Süddeutsche Zeitung

Risiko Mobilfunk:Handys können Krebs auslösen

Der langjährige, intensive Gebrauch von Mobiltelefonen fördert womöglich das Wachstum von bösartigen Hirntumoren.

Christopher Schrader

Bisweilen ist der Fortschritt der Wissenschaft einfach frustrierend langsam - etwa so wie der Endspurt in einem Schneckenrennen. Das gilt besonders für die Beobachter, die von den Forschern das Urteil über eine vermutete Gesundheitsgefahr erwarten; zum Beispiel über die Frage, ob das Telefonieren mit Handys einen Gehirntumor auslösen oder begünstigen kann.

Lange Zeit hatten sich die meisten führenden Wissenschaftler und Behörden wie das deutsche Bundesamt für Strahlenschutz auf folgende Sprachregelung verlegt: Es gibt Hinweise, aber keine Beweise, dass der Mobilfunk der Gesundheit schadet. Es wäre deswegen klüger, die Geräte mit Bedacht zu benutzen und bei Kinder besonders zurückhaltend zu sein.

Doch in letzter Zeit sind in nordeuropäischen Ländern einige Studien erschienen, bei denen sich die Hinweise wenn nicht zum Beweis, so doch zum Verdacht verdichten. Sie zeigen eine Zunahme der Hirntumore bei Menschen, die seit mindestens zehn Jahren Handys benutzen oder viel damit telefoniert haben. Und dann vor allem auf der Seite des Kopfes, an den die Patienten das Mobiltelefon ihrer Erinnerung nach meist gehalten haben.

In der jüngsten Untersuchung, die vor wenigen Tagen erschienen ist, hat Anna Lahkola von der finnischen Strahlenschutzkommission mit Kollegen aus Schweden, Dänemark, Norwegen und Groß-Britannien gut 1500 Patienten mit einem Gliom befragt, einem bösartigen Tumor des Stützgewebes im Hirn (International Journal of Cancer online).

Wenn sie länger als zehn Jahre ein Handy benutzt hatten, war ihr Risiko eines Glioms auf der Seite, wo sie das Gerät normalerweise an den Kopf hielten, um 39 Prozent erhöht. Der Schwede Lennart Hardell vom Universitätshospital Örebro hatte bei Menschen, die eines der aktuellen digitalen Handys insgesamt mehr als 2000 Stunden benutzt haben, sogar eine Zunahme des Risikos auf das 3,7-fache ermittelt (International Archives of Occupational and Environmental Health, Bd.79, S.630, 2006).

Schnurlostelefone erhöhen Gefahr

Auch analoge Handys und Schnurlostelefone nach dem DECT-Standard erhöhen seinen Zahlen zufolge die Gefahr. Auch britische (British Medical Journal, Bd.332, S.883, 2006) und deutsche (American Journal of Epidemiology, Bd. 163, S.512, 2006) sowie schwedische Zahlen für einen anderen Tumor (Epidemiology, Bd.15, S.653, 2004) deuten in diese Richtung.

Epidemiologen wie Eberhard Greiser, ehemals Leiter des Bremer Instituts für Präventionsforschung und Sozialmedizin, findet zumindest den Mechanismus plausibel: ,,Biologisch macht es Sinn, dass die Effekte erst nach zehn Jahren Gebrauch zu erkennen sind. Tumore brauchen lange, bis sie sich entwickeln.'' Dem stimmt Otto Petrowicz zu, der an der TU-München Forschung zum Thema Handy und Gesundheit koordiniert: ,,Auch beim Asbest, bei der radioaktiven Strahlung und beim Tabak hat die Forschung so lang gebraucht, um das Risiko genau zu fassen.

Aber beim Tabak zum Beispiel ist es etwa 50-mal so wahrscheinlich, dass ein Raucher und kein Nichtraucher Lungenkrebs bekommt.'' Lawrie Challis schließlich, Leiter der britischen Handy-Gesundheitsforschung schließlich sagte auf die Frage zweier Reporterinnen der Londoner Times, ob Handys die Zigaretten des 21. Jahrhunderts sein: ,,Sicherlich.''

Die kurze Antwort entspricht nicht nur dem britischen Understatement, sondern vor allem der Vorsicht, mit der alle seriösen Wissenschaftler ihre Aussagen formulieren. Denn die Studien, aus denen die Zahlen stammen, haben ungezählte mögliche Fehlerquellen. Ihre Grundidee ist jeweils, Patienten mit einem Hirntumor mit gesunden Personen gleichen Alters, gleichen Geschlechts und ähnlicher Herkunft zu vergleichen; die Wissenschaft nennt das Fall-Kontroll-Studien.

Unterscheiden sich die beiden Gruppen nur im Gebrauch eines Handys, könnte das Gerät die Krankheit ausgelöst oder begünstigt haben, so die Logik. Die Forscher drücken das als Quotient aus: 1,39 bedeutet, dass das Risiko um 39 Prozent erhöht ist. Doch die Fehlerquellen beginnen schon damit, dass es nicht so viele Menschen gibt, die schon über zehn Jahre ein Handy benutzen. Außerdem müssen sich die Forscher darauf verlassen, dass sich alle Teilnehmer, Patienten wie Kontrollpersonen, gleich gut an ihre Telefonverhalten in den vergangenen Jahren erinnern.

Einige Zweifel bleiben

Daran bestehen einige Zweifel: So haben Wissenschaftler des Interphone-Forschungsverbunds, der ähnliche Fall-Kontroll-Studien in 13 Ländern durchführt (und aus dem unter anderem Lahkolas Daten stammen), bei 670 Freiwilligen verglichen, wie gut sie sich nach sechs Monaten noch an ihren Handygebrauch erinnern konnten.

