Reportage:Krieg zu Pferd

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Der afghanische Nationalsport Buskaschi ist nichts für zarte Gemüter. Als Ball bei diesem archaischen Reiterspiel dient der Kadaver einer Ziege.

Von Tomas Avenarius

Hufe stampfen, Rösser wiehern, keilen, treten, beißen, steigen. Männer mit Schultern nach Art sauber ins Lot zementierter Backsteine hängen über zuckenden Pferdehälsen, Köpfe pendeln zwischen wirbelnden Pferdebeinen, Hände greifen zwischen schlagenden Pferdehufen ins Leere, Peitschen schnalzen über Pferderücken. Dann, nach endlosem Gezerre, Gepeitsche und Geschubse, löst sich ein Reiter aus dem Knäuel zusammengedrängter Tiere, galoppiert über den Platz, in einer Staubfahne aus dem Sattel hängend wie bei einer Regatta ein Segler in der Gischt. In seiner Rechten, festgeklemmt unter dem Oberschenkel, pendelt ein unförmiges, zotteliges Fellknäuel.

Die anderen knapp drei Dutzend Spieler kleben wie Fliegen am Aas an seiner Rechten, ziehen, zerren an der Beute, schlagen mit ihren Knuten um sich. Sie treffen ihr Pferd, das Pferd des anderen Reiters, ab und an einen der am Spielfeldrand gedrängten Zuschauer, es kommt nicht so sehr darauf an, und wenn die Knute einmal gar nicht gebraucht werden kann, klemmen die Reiter sie sich einfach zwischen die Zähne, sie hat dafür eigens eine Lasche am Griff.

Einmal um den Pfosten am einen Ende des Platzes geritten, dann quer über das Feld zurück in die andere Hälfte, den zerfledderten Ziegentorso an der kurzen Seite in den Kreidekreis geworfen, Halal! - Treffer. Das Team mit den roten Jacken hat seinen Punkt gemacht, einen von vielen.

Im Vergleich zu einem Buskaschi-Turnier wirkt Rugby wie Topfschlagen im Waldorf-Kindergarten. Wer wohlmeinend ist, spricht von Polo mit einem Ziegenkadaver, aber der afghanische Nationalsport ist, bildlich gesprochen, eigentlich Krieg zu Pferd. Mann gegen Mann, Gaul gegen Gaul. Mehr als dreißig Tiere, die Reiter in dicken, gesteppten Mänteln, auf den Köpfen ein Sammelsurium mittelöstlicher Kopfbedeckungen, von Turbanen und Tüchern über dickkrempige Fellmützen bis hin zu ausgebleichten sowjetischen Panzerfahrerhauben. Die Pferde Hengste, die Arena ein fußballfeldgroßer Sandplatz. Der Ball eine tote Ziege, wahlweise ein totes Kalb. Ohne Kopf, die Hufe ebenfalls abgeschlagen. Der Balg wird über Nacht in Wasser getränkt, damit er steif wird, schwer und glitschig.

Es ist Freitag nach dem Gebet, oben auf dem Berg, im Norden von Kabul. Die Luft ist zum Schneiden dick von Staub und billigem Sprit. An den kleinen Nebenstraßen auf dem Weg zur Arena von Hadji Amin stehen die Lehmhäuser der Armen und die Neubauten der Reichen. Das neue Kabul erobert die Hänge, die mit Geld ziehen in die Wohngebiete derer ohne Geld, Letztere können sehen, wo sie bleiben. Die Pferde balancieren auf den Pritschen offener Laster, die Stallburschen sitzen schon darauf, so schaukeln Rösser und Reiter über Straßen, die irgendwo zwischen einem ungepflügten Acker und einer ausgeschlagenen Motocross-Bahn verortet sind.

