Rückschau:Der Ganzkörper-Schnurrbart

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Einst der bestbezahlte Schauspieler Hollywoods: Burt Reynolds (1936 – 2018).

(Foto: imago/ZUMA Press)

Eine Erinnerung an Burt Reynolds, der in den USA einmal tagelang die Telefonrechnungen aller Studenten bezahlte.

Von Willi Winkler

Im Herbst 1981 verbreitete sich auf dem Campus der Washington University in St. Louis das Gerücht, dass man auf Kosten von Burt Reynolds umsonst Ferngespräche führen könne. Wirklich? Umsonst? Noch bevor "E. T." ins Kino kam, der in einer kalifornischen Vorstadt nur landete, weil er so schnell wie möglich wieder weg musste, wollten wir doch alle hin und wieder nach Hause telefonieren, aber es war sehr teuer. Die spanndicke Sonntagsausgabe der New York Times kostete damals einen Dollar, aber ein Dreieinhalb-Minuten-Gespräch nach Deutschland ungefähr fünfzehn Dollar.

Jeder Amerikaner ist von Geburt an antiautoritär, wenn ihm nichts dazwischenkommt

Irgendjemand hatte einen Fernseher und gehört, wie Burt Reynolds die Nummer seiner Kreditkarte bekannt gab und sagte, die solle man angeben, und er würde drei Tage lang die Kosten für sämtliche Ferngespräche übernehmen. "Für alle?" fragte der Entertainer, bei dem er zu Gast war. "Für alle", erwiderte er und lachte das berühmte Burt-Reynolds-Lachen.

Er war damals der bestbezahlte Schauspieler Amerikas, also wahrscheinlich der ganzen Welt, und tatsächlich so etwas wie ein Volksheld. Sein Film "Smokey and the Bandit" (auf Deutsch etwas pleonastisch "Ein ausgekochtes Schlitzohr") hatte bei Produktionskosten von 4,3 Millionen dreihundert Millionen Dollar eingespielt. Zuletzt hatte "Easy Rider" eine so günstige Bilanz erzielt und einen ähnlichen Nerv getroffen. Wenn ihm nicht der Patriotismus oder sonst ein Rassismus dazwischenkommt, ist jeder Amerikaner von Geburt an antiautoritär. Peter Fonda und Dennis Hopper feierten die Freiheit der Landstraße und das gute Marihuana und starben am Schluss auch noch den Märtyrertod durch widerliche Rednecks in den Südstaaten. Burt Reynolds hielt es mit der klassischen Droge, mit dem guten Bier, das am Sheriff vorbei kistenweise über die Grenze geschmuggelt werden muss. Anders als in "Easy Rider" gewinnt aber der Freibeuter, und zur Freude der Hippies wie der Rednecks wird der Sheriff von Burt Reynolds nach Strich und Faden verarscht.

Als er vor ein paar Tagen starb, wurde wieder alles gesagt und geschrieben über diesen proletarischen Helden: dass man zu seiner Zeit noch ohne schlechtes Gewissen saufen und rauchen konnte, dass mit ihm das Autofahren noch Spaß machte und kein Öko-Verbrechen war, dass er beim Frauenabschleppen diese dreiviertelseidene Eleganz entfalten konnte, ohne dass sich sogleich das #metoo-Schreckgespenst erhoben hätte. Und dann dieser Urwald auf seiner Brust!

Er hatte viel Geld durchgebracht, einiges verspekuliert, manches auch redlich versoffen

Als sich Clark Gable in dem Film "Es geschah in einer Nacht" (1934) das Hemd auszog und alle sehen konnten, dass er nichts drunter trug, soll der Umsatz von Herrenunterhemden um ein glattes Drittel eingebrochen sein. Als Reynolds sich 1972 für Cosmopolitan auszog und den schwarzen Teppich enthüllte, der seinen Oberkörper bekleidete, fanden Haarwässer in jeder Preisklasse reißenden Absatz. Solche Haare, so viel Haare auf der Brust wollte dann jeder haben. Es war wie gesagt im vorigen Jahrhundert, das Neandertal lag noch näher als Bibis Beauty-Palace, epilieren war ein Wort in einer fremden Sprache, die allenfalls Frauen beherrschten, und die wollten doch nichts lieber, als sich in diesen herb-männlichen Dschungel hineinzukuscheln.

Überhaupt dieser Schnurrbart! Burt Reynolds konnte ihn tragen, ohne gleich wie ein Pornoproduzent auszusehen, den er später in "Boogie Nights" tatsächlich spielte. Es wäre völlig sinnlos gewesen, sich bei ihm über den allgegenwärtigen Machismo zu ereifern; bei diesem phallischsten Oberlippengestrüpp seit Groucho Marx konnte niemand im Zweifel sein, woran sie mit ihm war. Er war Burt Reynolds, also Ganzkörper-Schnurrbart, sollte er sich etwa dafür entschuldigen?

Die Rollen wurden später schlechter, vor allem seltener, Reynolds hatte viel Geld durchgebracht, einiges verspekuliert, manches auch redlich versoffen und verraucht, und geriet mehrfach in die Nähe des Bankrotts. Ich weiß auch, warum. Das Gerücht war kein Gerücht. Wer im Oktober 1981 am Münzfernsprecher von Southern Bell den Operator in der Leitung hatte und auf Nachfrage die fünfzehnstellige Nummer eingab, die Reynolds genannt hatte, konnte tatsächlich überallhin telefonieren. Die anderen Austauschstudenten machten es wie ich und meldeten sich bei den Lieben daheim, in Argentinien, Indien, Ghana, Italien, England. Für 72 Stunden war jedes Telefon in den umliegenden Vierteln in University City, Clayton und Delmar besetzt, alle telefonierten auf Kosten von Burt Reynolds und ruinierten ihn nach Cent und Dollar.

Später blieben die Angebote aus. Einmal musste er - er, Burt Reynolds der Große! - sogar zum Vorsprechen, als er sich für eine Rolle bewarb. Aber was blieb ihm übrig, er hatte ja kein Geld mehr. Dabei war er neben Schnurrbart und Brusthaar und dem Trans Am, in dem er im Film herumfuhr, auch noch ein grandioser Schauspieler. In einem Gastauftritt bei den "Golden Girls" spielte Burt Reynolds Burt Reynolds, der sich mit der Alten, mit Sophia, angefreundet hat und verspricht, die anderen Girls am nächsten Tag in ihrem Haus zu besuchen. Die glauben nicht, dass Sophia tatsächlich den Abend mit Burt Reynolds verbracht haben soll - die Alte erzählt doch immer Geschichten, die sie nicht mal selber glaubt! Es ist aber kein Gerücht. Es klingelt, er steht tatsächlich in der Tür, fragt Sophia: "Wer ist die Schlampe?", und bei allen drei leicht überjährigen Mädchen schnellt die rechte Hand in die Höhe. So war er.

Danke für das Ferngespräch damals, Burt Reynolds!

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