Frauen in Ruanda:"Die Welt gehört immer noch Männern"

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Anita Umutoni an ihrem Arbeitsplatz im Akagera-Nationalpark: Auch privat musste sie früh Verantwortung übernehmen - als Älteste von fünf Kindern. (Foto: Jan Schünke)

Anita Umutoni hat für ihren Traum gekämpft und leitet heute mit 30 Jahren eines der wenigen Luxuscamps in Ruanda. Im Interview spricht sie über die Geschichte des Landes, ihre Karriere und warum sie sich als Feministin versteht.

Interview von Lisa Frieda Cossham

Mehr als zwanzig Jahre ist der Krieg in Ruanda mittlerweile her, dennoch prägt der Völkermord dieses Land bis heute. Allein 1994 töteten Hutu annähernd 75 Prozent der Tutsi-Minderheit, schätzungsweise eine Million Menschen starben bei den Unruhen. Zehntausende Ruander verließen das Land. Mittlerweile kommen immer mehr Exilanten zurück. Anita Umutoni, 30, ist eine von ihnen. Sie leitet seit Mai das Magashi Camp, eine Lodge des Unternehmens Wilderness Safaris mit sechs Luxuszelten. Das Camp befindet sich im rund 900 Quadratkilometer großen Akagera-Nationalpark im Osten Ruandas, am Ufer des Rwanyakazinga-Sees, in dem 700 Nilpferde leben. Anita Umutoni könnte jedes einzelne von ihnen hochheben, so stark, entschlossen und doch heiter wirkt sie.

PLAN W: Frau Umutoni, welches Vorurteil über Ruanda beschäftigt Sie am meisten?

Anita Umutoni: Viele denken bis heute, hier sei Krieg, dabei haben wir uns längst dem Fortschritt geöffnet.

Das beste Beispiel hierfür ist Ihr Job: Sie leiten eines der wenigen Luxuscamps in Ruanda, mitten in der Wildnis. Wie ist es dazu gekommen?

Ich habe schon immer davon geträumt, eine Lodge zu managen. Angefangen habe ich als Zimmermädchen in einem Boutique-Hotel in Kigali, da war ich 20 und ging auf die Hotelfachschule. Ich wusste, wenn ich erfolgreich sein will im Hotelmanagement, dann muss ich mich in jedem Bereich gut auskennen. Ich stand dann bald hinter der Rezeption, wurde zur Empfangschefin befördert, schließlich zum Night Auditor. Die Schichten gingen von 23 bis acht Uhr morgens. Ich bin von dort dann direkt zur Schule gelaufen.

Was hat Sie dazu motiviert, so an Ihre Grenzen zu gehen?

Ich bin mit einer alleinerziehenden Mutter aufgewachsen und hatte früh Verantwortung. Das hat mich geprägt. Mein Vater ist gestorben, als ich acht war. Er ist nicht mal 40 Jahre alt geworden. Als Älteste von fünf Kindern habe ich beobachtet, wie hart meine Mutter gearbeitet hat, um uns zur Schule schicken zu können. Also habe ich früh entschieden, so viel zu verdienen, dass ich sie unterstützen kann.

Gab es keine Unterstützung vonseiten des Staats? Genau dafür wird doch der Präsident Paul Kagame gefeiert: dass er gezielt Armut bekämpft.

Heute, damals noch nicht. Nach dem Genozid war die Situation zunächst instabil. Ich bin in Kenia geboren und erst 1995 nach Ruanda gezogen. Meine Großeltern haben nach den Unruhen 1959 das Land verlassen, deshalb sind meine Eltern wie ich außerhalb Ruandas geboren und erst nach mehr als 30 Jahren zurückgekehrt.

Anita Umutoni braucht wenig Schlaf. Wer eine Karriere will, muss viele Kompromisse in Ruanda eingehen. (Foto: Jan Schünke)

Warum?

Kenia ist nie ihre Heimat geworden. Zu Hause haben mein Eltern Kinyarwanda gesprochen, sie waren stolz auf ihre Herkunft. Als sie sahen, dass Ruanda nun in guten Händen sein sollte, sind sie wie viele andere zurückgekehrt.

Konnte Ihre Mutter verstehen, warum Sie sich in eine Karriere gestürzt haben?

Nicht ganz. Sie hat nicht verstanden, warum ich plötzlich nachts arbeiten wollte. Aber ich musste das machen: Als Night Auditor habe ich viel über Finanzen gelernt. Ich habe Buchungen geprüft, Abrechnungen gemacht und nebenbei die Rezeptionsarbeiten erledigt. Wenn ich erschöpft war, habe ich mir vorgestellt, irgendwo auf der Welt ist gerade ein neuer Morgen, Menschen stehen auf und machen sich einen Tee.

