Süddeutsche Zeitung

Romanows und Osmanen:Gipfel der Erbfeinde

In Istanbul treffen erstmals offiziell Angehörige der russischen Romanow-Familie auf die Osmanen. Als die Kapelle "Doktor Schiwago" spielt, gibt es kein Halten mehr.

Kai Strittmatter

An so einer Dynastie trägt es sich nicht leicht. Vor allem, wenn ihr Land und Volk verloren gingen. Wenn Zar und Sultan vom Thron gestoßen, exekutiert oder des Landes verwiesen und, vielleicht am schmerzlichsten, nach ein paar Jahren von ihrem Volk gar nicht vermisst werden. Die Romanows. Die Osmanen. Namen sind das schon. Die beiden also jetzt an einem Ort. Ein Wochenende lang. In Istanbul.

Der Topkapi-Palast. Noch so ein Name. Gehörte einmal den Osmanen. Ist auch schon fast ein Jahrhundert her. Wir eilen die Gänge entlang, ein einsamer Flurfeger in Sicht. "Verzeihung, hier muss doch eben eine Gruppe durchgekommen sein . . . Mitglieder der Familien Romanow und Osman." Ein müder Blick. "Romanows? Osmanen? Hä? Ich putze hier bloß."

"Rette sich wer kann, meine Liebe"

Ein paar Minuten später haben wir sie eingeholt. In der Kammer mit den Reliquien des Propheten Mohammed. Großfürstin Maria bewundert den Mantel und das in einem Glas fein aufgezogene Barthaar des Propheten. Ehrfüchtige Stille. Auf dem Weg war uns Hanzade Sultan entgegengeeilt, eine Enkelin des letzten Sultans (bei Frauen steht der Titel "Sultan" hinter dem Namen). Beim Vorübergehen hatte die Flüchtende ihrer Begleiterin zugeraunt: "Rette sich wer kann, meine Liebe."

Maria Wladimirowna Romanowa. Bei der Pressekonferenz gibt sich die Großfürstin alle Mühe. Sie fühle sich glücklich ob des Empfangs durch die Mitglieder des Hauses Osman. "Solche Treffen sind wichtig. Ein Land ohne Geschichte kann nicht in die Zukunft schreiten." Einer der osmanischen Prinzen ergreift das Wort: Er sagt, auch er empfinde heute große Ehre. "Weil ich Professor Ilber Ortayli kennenlernen darf".

Ilber Ortayli sitzt in der Mitte. Er ist heute der Herr des Topkapi-Palastes, sein Direktor. Und so viel mehr. Ortayli ist der große alte Herr und Star der türkischen Historiker. Kein Osmane, aber irgendwie adoptiert. Der zweite osmanische Prinz, bewundernd: "Er ist unser Augapfel." Dann spricht der Hausherr selbst. An die Großfürstin gewandt sagt Ilber Ortayli: "Den Besuch als eine Ehre für unseren Palast zu bezeichnen wäre zwar zu viel gesagt" - die vier Journalisten, die gekommen sind, halten den Atem an - "aber wir freuen uns." Es war wohl nicht zu erwarten, dass nach so viel unguter Zeit zwischen den beiden Herrscherhäusern sofort die Liebe vom Himmel regnet. Aber bis zum großen Ball am Abend sind es ja noch ein paar Stunden.

Das russische Zarenreich und der osmanische Sultansstaat. Praktisch vom ersten Augenblick an haben die beiden sich aneinander gerieben. Intrigen, Kriege, Eroberungen: Die Osmanen waren auf ihrem Höhepunkt angelangt, als die Russen gerade begannen, ihr Reich zu formen. 1783 verloren die Osmanen die Krim, am Ende ganze Teile Anatoliens an die Armeen der Romanows. Es wuchs eine Erbfeindschaft, dem Konflikt zwischen Deutschen und Franzosen nicht unähnlich.

Hinter aller Unbill witterten die Osmanen schließlich "Moskof", unter jedem Stein vermuteten sie den russischen Teufel. Den Zar Peter den Großen, Russlands großen Reformer, taten sie ab als "Deli Petro", als "verrückten Peter", statt ihm nachzueifern bei der Modernisierung ihres Landes. Am Ende erwischte es beide.

Der letzte Sultan Vahdettin kam zwar nicht vors Erschießungskommando wie Zar Nikolaus II, aber auch seine Familie zerstreute es, 1924 des Landes verwiesen, in alle Winde. Erst 1992 durfte wieder ein osmanischer Prinz türkischen Boden betreten. Und Kronprinz Osman Ertugrul erhielt erst 2004 einen türkischen Pass. Immerhin: Als er diesen September starb, erlaubte die Regierung sein Begräbnis in Istanbul.

Die Osmanen heute sind, gemessen am Hochadel anderswo, eine bescheidene Familie. Die türkische Republik war erstaunlich erfolgreich darin, die Erinnerung an ihre Vorgänger auszulöschen. In gewissem Sinne war Osman Ertugrul der letzte Osmane. Nach seinem Tod im September trat die bald 90-jährige Neslisah Sultan vor die Presse und erklärte die Dynastie für tot: "Wir sind nur mehr eine normale Familie".

