißkärtchen bekommen haben und jetzt von Mami gelobt werden wollen: "Und dann hab ich mich noch eine Stunde in die Wanne gelegt ... Musik ... Badesalz ... es tat ja so guuut!"

Wenn die Frau nach einer Stunde aus der Badewanne wieder herausfloatet, wild entschlossen, die Entspannung jetzt erreicht zu haben, wenn sie im Anschluss noch ganz relaxt die Beine rasiert, Gesichtscreme, Bodylotion und eine pflegende Haarmaske aufträgt, läutet draußen hundertprozentig das Telefon, und das Kind geht ran. "Der Papa sitzt aufm Klo", sagt das Kind. In der Tat, das tut er. Immer noch. Wie man ja insgesamt einräumen muss: Es ist die überlegene Variante.

Kein Männerheft käme auf die Idee, seinen Lesern die Toilette als etwas anderes zu verkaufen als das, was sie ist: Klo und Waschbecken auf eineinhalb gekachelten Quadratmetern. Kein Mann käme auf die Idee, seinem Kumpel abends beim Bier zu erzählen: "Furchtbarer Tag gestern, aber als ich erst mal auf dem Klo saß, du, das war super!"

Ein auf dem Klo sitzender Mann sitzt da mit der seligen Selbstvergessenheit eines Zweieinhalbjährigen in der analen Phase. Er denkt nichts, muss nichts und will nichts als seine Ruhe. Währenddessen liest er Zeitung, die ADAC Motorwelt oder er spielt ein paar Partien Blitzschach auf dem Handy.

Dabei entwickelt er Sitzfleisch im Sinne des Wortes. Gefühlte Wahrheit: Es wird Nacht, es wird Tag, der Nachmittag empfängt den Abend, der Mann sitzt immer noch. Würde man ihn hinterher fragen, ob er jetzt entspannt sei, er wäre verblüfft.

Das Phänomen des auf dem Klo sitzenden Mannes treibt Frauen zuverlässig in den Wahnsinn. "Immer", sagen die Frauen, "immer hockst du auf dem Klo!" Da spricht natürlich der Neid. Dass einer so wenig braucht, um Kindergeschrei, Kollegengeschrei, Termingeklingel einfach hinter sich zu lassen. Dass einer auf dem Affenfelsen der Kloschüssel immer noch hockt, während die Frau, zu Tode erschöpft von der Entspannungsanstrengung, längst schon wieder den aromatisierten Schaumfluten entstiegen ist und den Kindern zum achtzigsten Mal ein-gebimbst hat, sie sollen am Telefon nicht immer sagen, der Papi sei auf dem Klo.

Ist das nicht eine unglaubliche Frechheit? Vielleicht sollten es die Frauen einfach auch mal versuchen. Also Toilette. Tür zu, Riegel vor, gut ist. Für den Anfang dürften sie Duftkerzen und Rosenblätter auch mitnehmen.

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