Zu ihm kommen jedes Jahr Hunderte Paare, die sich ein Kind wünschen, aber keines bekommen können: Prof. Dr. Georg Griesinger leitet das Universitäre Kinderwunschzentrum Schleswig-Holstein an den Standorten Lübeck und Manhagen. Im Interview mit SZ.de erklärt er, warum er sich in der Reproduktionsmedizin mehr Freiheiten für Ärzte und Patienten wünscht. Er spricht über falsche Versprechungen und über die psychischen Belastungen, die eine oft sehr langwierige Behandlung mit sich bringt.
SZ.de: Die Zahl der Kinderwunschbehandlungen nimmt seit Jahren zu. Werden die Menschen immer unfruchtbarer?
Georg Griesinger: Der Anteil der Menschen, die unter organisch bedingter Unfruchtbarkeit leiden, ist wahrscheinlich nicht gestiegen. Allerdings schieben Paare heute ihren Kinderwunsch immer weiter nach hinten. Da ist es unvermeidlich, dass es bei vielen nicht mehr auf natürlichem Wege funktioniert.
Wie unterscheidet sich die Arbeit eines Reproduktionsmediziners von der Arbeit anderer Ärzte?
Üblicherweise hat die Medizin es mit erkrankten, alten oder gebrechlichen Menschen zu tun. In der Reproduktionsmedizin hat man jemanden vor sich sitzen, der jung und fit ist. Außerdem behandeln andere Ärzte einzelne Patienten, ich dagegen immer ein Paar.
Es müssen in jedem Fall Frau und Mann zu Ihnen kommen?
Ja, das verlangen wir so. Infertilität ist immer eine Paarproblematik, auch wenn die Erwartungen an das, was wir als Ärzteteam tun können, bei beiden Geschlechtern unterschiedlich sind.
Inwiefern?
Das zeigt sich schon im Erstgespräch. Da gibt es typische Fragen. Die Frauen wollen wissen, wie die Behandlung abläuft und wie der Arzt die Chancen einschätzt, dass sie tatsächlich schwanger werden. Der Mann hakt dann auch nochmal nach, und da geht es - ein bisschen versteckt - auch um die Frage: Hält meine Frau den Stress aus und hält unsere Beziehung das aus?
Was ist denn die Rolle des Mannes während der Behandlung?
Viele Männer fühlen sich ein bisschen hilflos. An ihnen wird ja fast nichts gemacht. Sie sind aber trotzdem wichtig, vor allem als Motivator, wenn es beim ersten Anlauf nicht klappt. Viele ungewollt kinderlose Frauen wollen sich bei diesem Thema sonst niemandem offenbaren, weder im Job noch in der Familie oder bei Freunden. In dieser Lage ist es desaströs, wenn der Partner signalisiert, er glaubt selbst nicht mehr dran, dass die Behandlung Erfolg hat oder das mit dem Geld wird ihm zu viel.
Kritiker sagen, die Reproduktionsmedizin ist in erster Linie ein gigantisches Geschäft.
Ich weiß, es herrscht noch immer die Vorstellung, dass wir Reproduktionsmediziner irrsinnige Geldmacher sind. Das stimmte vielleicht, als die gesetzliche Krankenkasse die Kosten noch weitgehend übernommen hat und die Auflagen geringer waren, aber heute nicht mehr.
Was hat sich geändert?
Die Reproduktionsmedizin in Deutschland ist in den vergangenen zehn Jahren stark reguliert worden. Die Anforderungen an die personellen, räumlichen und organisatorischen Voraussetzungen sind extrem gestiegen. Qualitätsmanagement, Qualitätskontrolle und immer neue Technologien sind heftige Kostentreiber, und die Vergütung hat längst nicht Schritt gehalten. Aber ich will gar nicht jammern, mich stört etwas anderes am Vorwurf der Geldmacherei.
Was denn?
