Restaurant "Restlos glücklich":Servieren, was andere wegwerfen

Startup eröffnet Restaurant gegen Lebensmittelverschwendung

Wollen im Herbst in Berlin ein Restaurant gegen Lebensmittelverschwendung eröffnen (v.l.): Aline, Leoni, Stefan, Wiebke, Lena und Anette, das Team von "Restlos glücklich".

(Foto: dpa)

Jede Sekunde befüllen die Deutschen drei Mülltonnen mit eigentlich noch genießbarem Essen. Das wollen sechs junge Berliner ändern - und gründen ein Restaurant für "gerettete Lebensmittel". Mit vom Zoll aufgehaltener Schokolade und falsch etikettiertem Tee.

Von Ruth Schneeberger, Berlin

Jetzt suchen sie nur noch Mitarbeiter, die bezahlt werden: einen Restaurantmanager und zwei Köche. Alle anderen Kollegen des Restaurants "Restlos glücklich" arbeiten gratis. Auch die Nahrungsmittel sollen dem Lokal gratis überlassen werden. Die sechs Initiatoren aus Berlin suchen sich ihre Lebensmittel in der Überflussgesellschaft.

Zu groß geratenes Gemüse, das im Supermarkt keine Abnehmer findet, weil die Kunden genormte Ware gewohnt sind, überschüssige Kartoffeln oder Äpfel, die vom Bauern sonst untergepflügt werden, Lebensmittel kurz vor Ablauf des Haltbarkeitsdatums, ganze Warenfuhren, die an den Großhändler zurück gingen, weil der Abehmer unzufrieden war. Es gibt unendlich viel Essen, das zwar angebaut, gezüchtet, gewässert und geerntet, transportiert, gekühlt und verarbeitet wurde, dann aber im Müll landet. Jede Sekunde werden in Deutschland im Schnitt 313 Kilo Lebensmittel weggeworfen, die eigentlich noch genießbar wären, hat die Umweltorganisation WWF errechnet. Das sind drei Mülltonnen pro Sekunde - und insgesamt 18 Millionen Tonnen im Jahr.

Vorbild Kopenhagen

Es gibt bereits Initiativen, die sich um diesen Wohlstandsmüll kümmern: Die Tafeln servieren ihn schon seit Jahrzehnten Bedürftigen, Foodsharing-Netzwerke tauschen übers Netz ihre Lebensmittel aus. Anfang Juli veranstalteten WWF und Welthungerhilfe am Berliner Hauptbahnhof einen prominent besuchten "Essensretterbrunch", um auf die Lebensmittelverschwendung aufmerksam zu machen. Es gibt Essens-Hilfsprojekte für Flüchtlinge. Doch wenn "Restlos glücklich" per Crowdfunding bis zum Herbst die benötigte Summe zusammen hat, wäre es das erste Restaurant deutschlandweit, das mit "geretteten Lebensmitteln" kocht.

Anlass für das Projekt war ein Bericht über ein Restaurant in Kopenhagen, das das schon so macht. Umweltwissenschaftlerin Anette Keuchel, 38, hat ihn gelesen, im Familienurlaub in Dänemark das Essensretter-Restaurant besucht, und war begeistert. Zurück in Berlin, fand sie in Freundin Leonie Beckmann, 27, die gerade ihr Politikstudium abgeschlossen hatte, die erste Verbündete. Sie bildeten die Initiative "Restlos glücklich", rekrutierten vier weitere Mitstreiter aus unterschiedlichsten Jobs - und legten los.

"Überall wo man nachfragt, gibt es immer noch mehr." Kommunikationsdesignerin Aline Henkys, 27, ist überrascht vom Überangebot überflüssiger Lebensmittel in einer Stadt wie Berlin. Innerhalb eines knappen Jahres haben die Initiatoren zur Probe bei sechs Veranstaltungen im kleinen Rahmen gekocht, innerhalb von zwei Tagen bereits 6000 Euro gesammelt - und sind nun zuversichtlich, ihr Restaurant bereits im Herbst eröffnen zu können. Der Standort steht noch nicht fest, er soll in einem der Szeneviertel liegen, zum Beispiel in Neukölln, Kreuzberg, Friedrichshain oder Prenzlauer Berg.

