Süddeutsche Zeitung

Reportage:Am Band

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Wenn in Deutschland ein Orden verliehen wird, dann wurde er sehr wahrscheinlich in Lüdenscheid hergestellt. Besuch in einer Firma, deren Produkte viel über die Geschichte dieses Landes verraten.

Von Cornelius Pollmer

Aller Stolz der Republik nimmt seinen Anfang in Lüdenscheid. Er nimmt seinen Anfang hier seit Jahrzehnten, in einer Kreisstadt im Sauerland, an einer gewöhnlichen Verkehrsstraße, in einem Gebäude, das mit "unscheinbar" fast schon ein bisschen zu dramatisch beschrieben wäre. An diesem Gebäude befindet sich eine Klingel, darunter aber steht "Schelle", und allein der Klang dieses Wortes stimmt gut ein auf alles, was hinter der Tür nach dem Läuten auf einen wartet.

Die Schelle gehört zur Firma Steinhauer & Lück, genannt Steinlück, einem Familienbetrieb mit 39 Mitarbeitern, zu dessen Kunden der gesamte Vereins- und Verbandsadel der Bundesrepublik zu gehören scheint. Der Deutsche Olympische Sportbund vergibt regelmäßig Aufträge nach Lüdenscheid, die Deutsche Reiterliche Vereinigung, alle möglichen Jagdverbände. Steinlück produziert Karnevalsorden und Jägeraccessoires, eine Rubrik im Online-Katalog der Firma heißt: "Helden der Motorenwelt". Und zu den Kunden gehört auch das Bundespräsidialamt. Im September 1951 verlieh Theodor Heuss dem Bergmann Franz Brandl aus Nentershausen in Hessen für Kollegenrettung nach einem Wassereinbruch "das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland". Seitdem kamen und kommen alle Verdienstorden aus dem Haus mit der Klingel, die noch immer eine Schelle sein möchte. Denn seitdem hat die Firma Steinlück die formal europaweite Ausschreibung immer wieder gewonnen.

In der DDR wurde Anerkennung so großflächig plakettiert, dass es einem verdächtig vorkam

So wie Meißen mit dem Porzellan assoziiert wird und Glashütte mit Uhren, so schnell ließen sich Lüdenscheid die Orden zuordnen. Schon unter den Nazis war der Name der Stadt in der Herstellerliste der "Leistungsgemeinschaft deutscher Ordenhersteller" auffällig oft zu lesen; heute gibt es außer Steinlück noch eine weitere Firma dort, in der Orden hergestellt werden. Und wenn die Welt ziviler wie militärischer Auszeichnungen heute noch mindestens eigentümlich ist, so war sie speziell damals auch Schlimmeres.

Einerseits gab es diese Zeiten, in denen auch Gräuel mit Orden belohnt wurden, und später gab es einen Staat wie die DDR, in dem Anerkennung so großflächig plakettiert wurde, dass einem das schon aus Prinzip verdächtig vorkommen musste. Andererseits muss einem heute nicht gleich der Schrecken der Geschichte in die Glieder fahren, wenn mal wieder ein "Auslandsösterreicher des Jahres" ausgezeichnet oder eben ein Bundesverdienstkreuz verliehen wird. Es gibt ja auch allerhand unverdächtige Abzeichen, es gibt den Seepferdchenstolz - wie überhaupt der Mensch sich sonderbar gern mit Tieren schmückt.

Orden und Auszeichnungen gibt es also in vielen gesellschaftlichen Nischen und auf großer Bühne, und so schockt einen die Zahl kaum noch, die Ursula Kaiser und Arthur Rönisch in einem tatsächlich schmucklosen Raum hinter der Schelle zu Beginn eines Rundgangs nennen: 58 000 verschiedene Orden sind bei Steinlück bislang produziert worden. An den Produkten hinter dieser Zahl lässt sich auch die wechselhafte Geschichte des Landes nachempfinden.