Nach dem Genozid hat die Regierung Frauen besonders gefördert. In den ersten drei Jahren haben sich mehr als 15 000 Frauengruppen gebildet, da ist eine neue Lobby entstanden. Heute liegt der Frauenanteil im Parlament bei 61 Prozent. Haben Sie von dieser Bewegung profitiert?

Schon als Mädchen hatte ich das Gefühl, ich kann alles erreichen, wenn ich es will. Und das lag auch an der gesellschaftlichen Atmosphäre. Bevor ich auf die Hotelfachschule gegangen bin, habe ich eine Weile Biologie, Chemie und Mathe studiert. Für uns Studentinnen galten andere Regeln als für die männlichen Studenten. Brauchte man beispielsweise vier Punkte, um zugelassen zu werden, durften Frauen mit einer 3,7 oder 3,5 einsteigen. Auf diese Weise sollten wir ermutigt werden, Fächer zu wählen, die sonst nur Männer belegen.

Aber benachteiligt diese Regelung nicht die Männer?

Nein, die Welt gehört ja schließlich immer noch ihnen: It's a man's world. Es steht uns zwar frei, Bauingenieurin zu werden oder Maschinenbau zu studieren, als normal wird es nicht empfunden. Wir stehen, was die Gleichberechtigung betrifft, immer noch am Anfang. Und natürlich geht es leichter voran, wenn Frauen dazu ermutigt werden, andere Fächer als die üblichen zu studieren.

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Verstehen Sie sich selbst als Feministin, obwohl oder gerade weil Sie in Ihrem Leben als Frau gefördert werden?

Wenn Sie mit Feministin meinen, dass ich mich zur Anwältin derer mache, die nicht gehört werden: ja. Ich beobachte oft, dass alleinerziehende Mütter ausgenutzt werden. Sie werden nicht anständig bezahlt, ungewollt schwanger, ihnen mangelt es an Essen. Ich fühle mich dazu aufgerufen, sie auszubilden oder anderweitig zu unterstützen. Ihnen beizubringen, dass sie wertvoll sind und das Recht haben, für sich einzustehen. Missbrauch wird in Ruanda schnell und unbürokratisch geahndet. Aber es gibt Frauen, die aus Furcht und Scham schweigen.

Was fürchten Sie?

Darüber muss ich nachdenken (schweigt). Ich habe Angst zu versagen und bin sehr streng mit mir selbst. Wenn ich merke, dass mir etwas nicht gelungen ist, weil ich vielleicht müde war, dann zwinge ich mich zu mehr Schlaf. Ich bin kritischer mit mir selbst, als es je jemand anderes gewesen ist. Manchmal hilft mir Jazz in solchen Momenten.

Die Gespräche, die ich auf meiner Reise geführt habe, drehten sich immer auch um den Genozid, den alle Menschen unbedingt hinter sich lassen möchten. Hängt dieser Impuls mit Ihrem Karrierewillen zusammen?

Das ist unsere Form des Patriotismus, ja. Dieses Land hat viel durchgemacht und seine Vergangenheit hält uns dazu an, gemeinsam nach vorne zu gehen. In der Schule wurden wir in "Einheit und Versöhnung" unterrichtet. Die Lehrer haben uns erzählt, dass wir einander lieben und respektieren sollen. Als Kind verstand ich nicht, warum uns das beigebracht werden musste. Erst als ich älter wurde und erfahren habe, was passiert war, wurde klar, warum sie immer wiederholten: Wir sind verschieden und doch gleich. Meine Generation hat nie zwischen Hutu und Tutsi unterschieden. Dieser Krieg war ein Fehler unserer Eltern, dafür trage ich keine Verantwortung.

Als Deutsche habe ich schon das Gefühl, dass die Kriegsschuld meines Landes mir eine besondere Verantwortung abverlangt.

Ja, aber am Ende des Tages muss sich jeder vergeben. Bei uns war es anders als bei euch Deutschen: Die Ruander haben sich gegenseitig umgebracht. Dieses Drama ist allein unseres. Und da hilft es nicht, sich dafür selbst zu bestrafen. Wir müssen vorwärts denken. Und wenn ich mir anschaue, welche Fortschritte Ruanda im Vergleich zu unseren Nachbarländern in den vergangenen 35 Jahren gemacht hat, ist uns das gut gelungen.

© SZ PLAN W vom 28. September 2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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