Süddeutsche Zeitung

Politik:Auf der Suche nach dem Rettungsschirm

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Engagiert, den widrigen Winden trotzend und dennoch fröhlich - so wollen Politiker wirken, die im Regen stehen. Das gelingt nicht jedem gleich gut.

Von Kurt Kister

In der digitalen Sympathieblase der Grünen trendet seit ein paar Tagen ein Foto, das Robert Habeck im Regen zeigt. Der Mann, der zum Glück für die Partei nicht Annalena Baerbock ist, machte Wahlkampf in Schleswig-Holstein, wo es früher mehr geregnet hat als in Bayern. Seit Markus Söder in Bayern regiert, regnet es im Freistaat mehr als in Schleswig-Holstein, vor allem in diesem Sommer. Jedenfalls steht Habeck auf dem Foto sehr nass vor drei Handvoll enorm nasser Leute, von denen einige auf nassen Pappkartons sitzen, die so aussehen, als würden sie, wären sie trocken, auch grün wählen. Habeck wiederum erweckt den Anschein, als nehme er Politik, seinen Auftritt, das Publikum und auch die Pappkartons sehr ernst. So wollen Politiker im Regen aussehen - engagiert, den widrigen Winden trotzend und dennoch irgendwie fröhlich.

Generell macht Regen Menschen, die sich ihm aussetzen müssen, weil sie einen Auftritt zu absolvieren haben, nicht fröhlich. In Salzburg kann der Jedermann wenigstens von der Domplatte in das Große Festspielhaus umziehen, wenn es regnet. Zwar wäre Lars Eidinger, dieses Jahr der Jedermann, in seiner zottelhaarigen Verzweiflung nass noch eindrücklicher als trocken. Eidinger wirkt trocken ohnehin nass. Für die meisten aber trifft das nicht zu. Gefühls- und wirkliche Franzosen erinnern sich mit Schaudern an die Vereidigung von François Hollande, der im Mai 2012 bei der Fahrt über die Champs-Élysées im offenen Auto dermaßen durchnässt wurde, dass er unter dem Triumphbogen schon zu Beginn seiner Präsidentschaft jenes Bild des Jammers abgab, das dann für seine ganze Amtszeit passte.

Jemand, der oder die einen offiziellen Akt vollzieht, eine Rede hält oder auch nur als Wahlkämpfer entschieden auf dem Marktplatz wirken will, kann nicht einfach davonlaufen und sich unterstellen. Und jene Leute, deren Fotos für ihre Fremdwahrnehmung manchmal wichtiger sind als ihre Persönlichkeit, können auch nicht schnell ein Regencape oder eine Plastikplane umhängen. Je alberner dies aussieht, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass so ein Foto die Regenperson über die Dauer ihrer Amtszeit verfolgt. Man stelle sich nur Armin Laschet mit einem Plastikcape vor, und schon gewinnt Olaf Scholz, obwohl schon trocken nicht der attraktivste Kandidat, noch mal zwei Prozentpunkte dazu. Vielleicht sogar noch mehr, tauchte er doch Anfang der Woche an der Seite von Laschet bei dem gemeinsam Besuch im Hochwassergebiet mit einer praktischen Funktionsjacke auf.

Wer weniger regenattraktiv als Habeck oder Eidinger ist, dem bleibt der Regenschirm. Einerseits war der Schirm bei Sonne oder bei Regen stets ein Symbol der Macht; der Kalif oder der Großmogul schritten voran, beschirmt von Domestiken. Andererseits stammt der Regenschirm auch aus einer Zeit, in der der Herr ihn über die Dame hielt, um sie zu schützen. Der Herr selbst benutzte, zumal wenn er Offizier war und kein Brite, keinen Regenschirm. Im deutschen Militär gab es lange die Regel, dass der Offizier nur einen Schirm trägt, damit seine Dame nicht nass wird. Er selbst trug schließlich stets eine Kopfbedeckung. Bei den Briten, wie gesagt, war das anders. Da gehörten Hut und Schirm, allerdings eher gerollt als geöffnet, zur Grundausrüstung des Gentleman. Unter Gentlemen und Offizieren ist der Fallschirmjäger-Major Digby Tatham-Warter bis heute legendär. Er zog 1944 in die Schlacht um Arnheim mit einem gerollten Regenschirm, mit dem er als Kompaniechef Befehle wedelte. Bei einem Bajonettangriff auf die Deutschen ersetzte er, das ist nicht erfunden, sein bordeauxfarbenes Barett durch einen Bowler-Hut.

Dieser noble Macho-Wahnsinn existiert heute nur noch in Überresten. Wladimir Putin zum Beispiel hat wenig Nobles, aber viel Großmogul-Machistisches an sich. Als es beim Endspiel der Fußball-WM 2018 zwischen Frankreich und Kroatien in Moskau regnete wie Sau war der Einzige, über den bei der Siegerehrung dauernd ein Schirm gehalten wurde, Wladimir Putin. Für Frankreichs Macron und die kroatische Präsidentin Grabar-Kitarović gab es deutlich später auch einen Schirm, aber erst als beide schon patschnass waren. Macron übrigens sieht nass besser aus als Hollande.

Von Angela Merkel sind kaum Nassbilder bekannt; wo Merkel ist, ist notfalls auch immer ein Regenschirm. Sie würde sich auch nicht öffentlich in Situationen bringen, in denen man US-Präsidenten oder britische Premierminister immer wieder sieht: Sie kämpfen mit ihrem Schirm, weil der durch den Wind umgestülpt wird. Es gibt niemanden auf der Welt, nicht einmal Robert Habeck, der bei so einem Streit mit dem Schirm nicht albern bis doof aussehen würde. Dass gerade von Boris Johnson etliche Der-Premier-kann-keinen-Regenschirm-kontrollieren-Fotos existieren, sagt etwas über Johnson aus. Schließlich versucht auch sein Hund immer wieder, Johnsons Bein zu begatten. BoJo ist zwar ein belesener Reaktionär, aber irgendwie lebensuntüchtig.

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