Marketing-Kampagne:Netflix sponsert Rom einen Weihnachtsbaum

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Der alljährliche Weihnachtsbaum am Kapitol. Im Hintergrund das Viktor-Emanuel-Denkmal. Das Foto zeigt den Vorjahresbaum, genannt "Spelacchio" - was sich mit "der Glatzköpfige" oder "der Gerupfte" übersetzen lässt. (Foto: Alberto Pizzoli/AFP)
  • Der italienischen Zeitung La Repubblica zufolge schenkt der Streaming-Anbieter Netflix Rom den diesjährigen Weihnachtsbaum.
  • Auf den Christbaumkugeln sollen Protagonisten aus Serien zu sehen sein.
  • Sollte man diese Art von Geldprasserei nicht wenigstens beim Weihnachtsfest einfach mal sein lassen?

Von Martin Zips

Netflix schenkt Rom einen Weihnachtsbaum. Für 376 000 Euro, so berichtet es die Zeitung La Repubblica, der Vertrag sei bereits unterschrieben. Auf 100 Christbaumkugeln sollen Protagonisten aus Serien des Videodienstes zu sehen sein. Eigentlich konsequent, denn Rom hat sich schon die Restaurierung seiner Spanischen Treppe von einem Schmuckkonzern mitbezahlen lassen, die Sanierung des Trevi-Brunnens von einem Modehaus und die Reinigung des Kolosseums von einem Taschenhersteller. Da wären "House of Cards"-Christbaum-Kugeln am Kapitol nur logisch.

Andererseits: Sollte die Menschheit diese Art von Geldprasserei nicht wenigstens beim Fest des, wie manche glauben, im Stall geborenen Gottessohnes einfach mal sein lassen? Könnte man auf dem Platz, auf dem Mussolini einst das Volk aufhetzte (und Woody Allen großartige Szenen drehte), nicht einfach eine mittelgroße Topftanne aus dem örtlichen Baumarkt stellen und das dadurch gesparte Geld an Bedürftige spenden?

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Netflix antwortet nicht. Immerhin betrifft es nicht den Weihnachtsbaum auf dem Petersplatz, der angeblich gesponsort wird. Es handelt sich um seinen innerstädtischen Konkurrenten, zwei Kilometer entfernt, auf der Piazza Venezia. Wobei: Konkurrent ist schon wieder übertrieben. Im vergangenen Jahr wirkte die vom Verkehr umtoste Weihnachtsfichte vor dem Monumento a Vittorio Emanuele II nämlich derart traurig, dass sie von den Bewohnern der ewigen Stadt "Spelacchio" getauft wurde, Glatzkopf. Ein Menetekel - noch bevor rechte Ex-Journalisten in Italien politisch Karriere machten, Brücken und Aktienpakete brachen und wüste Winde wehten.

Nach dem Epiphaniefest hieß es dann, das römische Museum für Moderne Kunst werde sich "Spelacchio" annehmen, doch dort wurde die Fichte nie ausgestellt. Die Römer jedenfalls: stinksauer, dass sie in Zeiten klammster Kassen auch noch 48 000 Euro für einen Glatzkopf auf der Piazza Venezia bezahlen mussten. Dass es auch anders ging, konnte man ja in Mailand sehen, wo im vergangenen Dezember ein beachtlicher 30-Meter-Baum (100 000 LED-Lichter, 700 Weihnachtskugeln) vor dem Dom leuchtete. Ein Geschenk des Fernsehsenders Sky.

Dank Netflix soll es Rom laut Repubblica nun immerhin auf 60 000 LED-Leuchten und 500 Weihnachtskugeln bringen. Plus einem eigens abgetrennten Bereich für Baum-Selfies. An Kritik daran mangelt es nicht. Ob man das Geld nicht lieber für Kinderspielplätze und Schulen ausgeben könne, wollen zum Beispiel Vertreter der römischen Grünen wissen.

Für das Selbstbewusstsein einer Stadt und ihrer Bürger scheint das Aussehen eines zentral platzierten Adventsbaumes jedenfalls eine beachtliche Rolle zu spielen. Vor dem Frankfurter Römer beispielsweise erhielt der Christbaum 2017 zusätzlich "Fremdzweige aus dem Stadtwald", damit er neben den Bankentürmen auch herrlich glänzte. Das hätte man bei den unschönen Fichten von Montréal, München und Berlin vielleicht auch machen sollen.

Die katholische Kirche hat 1,3 Milliarden Gläubige, Netflix 130 Millionen Abonnenten

Wie kompliziert die Auswahl eines repräsentativen Baumes ist, das hat der Oberkärntner Forstdirektor Andreas Januskovecz gerade erst der österreichischen Kronen-Zeitung erklärt. Januskovecz war damit beauftragt worden, für seine Landeshauptstadt einen Baum auszuwählen, der zugleich groß, füllig sowie für Kran und Sattelschlepper gut erreichbar ist. Leider stieß sein dann in der Nähe des "Metnitzer Totentanzmuseums" gefälltes Exemplar in Wien auf wenig Begeisterung. Vor Ort verspottete man die nadelarme Fichte aus dem Bistum Gurk als "Gurkenbaum". Das Wiener Bürgermeisterbüro erklärte, man bemühe sich, das Geschenk noch vor Eröffnung der ersten Kinderpunschbude durch schönheitschirurgische Eingriffe wieder "ein wenig in Fasson" zu bringen.

Vielleicht mit Fremdzweigen aus dem Schlosspark? Im Gegensatz zur römischen Piazza Venezia jedenfalls wird auf der Piazza San Pietro, dem Petersplatz also, nicht ganz so viel Wert auf das Aussehen von Christbäumen gelegt. Im vergangenen Jahr zum Beispiel hatte das dort aufgestellte Präsent aus der Rominter Heide (Polen) nicht mal eine intakte Spitze - egal! Am kommenden Donnerstag nun wird ein Exemplar aus der unwettergebeutelten italienischen Provinz Pordenone erwartet (an gefälltem Holz herrscht dort derzeit kein Mangel). Und Sponsoring gab's in den vergangenen Jahren auch im Vatikan: Für die Renovierung der Sixtinischen Kapelle soll ein japanischer TV-Sender gleich zwölf Millionen Dollar gespendet haben. Die Frage ist aber: Würde sich der jetzige Papst einem Netflix-Baum verweigern? Noch mag die katholische Kirche 1,3 Milliarden Gläubige haben und Netflix 130 Millionen Abonnenten. Doch wer weiß, wann sich das dreht.

An dem Baum, den sie gerade am Berliner Gendarmenmarkt errichtet haben, werden übrigens bald 1000 Kugeln und 10 000 Lichter zu sehen sein. Mit mehr als 30 Metern Höhe war dieser einer Familie aus Mahlsdorf über den Kopf gewachsen. Sie hatte ihn gespendet. Einfach so.

© SZ vom 16.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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