Reportage:Da rollt was heran

bici bus barcelona

Platz da! Weil sie so irre viele sind, dürfen die Familien den Fahrradweg verlassen und mitten auf der Straße fahren.

(Foto: Silke Wichert)

In Barcelona radeln jeden Freitag so viele Kinder zusammen zur Schule, dass der Autoverkehr stillsteht. Was ist da los? Eine Mitfahrt.

Von Silke Wichert

Eigentlich geht es erst um 8.25 Uhr los, denn in Barcelona beginnt die Schule nie vor neun Uhr. Aber Arlet, 7, und ihre Mutter stehen trotzdem schon um 8.15 Uhr auf dem Platz vor der großen Markthalle, weil sie auf keinen Fall zu spät kommen wollen. Arlet hat ihr rosafarbenes Fahrrad, ihren Helm und Ranzen dabei. Schließlich warten sie und immer mehr eintrudelnde Kinder und Eltern darauf, mit dem "Bicibús" zur Schule zu fahren.

Bicibús ist spanisch und heißt übersetzt so viel wie "Rad-Bus". Ein richtiger Bus ist er aber nicht, sondern ein Fahrradtross, der nach dem gleichen Prinzip funktioniert: Er fährt zu einer bestimmten Uhrzeit an einem bestimmten Ort los und folgt dann einer festen Route. Wer unterwegs "zusteigen" will, reiht sich einfach an einer Ampel oder Straßenecke mit seinem Fahrrad, Tretroller oder Inlineskates ein. Drei Schulen liegen auf dem Weg, eine knappe halbe Stunde dauert es bis zur Endstation. Das Beste: "Wir werden von der Polizei eskortiert", sagt Arlet. Eine richtige Eskorte, wie sie sonst nur der König von Spanien, Präsidenten oder irgendwelche wichtigen Leute bekommen. Die Polizei riegelt den Verkehr und die Querstraßen ab. Falls eine Grünphase bei der Ampel mal nicht reicht, darf man sogar über Rot fahren. Außerdem radeln mittlerweile so viele mit - zuletzt waren es 160 Menschen - dass alle mitten auf der Straße fahren dürfen. Wie bei der Tour de France, nur langsamer und lustiger.

8.21 Uhr: Der Einsatzwagen und drei Motorräder der Polizei schalten schon mal das Blaulicht an, und endlich kommt auch Olivia mit ihrer Mutter Beate angefahren. Die beiden werden von den anderen mit lauten "Holas!" und "Bon dias!" begrüßt. Beate kommt aus Deutschland, lebt aber schon seit fast 20 Jahren in Barcelona. Sie und ihre siebenjährige Tochter gehören zu den Allerersten, die einfach mal losgeradelt sind. Beate fährt deshalb immer ganz vorne weg und zieht sich dafür eine gelbe Warnweste an. "Ich brauche auch noch meine Weste, Mama!", ruft Olivia. Und da kommt auch schon eine andere Mutter und reicht dem Mädchen das blaue Leibchen mit dem Bicibús-Logo auf der Rückseite. Seit so viele dazugekommen sind, findet Olivia das Radeln noch toller: "Jetzt können wir mitten auf der Straße fahren und dabei sogar quatschen."

Neulich hat jemand ein Video vom Bicibús aufgenommen und ins Internet gestellt: Mehr als drei Millionen Mal wurde es mittlerweile angeklickt. Dabei waren es vor den großen Ferien gerade mal fünf Erwachsene und ihre Töchter und Söhne, die sich zusammengetan hatten, um morgens gemeinsam mit dem Rad zur Schule zu fahren. Dann nahmen sie Kontakt zur Stadt auf, sprachen mit anderen Eltern, aus einer Idee wurde eine Bewegung. Denn während Radfahren sich für die meisten deutschen Kinder total normal anfühlt, ist es in spanischen Großstädten immer noch die Ausnahme und ziemlich gefährlich. Vor allem im "Eixample". Das ist das berühmte Viertel mitten in der Innenstadt, das wie ein Schachbrettmuster angelegt ist. Mit abgerundeten Ecken an jedem Wohnblock, die von oben wie Äpfel aussehen und im Spanischen deshalb "Manzanas" genannt werden. Das ist sehr praktisch zur Orientierung, aber leider auch sehr praktisch für viel Autoverkehr: Die meisten Straßen sind Einbahnstraßen und immer gleich zwei, drei oder vierspurig.

An Fahrradfahren hat hier früher keiner gedacht. Erst seit einigen Jahren setzt sich die Bürgermeisterin von Barcelona für mehr Radwege ein, auch damit die Luft in der Stadt endlich besser wird. Manche Fahrbahnen wurden den Autos schon geklaut und in "Bici"-Spuren umgewandelt. Aber sie führen direkt neben dem Autoverkehr entlang, nur abgetrennt von flachen Begrenzungen am Boden, die ein bisschen wie durchgeschnittene Football-Bälle aussehen. Und beim Abbiegen denken viele Auto- und Motorradfahrer leider immer noch, sie wären alleine unterwegs. Deshalb haben viele Spanier Angst, ihre Kinder überhaupt in der Stadt radeln zu lassen.

Mittlerweile hat sich der Bicibús in Bewegung gesetzt. Mit lautem Klingeln und Musik aus einem Lautsprecher im Anhänger eines Vaters geht es los. Fußgänger drehen sich erstaunt um und winken, einer der Motorradpolizisten fährt quer über den Bürgersteig, um sich an die Spitze zu setzen. Nach zwei Straßenecken biegen sie rechts ab auf die Carrer Calàbria, eine dreispurige Straße, dann hoch, bis sie die Gran Via kreuzen, die "große Straße", an der jetzt alle Autos warten müssen, obwohl sie eigentlich Grün haben. Aus dem Lautsprecher dröhnt "We didn't start the fire" von Billy Joel. Ein politisches Lied, das nicht zufällig durch die Straßen hallt. Denn auch der Bicibús hat eine Botschaft: Es wird höchste Zeit, weniger auf Autos zu setzen und etwas für das Klima zu tun. Und: Eine kleine Gruppe Menschen kann viel bewegen! In Eixample kommen bald noch zwei weitere Schulen dazu und die Busstrecke wird erweitert. Auch in anderen Teilen der Stadt wollen sich Familien zusammentun, um freitags zu radeln. Und seit dem Internet-Video haben Menschen aus Städten wie Washington, London, Vancouver oder Mumbai dazu aufgerufen, die Idee in ihrer Heimat zu kopieren. Wann hält der Bicibús wohl in deiner Stadt?

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