Süddeutsche Zeitung

Rudi Assauer hat Alzheimer:Mehr als eine Krankheit

Lesezeit: 3 Min.

Der ehemalige Fußballmanager Rudi Assauer macht in seiner Autobiographie seine Alzheimer-Erkrankung öffentlich - und führt uns damit vor Augen, dass diese Krankheit jeden treffen kann. Das ist wichtig, denn die Gesellschaft ignoriert die Erkrankung, für die es bis heute kein Heilmittel gibt, noch immer. Aus Angst.

Charlotte Frank

Definiert man Männlichkeit einmal ganz klassisch, entlang der Ideale Fußball, Frauen und Zigarren, so war der Schalke-Manager Rudi Assauer Zeit seines öffentlichen Wirkens wohl das, was viele Deutsche unter einem "echten Mann" verstehen: Einer, der Kraft und Sportlichkeit ausstrahlte, der sich mit schönen Frauen umgab, der sein Macho-Image vor sich hertrug und verbal kräftig zulangen konnte. In dieses Bild passt kaum, was dieser Tage über Assauer zu lesen ist: Ausgerechnet er leidet unter Alzheimer.

Darüber schreibt Assauer in seiner Autobiographie, die schon vor ihrem Erscheinen an diesem Donnerstag viel Aufsehen erregt hat - und das wohl weniger, weil sich die Deutschen plötzlich so sehr für einen alternden Fußballmanager interessieren, als deshalb, weil Assauers Drama ihnen in aller Härte vor Augen führt: Diese Krankheit kann jeden treffen. Selbst die ganz Starken, selbst die ganz Reichen. Niemand ist vor Alzheimer sicher. Und niemand weiß, wie man sich davor schützt.

Deshalb schauen die Deutschen am liebsten weg von der Krankheit, wenden sich mit Gruseln ab - und wenn sie alle paar Jahre doch gezwungen werden hinzuschauen, weil ein Rudi Assauer erkrankt oder ein Gunter Sachs oder Walter Jens, dann reagieren sie schockiert - als wären nicht längst mehr als 1,3 Millionen Deutsche von Alzheimer und anderen Formen der Demenz betroffen; als wüsste nicht jeder, dass nur Hinschauen hilft, um diesen Menschen zu helfen.

Doch zum Hinschauen reicht oft der Mut nicht: denn Alzheimer ist in der Wahrnehmung der Deutschen längst mehr als eine Krankheit. Es ist die Summe aller Horrorvorstellungen, die wir uns vom Alter ausmalen: eine Addition aus Hilfsbedürftigkeit, Einsamkeit und Windeln, aus Furcht davor, ohne Hose durchs Treppenhaus zu irren, davor, im eigenen Bett fixiert zu werden, davor, abhängig zu sein und ertragen statt geliebt zu werden. Alzheimer ist zu einem Synonym geworden für die Urangst, das Letzte zu verlieren, was uns im Leben bleibt: das eigene Ich.

Und wie um diese Machtlosigkeit noch zu persiflieren, gibt es bis heute keine Arznei, die Alzheimer heilen könnte. Keine Impfung vermag die Krankheit zu verhindern, kein tägliches Kreuzworträtsel-Lösen oder Gehirnjogging. Heißt es am einen Tag, Vitamine seien die beste Vorbeugung, so wird am nächsten Tag möglichst viel Bewegung oder möglichst wenig Chemie als Mittel der Wahl gepriesen.

Doch dass auch nur eine dieser Empfehlungen Alzheimer wirklich abwendet oder auch nur verlangsamt, ist nicht belegt. Der Mensch ist ausgeliefert. Auf diesen ungewohnt primitiven Zustand reagiert die überversorgte Gesellschaft, die sich doch sonst auf dem Weg ins hohe Alter von der Natur nichts bieten lassen muss, so primitiv sie nur kann: nichts hören, nichts sehen, nichts sagen.

Verwirrte alte Menschen werden ins Heim abgeschoben oder der Obhut ihrer überforderten Angehörigen überlassen, die in Deutschland auf viel zu wenig Hilfe zählen können. Das ist empörend. Doch kaum einer empört sich. So war auch das Interesse mäßig, als im vergangenen Jahr mit viel Wirbel endlich Abhilfe angekündigt wurde: Nach Jahren des Stillstands, so rühmte sich das zuständige FDP-Gesundheitsministerium, wollte man dafür sorgen, die Dementen und ihre Familien endlich besserzustellen. Alles, was dann passierte, war ein lächerliches Feilschen, ein Verschieben und Verzögern. Zuetzt gab es ein paar lauwarme Versprechen. Die Erregung darüber fiel so mau aus wie die politischen Zusagen.

Über so viel Ignoranz kann sich die Politik nur freuen, von der jeder Handlungsdruck genommen wird. Warum in so einem aufreibenden, teuren Bereich Augen, Ohren und Mund öffnen, wenn es die Wähler gar nicht einfordern? Warum aufklären, integrieren und endlich die Hunderttausenden Dementen als Normalität einer alternden Gesellschaft begreifen, wenn das doch keiner verlangt? Die Angst vor dem Schreckgespenst Alzheimer ist tragisch, denn sie verhindert nicht nur das Hinschauen und das Fordern - sondern auch das Wissenwollen: So gibt es bis heute keine einheitliche Definition, was die Krankheit Alzheimer ausmacht.

Es gibt viel zu wenig Langzeitstudien, und keine systematische Sammlung aller Krankheitsfälle wie sie zum Beispiel das Krebsregister bietet. Dafür gibt es Fragen: Wer kann eigentlich genau erklären, wo die natürliche Grenze zwischen dem Verlauf von Alzheimer einerseits und dem normalen Alterungsprozess andererseits liegt? Wer kann erklären, was "geistiger Verfall" im Alter überhaupt meint? Wer kann erklären, warum sich ein Mensch wie Gunter Sachs das Leben nahm, nur weil er glaubte, an Alzheimer zu leiden?

"Der Verlust der geistigen Kontrolle über mein Leben wäre ein würdeloser Zustand, dem ich mich entschlossen habe, entschieden entgegenzutreten", schrieb Sachs damals im Abschiedsbrief. Dass ein Mensch so fühlt, mag man verstehen - dass er mit seiner Krankheit und seiner Furcht in Deutschland so alleingelassen wird, hingegen nicht. Es ist menschlich, dass die Menschen so große Angst vor Alzheimer haben. Sie machen aber einen furchtbaren Fehler, wenn sie deshalb versuchen, Alzheimer zu vergessen.

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Quelle:
SZ vom 02.02.2012
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