Das Weiße vom Ei

Benötigt wird dort ein besonders großer Lagerraum. Platz finden muss dort Brot, das immer im Übermaß angeboten ist, weil es schon nach einem Tag quasi unverkäuflich ist. Zudem können kurzfristig große Mengen an Lebensmitteln anfallen. Von einem Caterer, der auf einer ganzen Ladung sitzen geblieben ist, oder von einem Tiramisu-Hersteller, der nur das Gelbe vom Ei braucht und Unmengen von Eiweiß loswerden will, das hier zu Baiser verarbeitet werden soll. "Wir sind jetzt schon Chutney-Experten", sagt Leonie Beckmann, weil immer so viel Gemüse haltbar gemacht werden muss.

Außerdem soll das Restaurant einen Raum bekommen, in dem Kinder und Jugendliche an das Thema Lebensmittelverschwendung herangeführt werden. "Wir sind unkreativ geworden", sagt Beckmann. Schließlich muss sich niemand mehr groß über das Essen Gedanken machen. Es gibt alles jederzeit und überall im Überfluss, auch kochen muss praktisch niemand, der nicht will, kann oder keine Zeit hat.

Das ins Bewusstsein zu rufen, ist das hehre Ziel der Berliner, weshalb "Restlos glücklich" ein Non-Profit-Restaurant werden soll. Alle Helfer - Kellner, Abwäscher, Fahrer, Logistiker - arbeiten ohne Entlohnung. Genauso wie in Kopenhagen, wo ein IT-Spezialist freudestrahlend abends stundenlang spült, als Ausgleich für die tägliche Arbeit am Bildschirm. Das senkt nicht nur die Lohnkosten, sondern sorgt, so hoffen jetzt die Berliner, auch noch für besonders engagierte Mitarbeiter - und gute Laune im Projekt.

Ist Müll nach Vegan der neue Trend?

Diese Rechnung könnte aufgehen. Restaurants, die vor der Tonne gerettete Lebensmittel auf den Tisch bringen, gibt es bereits in Großbritannien und den Niederlanden. Aus Kopenhagen wird berichtet, dass gerade das soziale Engagement der Mitarbeiter und das auf dem Teller servierte gutes Gewissen bei den Gästen dafür sorgen, dass kleinere Fehler im Service oder Menü im Gegensatz zu anderen Restaurants gerne übersehen werden. Weil es ja um die gute Sache geht. Gerade in Berlin, wo Essen das neue Feiern ist, ziehen solche Projekte. Touristen aus der ganzen Welt reisen zum Teil extra für solche alternativen Lebens- und Ernährungskonzepte an. Ist Müll das neue Vegan?

Der Bauer mit den Riesen-Zucchini

Mit krummen Gurken und dreibeinigen Möhren arbeitet in Berlin schon jetzt der Bio-Catering-Service "Culinary Misfits". Ein solches Unternehmen beanspruche jede Menge Leidenschaft, Spontanität und Geduld, erklärt Mitgründerin Lea Brumsack. Weshalb die ersten Pioniere schon wieder aufgeben: Das im Februar in Köln eröffnete Lokal "Grüne Liebe" etwa hat schon wieder geschlossen - der Gründer beklagte Zeitmangel.

Damit es den Berliner Neugründern besser ergeht, suchen sie nun noch nach weiteren Freiwilligen - und Spendern. So ein Restaurant verschlingt hohe Investitionskosten. Um die am Dienstag auf der Crowdfunding-Plattform "Startnext" angelaufene Kampagne anzuheizen, warben sie am Donnerstag mit einem "Pressebrunch" in einem typischen Kreuzberger Hinterhof-Startup-Treff. Serviert wurden Zucchinipuffer mit Schafskäse und Crepes mit Birnenkompott. Schmeckt alles nach Essen, nicht nach Müll.