Der private Buskaschi-Platz liegt ganz oben, ein etwas 100-mal-50-Meter großes, ummauertes Areal, die schneebedeckten Bergrücken rund um Afghanistans Hauptstadt geben eine angemessen spektakuläre Kulisse ab. Eine Ehrentribüne, die ersten Gäste sind schon da, wohlgenährte Männerleiber mit sorgsam gestriegelten Bärten drücken sich in die Sitzreihen, gepflegte Hände schauen aus teurem Stoff hervor, umfassen dampfende Teegläser. Leibwächter stehen herum, Gewehre in der Hand, pralle Munitionspacken vor der Brust, der afghanische Einheitslook im Umfeld von Geld und Macht. Auf der Tribüne geht es um Pferde und Geschäfte, um Politik und Familie, um das Leben. Einer der Gäste sagt gelangweilt: "Ja, mit dem Land geht es gerade mal wieder den Berg hinunter. Aber wir kennen es seit 40 Jahren nur so. Der Krieg, er ist normal."

Buskaschi, das "Ziegenziehen", ist afghanischer Nationalsport und zugleich Sinnbild des Nationalcharakters. Permanenter Krieg aller gegen alle, betrieben mit großer Expertise und noch größerer Härte und Leidenschaft. Das archaische Reiterspiel wird seit Jahrhunderten gespielt. Unter dem König und im Bürgerkrieg, mehr oder weniger heimlich unter den lust- und freudfeindlichen Taliban und jetzt im angeblich demokratischen Afghanistan. Dieses Land ohne Buskaschi, das wäre, als fehlten in afghanischem Reis die Rosinen.

Was in der Politik gilt, findet sich auch auf dem Platz: Die so ziemlich einzige Regel des Spiels ist, dass es keine Regel gibt - und selbst die wird im Regelfall gebrochen. Das Reiterspiel geht angeblich auf Dschingis Khans Horde zurück. Die Mongolen, die im 13. Jahrhundert auch das heutige Afghanistan eroberten, sollen es mit gefesselten Gefangenen gespielt haben, um in den Pausen zwischen den Kriegszügen ihre Reitkünste zu trainieren. Romantischere Geister erzählen, Buskaschi erinnere daran, wie die asiatischen Eroberer ihre Bräute im vollen Galopp geraubt hätten.

Heute bedeutet Buskaschi Unterhaltung und Prestige. Ein gutes Turnierpferd kann bis zu 50 000 US-Dollar kosten, stämmige Tadschiken oder kleinere, zierliche Afghanen. Leisten können sich einen solchen Stall nur Warlords, Unternehmer oder Politiker, die speziellen Geschäftsfelder überlappen sich in Afghanistan schnell einmal. Die Reiter wiederum sind eine Art Söldner: Der Tschopandoz, der Mann im Reitermantel, trainiert über Jahre, die besten sind um die 40, werden landesweit bekannt, bewundert, umworben.

Wenn sie denn alt werden: Stürzen die Pferde, werden die Reiter oft niedergetrampelt, brechen sich die Knochen. Wer noch aufstehen kann, reitet weiter - die Pferde sind darauf trainiert, im Getümmel regungslos neben ihrem gefallenen Reiter stehen zu bleiben. Gespielt wird offiziell in Teams, aber am Ende ist es oft ein Kampf jeder gegen jeden. Ein Tschopandoz lebt von den Prämien, die ihm der Stallbesitzer zahlt und die die Ehrengäste während des Spiels ausloben für besonders gelungene Treffer am Kreidekreis - besondere Rücksichtnahme wäre geschäftsschädigend.

Was die Ehrengäste beschäftigt: dass ihr Sport nicht zu Olympia zugelassen wird, angeblich wegen der toten Ziege respektive der in ihren Augen absurden Frage des Tierschutzes. Einer der Herren, der am Spiel als Schiedsrichter teilnimmt, sagt nur: "Wenn ein Mann eine Frau haben will, heiratet er ja auch keine Plastikpuppe."

© SZ vom 22.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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