Dabei gab es große Unterschiede von Land zu Land und natürlich von Individuum zu Individuum, aber ein Trend ergab sich: Wenignutzer unterschätzen und Vielnutzer überschätzten ihre Zeit mit dem Mobiltelefon am Ohr (Occupational and Environmental medicine, Bd.63, S.237, 2006). Zudem reden sich Patienten mit einem Hirntumor wohl verstärkt ein, dass sie das Handy ja auch immer auf die betreffende Seite des Gesichts gehalten hätten. Anders können sich zum Beispiel britische Forscher einige widersinnige Ergebnisse nicht erklären.

Einen ersten wichtigen Test haben nun die Studien von Lahkola und Harding genommen. Wichtig ist neben der berechneten Erhöhung des Risikos vor allem das sogenannte 95-Prozent-Vertrauens-Intervall. Weil statistische Auswertungen immer mit unvermeidbaren Fehlern behaftet sind, sagt diese Größe aus, wo das wahre Ergebnis mit 95-prozentiger Sicherheit liegt. Hintergrund ist die Gewohnheit von Medizinern, Ergebnisse erst dann als signifikant einzustufen, wenn die Wahrscheinlichkeit unter fünf Prozent sinkt, dass sie rein zufällig entstanden sind.

Bei den meisten ähnlichen Studien hat das Intervall den Wert von 1,0 eingeschlossen, also den Punkt, bei dem das Risiko unverändert ist. Bei Lahkolas Untersuchung beginnt das Intervall jedoch erst bei 1,01: Das Risiko ist also mit 95-prozentiger Sicherheit mindestens um einen Prozentpunkt erhöht.

Zweifel an Aussagekraft

Doch hat auch diese Studie einige Probleme. Zunächst haben die Autoren den Gebrauch von Schnurlos-Telefonen am Hausanschluss (DECT-Telefonen) einfach ignoriert. Andere Wissenschaftler, zum Beispiel Hardell, halten die Geräte hingegen sehr wohl für relevant. Zweitens ist das Ergebnis in Lahkolas Studie gerade für die Teilgruppe nicht mehr signifikant, die sich nach Einschätzung der jeweiligen Interviewer besonders gut an ihre Telefongewohnheiten erinnerten. Die meisten Teilnehmer hatten die Forscher persönlich im eigenen Heim befragt und danach notiert, wie sicher sich die Probanden ihrer Erinnerung waren. Das lässt die Forscher auch eher an der Aussagekraft ihrer eigenen Daten zweifeln.

Drittens ergab die Auswertung, dass der regelmäßige Gebrauch eines Handys an sich das Gliom-Risiko um 22 Prozentpunkte zu senken schien - auch das 95-Prozent-Intervall war komplett unter Eins. Dieses widersinnige Ergebnis erklärt Anna Lahkola selbst als ,,Auswahlfehler''; er trägt ebenfalls dazu bei, dass ihre Arbeitsgruppe die eigenen Daten nicht sonderlich hoch gehängt  hat.

Eberhard Greiser erkennt darin sogar eine fundamentale Schwäche der Studie: ,,Von den angeschriebenen Kontrollpersonen haben einfach nicht genug mitgemacht'', sagt er. Besonders in Dänemark, Groß-Britannien und Finnland war das ein Problem. Das bedeutet normalerweise, dass in der Vergleichsgruppe sozial Schwache unterrepräsentiert sind, weil Wohlhabende nach Greisers Erfahrung den Wünschen von Forschern sich zu beteiligen eher zustimmen.

Balance der Gruppen verschiebt sich

Da aber sozial Schwache vor zehn Jahren viel seltener Handys hatten als Reiche, verschiebt sich die Balance der Gruppen. Tatsächlich benutzte knapp jeder zehnte Tumorpatient in Lahkolas Studie das Handy schon über zehn Jahre, aber nur jede 15. Kontrollperson. ,,Nur so kann der Handygebrauch fälschlich als Schutz vor Tumoren wirken'', sagt Greiser. ,,Die Studie unterschätzt das Risiko.''

Ohnehin hatte die Studie von Lennart Hardell, die Greiser methodisch sauberer findet, höhere Risikowerte ergeben. Der Schwede steht mit diesen Daten aber relativ allein da; seine Kollegin Maria Feychting vom Karolinska-Institut in Stockholm wundert sich, dass er stets nach kürzerer Zeit stärkere Effekte findet als der Rest der Fachwelt: ,,Ich kann für diese Unterschiede keine plausible Erklärung finden.'' In einem aber sind sich alle Wissenschaftler einig: Es ist mehr Forschung und Austausch der Experten nötig. ,,Wir müssen uns jetzt über all diese Studien beugen, ihre Schwachstellen abklopfen und daraus unsere Schlüsse ziehen'', sagt Otto Petrowicz. ,,Wir können aber nicht den Arm hoch halten und rufen: Wir haben den Beweis.''

Am liebsten würden die Forscher ihre Daten mit einer besseren Studienform überprüfen: einer prospektiven Studie. Darin würde man eine große Gruppe von Handynutzern einige Jahre lang beobachten, immer wieder befragen und ihre Gesundheit verfolgen.

Der tatsächliche Handygebrauch ließe sich dann womöglich mit Hilfe der Telefongesellschaften besser messen. Die Pläne dazu gibt es bereits: Jeweils 50.000 Briten, Dänen, Finnen, Schweden und Deutsche sollten mitmachen. Doch in Deutschland ist die Studie Ende 2005 gescheitert: Einer Vorstudie zufolge wäre das Anwerben von Freiwilligen so aufwändig gewesen, dass das Bundesamt für Strahlenschutz das Vorhaben aufgegeben hat.

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