Es wird unterschwellig so getan, als sei der unerfüllte Kinderwunsch nicht wie eine Krankheit zu behandeln. Die Reproduktionsmedizin sei deshalb keine ärztliche Heilbehandlung, sondern nur eine Dienstleistung.
Wie eine Schönheitsoperation.
So ungefähr. Die Gesellschaft sagt: Wenn du das willst, dann zahl' es gefälligst selbst. Dahinter steckt eine Geringschätzung für kinderlose Paare und die Medizin, die ihnen hilft. Niemand würde sich etwa trauen, infrage zu stellen, ob die Krankenkasse die Behandlung einer Brustkrebspatientin zahlt. Dabei werden auf diesem Gebiet auch Milliardensummen umgesetzt.
Sie fordern also, dass die Krankenkassen wieder mehr zahlen?
Sagen wir es so: Wenn Sie mich fragen, ob ich es klug finde, ausgerechnet an dieser Stelle zu sparen, dann sage ich "nein". Und wenn die Solidargemeinschaft sich aus der Finanzierung ärztlicher Leistungen zurückzieht, darf man sich nicht wundern, wenn sich ein freier Markt darauf stürzt, Business-Modelle entwickelt und anfängt, Marketing zu betreiben.
Und das ist problematisch?
Es werden zumindest falsche Vorstellungen geweckt, mit fragwürdigen Versprechungen. Ich versichere Ihnen zum Beispiel, wenn Sie zehn Reproduktionsmediziner fragen, ob ihre Erfolgsrate gemessen am deutschen Schnitt überdurchschnittlich oder unterdurchschnittlich ist, dann werden Ihnen fast alle sagen, wir sind überdurchschnittlich.
Sind Ihre Erfolgsraten auch überdurchschnittlich?
Nein, wir bewegen uns ziemlich hart am Durchschnitt. Aber der Erfolg ist nur zu einem kleineren Teil vom Arzt abhängig, das Alter der Frau und die Vorbehandlungen sind entscheidender.
Viele Paare gehen ins Ausland, weil dort Behandlungen angeboten werden, die in Deutschland nicht erlaubt sind.
Einige Kollegen, etwa in Österreich und Tschechien, haben sich tatsächlich auf deutsche Patienten spezialisiert und verdienen damit gutes Geld. Aber es herrscht große Verwirrung. Es gibt nur wenige glasklare Gründe, warum Patienten ins Ausland gehen müssen. Bei der Eizellspende zum Beispiel haben sie keine andere Wahl. Eine In-vitro-Fertilisation oder eine Spermieninjektion können sie aber genauso gut in Deutschland vornehmen lassen. Ich sage immer: Wenn Sie wenige Kilometer nach Österreich über die Grenze fahren, das weiß die Eizelle gar nicht.
Würden Sie gern mehr dürfen, als derzeit nach dem Gesetz in Deutschland erlaubt ist?
In vielen Bereichen ja. Wir brauchen in Deutschland zum Beispiel eine Legalisierung der Eizellspende. Es ist irrwitzig, dass die noch immer per Strafgesetzbuch verboten ist.
Warum?
Im Jahr 1990, als das Embryonenschutzgesetz beschlossen wurde, mag das sinnvoll gewesen sein. Da war etwa über die Gesundheitsrisiken für die Spenderin noch zu wenig bekannt. Aber das ist mittlerweise rauf und runter erforscht. Und, vielleicht ist das eine Extremposition unter uns Reproduktionsmedizinern, aber ich denke, dass auch das absolute Verbot der Leihmutterschaft nicht mehr begründbar ist.
Leihmütter kommen oft aus Entwicklungsländern und bieten ihren Körper aus blanker Not an. Wollen Sie dafür wirklich einen Markt schaffen?