"Der Schafskäse hatte eine eingedrückte Verpackung, die Birnen stammen von unserem wunderbaren Naturkost-Großhändler, die Schokolade ist zu lange am Zoll aufgehalten worden und genügt wegen der Sonneneinstrahlung nicht mehr den hohen Qualitätsmerkmalen des Feinkosthandels, der Tee war falsch etikettiert. Und der Portwein stand im Schaufenster und konnte nicht mehr verkauft werden, weil er hätte oxydieren können. Wir haben ihn aber probiert - und er genügte voll allen Anforderungen", sagt Alina Henkys.

Gemüsebauer Johannes Erz hat am Morgen 30 Riesen-Zucchini angeschleppt - als Spende. Stolz steht er vor den Kamerateams und erklärt, wieso sein kiloschweres Gemüse viel eher der Norm entspreche als die immer gleich aussehenden Zwillings-Zucchini im Supermarkt: "Jeder Gärtner kennt das: Es gibt immer ein paar Riesen-Zucchini, gerade bei dieser Hitze wachsen die ohne Ende." Bevor der Händler das aber seinem Kunden erkläre, verkaufe er lieber in derselben Zeit ein paar Normzucchini mehr - und bleibe auf der ungenormten Überschussware sitzen. "15 Prozent unserer gesamten Landwirtschaft wird sinnlos beackert, ein, manchmal zwei Drittel der Ernte wird nicht verkauft", so Henkys. Erz ist deshalb froh, wenn seiner Hände Arbeit doch noch Abehmer findet. Auch wenn er dafür kein Geld erhält.

Alles gut und schön - aber wie wollen die jungen Berliner dem Eindruck begegnen, sie würden sich ihr Restaurant von freiwilligen Helfern, gutwilligen Geldgebern und edlen Essens-Spendern finanzieren lassen und damit auch noch den Obdachlosen ihr Essen wegnehmen, indem sie in Konkurrenz zur Tafel treten?

Nicht den Armen das Essen wegessen

Auf diese Kritik sind die Gründer vorbereitet. "Uns ist sehr wichtig, zu betonen, dass wir nicht in Konkurrenz zur Tafel stehen. Die haben andere Bezugsquellen als wir, zum Beispiel die Supermärkte. Im Gegenteil: Wir tauschen uns sogar gegenseitig aus, wenn wir etwas übrig haben", so Henkys. Der Gewinn von "Restlos glücklich", wo ein Abendessen zwischen sieben und 14 Euro kosten wird, soll deshalb, nachdem alle Fixkosten bezahlt sind, in die Bildungsprojekte fließen. Alle Gründungsmitglieder finanzieren sich durch andere Jobs.

Im Vordergrund stehen soll dennoch das Essen im Restaurant, und zwar biologisch, saisonal und regional. Aber weder vegan noch vegetarisch oder Low Carb, denn es sollen möglichst viele Lebensmittel gerettet und möglichst viele Menschen angesprochen werden. "Wir wollen auf keinen Fall unsere Gäste mit Infotafeln bombardieren, sondern dieses schwere Thema der Lebensmittelrettung über das leichte Thema Genuss verkaufen", betont Henkys.

Zukünftige Gäste werden sich jedenfalls überraschen lassen müssen vom täglichen Angebot. "Wir wissen eigentlich nie, was wir am nächsten Tag für Lebensmittel bekommen", erklärt Teammitglied Lena Becker. Eine feste Speisekarte wird es nicht geben. "Wir stellen uns auf kohlreiche Winter ein", sagt Leonie Beckmann. 90 Prozent des Essens soll aus geretteten Lebensmitteln bestehen, der Rest wird dazugekauft, damit täglich zwei oder drei Hauptgerichte angeboten werden können.

Und noch eine Besonderheit soll das Abendrestaurant für 30 Gäste bieten: Kleinere Portionen als üblich. Wer nicht satt wird, bekommt gratis Nachschlag. Aber immer nur soviel, dass nichts übrig bleibt. Denn Lebensmittel selbst wegwerfen zu müssen, das wollen sie hier unter allen Umständen vermeiden.

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