Im Palast geboren

Das Wort der Prinzessin Neslisah hat besonderes Gewicht: Sie ist die letzte lebende Osmanin, die noch im Palast geboren wurde. Frauen aber durften bei den Osmanen nie auf den Thron. "Die meisten Türken haben ihre Osmanen ohnehin schon vergessen", sagt Erkan Murat. "Wir Türken lesen keine Geschichtsbücher." Erkan Murat macht Geschäfte mit Russland. Bau. Tourismus. Er hat den großen Ball organisiert. "Es ist ein historischer Moment", sagt er.

"Zum ersten Mal in der Geschichte treffen sich die beiden Familien offiziell."

Der Ball. Im russischen Konsulat. Erbaut 1845. Großer Spiegelsaal. Livrierte Diener mit Perücke. Man feiert den Geburtstag des Dichters Puschkin. "Ein großer Freund des Orients", sagt Organisator Murat. Man feiert aber vor allem Großfürstin Maria. Oder vielmehr "Ihre Majestät, Großfürstin Maria Wladimirowna Romanowa, Oberhaupt des Herrscherhauses des russischen Reiches". So wird sie ausgerufen, so steht das auf der Speisekarte.

Zuerst aber schwebt die Großfürstin ein, ihre imposante Erscheinung ganz in türkise Seide gehüllt. Zwei Hofdamen an ihrer Seite, das Dekolleté historisierend eingerahmt. Die Gäste stehen Spalier. Die Großfürstin lebt in Spanien und Frankreich. Natürlich stellen ihr andere Familienzweige nach mit wütenden Erklärungen, dass sie sich keinesfalls von ihr vertreten fühlten. Maria Wladimirowna hat aber, anders als die Osmanen, nie einen Zweifel daran gelassen, dass sie bereit steht, "dem Ruf des Volkes Folge zu leisten". So steht das tapfer auf ihrer Webseite, die als letzte Amtshandlung die Verleihung des "Reichsmilitärordens erster Klasse" an den AK-47-Erfinder Michail Kalaschnikow anlässlich dessen 90. Geburtstag vermeldet.

Edel sind auch die Sponsoren

Wie sich herausstellt, ist der Großfürstin Anwesenheit nicht nur getragen vom hehren Ziel der türkisch-russischen Versöhnung, sondern auch vom guten Willen einer Reihe zahlungskräftiger Firmen, die sie in ihrer Ansprache pflichtbewusst herunterbetet, bevor sie dann in vollendeter Demut die Reden der Sponsoren über sich ergehen lässt.

Ab und an ein ergebenes Nicken, das die Geschmeide an ihren Ohren erzittern lässt. Der Saal dankt den Herren ihren Edelmut derweil mit großzügigem Genuss des von ihnen finanzierten Champagners, und spätestens als das aus Moskau eingeflogene Orchester loslegt und ein russischer Ballettengel den Prinzen Osman zum Walzer nötigt, kann der Ball beginnen.

Es ist ein eigenartiges Fest, ein Ding zwischen Staatsakt und Kostümball. Es wird Monarchie gespielt, aber so richtig historisch ist nur wenigen zumute. Ja, es gibt Kronleuchter aus der Zarenzeit und Frauen, die ihrem Dekolleté mit chinesischen Fächern Kühlung zuwedeln; es gibt livrierte Diener, Pfauenfedern im Haar und Balalaikas auf der Bühne. Es gibt aber auch Schaschlikspieße mit Ketchup, hautenge Paillettenkleider zu hüfthohen Lackstiefeln, eine Menge Tattoos auf den freigelegten Schulterblättern und fröhliches Johlen und Kreischen, wenn die Kapelle zum Kosakentanz aufspielt.

Das Abendessen ist, nun ja, russisch. Die Kapelle spielt "Doktor Schiwago". Unser Tischnachbar ist Alexander Zakatow, Direktor des Kabinetts der Großfürstin, ein junger, freundlicher Mann. Er schwärmt von Konstantinopel, der heiligen Stadt, von der aus die byzantinischen Mönche Kyrill und Method den Slawen den orthodoxen Glauben gebracht hatten.

Eine große Familie

Ja, sagt er, natürlich glaube er an die Wiederkehr der Monarchie: "Die Geschichte verläuft in Zyklen, alles kehrt einmal zurück. Im Moment merken die Leute schon, dass die Republik nicht die ideale Staatsform ist. Es herrscht Krise, die Menschen sehnen sich nach Tradition." In der Monarchie seien Staat und Volk eine große Familie, anders als in der Republik. "Wie sagt unsere Großfürstin immer: Kein Mensch wird seine Familie durch seine Firma ersetzen wollen".

Die Romanowa ist noch immer mit ergebenem Lächeln beschäftigt: Ein Gast nach dem anderen zwängt sich grinsend neben sie und lässt sich vom winkenden Partner knipsen. Die Souvenirfürstin. Auf der Tanzfläche drehen sich derweil nicht mehr ganz standfest die kostümierten Saaldiener im Kreis, die eine Hand am eifrig nachgefüllten Champagnerglas, mit der anderen die Schweißtropfen unter der Perücke wegwischend, auch sie einander feixend fotografierend. Zuletzt spielt die Kapelle auf zur Polonaise, "Freundschaft!" befiehlt die Zeremonienmeisterin, die Menschen zerren aneinander, die Kapelle legt an Tempo zu, bis der Wurm sich unter jauchzenden Zuckungen auflöst und mitten drin, nun auch schon 69 Jahre alt, Prinz Osman Selahattin Osmanoglu, mit vor Vergnügen hochrotem Gesicht. Die Großfürstin ist da schon gegangen.

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Quelle:
SZ vom 14.12.2009/pfau
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