Kolumne: Vor Gericht:Kein Blümchensex

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Prostituierte dürfen nur in Städten ab 30 000 Einwohnern arbeiten, in Starnberg also nicht. (Foto: Andreas Arnold/dpa)

Manchmal landen auch Leute vor Gericht, die dort eigentlich arbeiten. Wie der Richter, der sich als Zuhälter betätigte.

Von Verena Mayer

Es kommt gar nicht so selten vor, dass Leute, die im Dienst des Gesetzes stehen, mit diesem in Konflikt kommen. Ich selbst habe mehrere Anwälte auf der Anklagebank erlebt, zwei Gerichtsgutachter und eine Staatsanwältin, die sich in den Bankräuber verliebte, den sie anklagen sollte. Sie soll belastende Dinge aus den Akten entfernt und das Verfahren gegen ihn verschleppt haben.

Am bizarrsten aber war vor Jahren der Prozess gegen einen Richter. Der verhandelte montags an einem Amtsgericht, dienstags, donnerstags und samstags veranstaltete er bei sich zu Hause Sexpartys. 50 Euro musste man zahlen, um sich nackt durch seine Altbauwohnung im bürgerlichen Berliner Westen zu bewegen, Sekt zu trinken oder zwischen angezündeten Teelichtern Musik zu hören. Unter den Besuchern waren Lehrer, Krankenpfleger, eine Germanistin und ein Lokalpolitiker. Für sexuelle Handlungen gab es ein Matratzenlager.

Das dürfte für Berliner Verhältnisse zwar kein besonders außergewöhnliches Setting sein. Allerdings betätigte sich der Richter auch als Zuhälter. Er beschäftigte mehrere Frauen, die mit seinen Besuchern Sex haben sollten. Einmal kam es dabei zu Gewalt. Eine junge Frau wurde an eine Heizung gefesselt und misshandelt. Als sie schrie, hielt ihr der Richter den Mund zu.

Der angeklagte Richter bekannte, "keinen Blümchensex" zu wollen

Der Fall war nicht nur außergewöhnlich, weil da ein Richter vor Gericht stand. Sondern weil der auch fast exhibitionistisch aus seinem Leben erzählte. Dass er "nun mal keinen Blümchensex" möge und das Geschehen auf seinen Partys gerne aus dem Arbeitszimmer beobachtete. Dass er Kleinanzeigen für seine Abende schaltete und mit den Freiern verhandelte. Er wirkte, als habe er Spaß an der Selbstzerstörung. Daran, sich über die juristischen und moralischen Grenzen hinwegzusetzen, an die er und alle anderen im Gerichtssaal täglich gebunden waren. Er wurde zu drei Jahren Haft verurteilt.

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Interessant ist in solchen Fällen auch, wie frühere Kollegen miteinander umgehen. Der angeklagte Richter bombardierte das Gericht mit Beweis- und Befangenheitsanträgen und rief dem Vorsitzenden Richter zu: "Jetzt lassen Sie mich doch endlich frei!" Ein Anwalt, der angeklagt war, sich zusammen mit Clan-Leuten eine Immobilie erschlichen zu haben, hielt sein Plädoyer lieber selbst, als es dem Kollegen zu überlassen. Ein anderer Anwalt klopfte seinem Verteidiger nach der Verhandlung auf die Schulter und sagte: "Das hätte ich nicht besser machen können."

Und wem die Prozesse selbst noch nicht spektakulär genug waren, der musste nur in den Zuschauerraum gucken. Dort klappte immer wieder die Tür auf, und jemand mit Akten oder Robe unterm Arm schlich in den Gerichtssaal. Anwältinnen, Richter und Staatsanwälte, denen man ansah, dass das hier noch oft Thema in der Kantine sein würde. Immerhin für die verliebte Staatsanwältin ging die Sache gut aus. Sie wurde freigesprochen.

An dieser Stelle schreiben Verena Mayer und Ronen Steinke im wöchentlichen Wechsel über ihre Erlebnisse an deutschen Gerichten. (Foto: Bernd Schifferdecker (Illustration))
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