Moment. Ich will die Leihmutterschaft nicht auf breiter Linie erlauben, sondern unter sehr strengen Bedingungen, etwa wie in Großbritannien. Das heißt: Eine Leihmutter darf sich nicht öffentlich anbieten, sie darf keine Annonce schalten, keine Werbung machen und kein Geld verdienen damit. Aber wenn eine Frau keine Gebärmutter hat, warum darf sie dann nicht eine Freundin oder ihre Schwester bitten, das Kind auszutragen? Ich kann schon verstehen, dass der Staat auf dem Gebiet der Reproduktionsmedizin Restriktionen macht, aber aus meiner täglichen Arbeit weiß ich, dass die überwiegende Mehrzahl der Menschen auch ohne die Androhung durch das Strafrecht sehr verantwortungsvoll mit dem Thema umgeht. Die lehnen es ab, sich ihr Wunschbaby zu designen, und sie gehen für eine Eizellspende auch nicht nach Weißrussland, um 2000 Euro zu sparen, sondern sie gehen nach Spanien, wo sie den Eindruck haben, hier herrschen Rahmenbedingungen, die ethisch in Ordnung sind.
Viele Reproduktionsmediziner in Deutschland befruchten bis zu 15 Eizellen, obwohl einer Frau maximal drei Embryonen pro Zyklus eingepflanzt werden dürfen. Widerspricht das nicht auch dem Embryonenschutzgesetz?
Nein, denn nicht jeder Befruchtungsversuch führt zu einem entwicklungsfähigen Embryo. Geschützt ist der Embryo nur dann, wenn er das Potenzial hat, geboren zu werden. Dass wir mehr Eizellen befruchten, als wir tatsächlich einpflanzen wollen, widerspricht der Intention des Gesetzes überhaupt nicht, da gibt es auch entsprechende Gerichtsurteile.
Was ist denn die Intention des Gesetzes?
Die Politik hatte im Jahr 1990, als das Gesetz beschlossen wurde, vor allem eine Forderung: Liebe Reproduktionsmediziner, bitte treibt kein Schindluder mit nun verfügbar gewordenen menschlichen Embryonen.
Und was wäre Schindluder?
Unrecht wäre es, wenn wir Embryonen für fremde Zwecke schaffen würden, um sie zum Beispiel der Forschung oder der Industrie zur Verfügung zu stellen. Unrecht wäre es auch, wenn wir unnötigerweise in großer Zahl Embryonen auf Vorrat halten würden.
In etwa 50 Prozent der Fälle erfüllt sich der Kinderwusch trotz intensiver Behandlung nicht. Wie gehen diese Paare damit um?
Das ist eine extreme psychische Belastung. Wir wissen, dass die Trennungsraten hoch sind bei den nicht erfolgreichen Paaren. Wir versuchen gegenzusteuern. Zum einen, dazu sind wir verpflichtet, bieten wir eine umfassende Betreuung an. Wir kooperieren da mit einer speziell geschulten und auf diesem Gebiet erfahrenen Psychologin. Aber auch ich selbst führe viele Gespräche. Ich bin eben der Chef dieses Ärzteteams und spätestens, wenn die Behandlung am Ende nicht erfolgreich war, kommen die Patienten auf mich zurück und sagen: Mit dem wollen wir aber jetzt auch nochmal reden.
Was sagen Sie dann?
Das klingt jetzt ein bisschen pathetisch. Es ist eine Sinnsuche in einem scheinbar sinnlosen Geschehen.
Das müssen Sie erklären.
Es geht eben nicht nur um Eizelle und Samenzelle und Schwangerschaftsrate, sondern um das, was noch alles dranhängt. Erst neulich hat mir eine Frau geschrieben, die vor sieben Jahren bei mir in Behandlung war. Sie hat kein Kind bekommen, aber sie hat viel über sich selbst und über ihre Beziehung gelernt und sie ist zu einer Erkenntnis gelangt. Sie sagt heute, selbst wenn der Weg nicht zu dem Ziel geführt hat, das sie ursprünglich im Sinn hatte, so war der Weg als solches trotzdem nicht umsonst.