Das Bundesverdienstkreuz gibt es in acht Stufen - doch es wird nicht mehr so häufig verliehen

"Ich bin die Großnichte", sagt Kaiser. Sie zeigt auf den alten Steinhauer, der auf einem Bild neben dem alten Lück steht. Ein Kaufmann und ein Techniker, wie bei vielen Familienunternehmen. 1889 ging es los mit Orden und Medaillen für Vereine, später folgten Ehrenzeichen für das Militär, für andere Staaten fast überall auf der Welt, dann für die Nationalsozialisten. "Das ist Teil unserer Geschichte: Wir haben auch damals produziert, wir mussten ja leben", sagt Kaiser. Nach dem Krieg habe Steinlück vor dem Ruin gestanden. Die damalige Geschäftsführung kaufte Spritzgussmaschinen, mit Kinderschmuck aus Bakelit und Läusekämmen rettete sich die Firma - bis die Vereinsmeierei in Deutschland sich mehr als nur erholte.

Und heute? In der Grafikabteilung wird gerade an einem Orden für Ben II & Lena Marie I gearbeitet, dem Bottroper Stadtkinderprinzenpaar. Nebenan hängen Rohlinge und Fertiges, eine mit Tieren besetzte Goldmedaille, laut Gravur "dem Jagdkönig" zugedacht. Nach Ennepe-Ruhr gingen Abzeichen, nach Darmstadt, der "Deutsche Jagdterrier Club e.V." orderte eine auf Altsilber getrimmte Medaille.

Fünfzig Jahre Vereinigung "Rund um die Burg Ravensburg" sind ebenso mit Metall gewürdigt worden wie alle möglichen Karnevalsgesellschaften vom tiefsten Westen bis nach Naumburg. Der Lions Club glänzt neben der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft. Innerhalb dieser hat sich im Bezirk Kreis Wesel des Landesverbandes Nordrhein die Ortsgruppe Dinslaken schimmernd hervorgetan, mit der Gravur "Rettungspokal Junioren", welche aber lediglich eine diesen Pokal begleitende Medaille ziert. Enigmatischer wiederum wird es bei einem Stück aus dem Jahr 2008, in jeglicher Hinsicht eine Spezialprägung, die auch beim dritten Lesen mit folgendem Schriftbild Rätsel aufgibt: "Westenmarshall Matthias XIV. von der Verpackungswelle mit Westenlady Nicole".

Unter den Sujets weit vorne liegt hier an den Wänden und in Vitrinen die Jagd. In Lüdenscheid wird für die "Guschu-Open" der Bayerischen Schützenjugend produziert, für die Jagdfreunde Untermosel, ja selbst Verlorenbringer werden separat gewürdigt, also Jagdhunde, die Niederwild auf Wundspuren folgen und apportieren.

Bei so vielen Spuren stellt sich die Frage: Gibt es Moden und Trends auch in der Auszeichnungsbranche? Natürlich gibt es die. Die Branche fertigt vermehrt Schmuckartikel für Jägerinnen, in gewissen Kreisen kommen Manschettenknöpfe wieder in Mode, zudem gibt es "immer mehr sportliche Großveranstaltungen, weil die Menschen aktiver geworden sind", sagt Arthur Rönisch, der Steinlück berät.

All die materialisierten Würdigungen können einem natürlich auch ein wenig muffig vorkommen. Aber, sagt Rönisch, den Menschen sei Wertschätzung auch heute noch wichtig, "bei Snapchat und Instagram, da geht es doch auch genau darum". Und auf einem anderen Level sei Wertschätzung noch immer mit Metall verbunden, nicht zuletzt deshalb seien Orden etwas Bleibendes.

Dass Orden nicht immer etwas Bleibendes sein müssen, auch davon erzählt die Geschichte, und insbesondere da, wo Orden von staatlichen Stellen verliehen werden. Nach seiner Verurteilung wegen Steuerhinterziehung ließ Uli Hoeneß, der damals im Gefängnis saß, seine Frau den Bayerischen Verdienstorden zurückbringen, jedoch erst nach einem mittelfreundlichen Hinweis aus der Staatskanzlei. Das bayerische Ordensstatut mahnt Träger zur Rückgabe, wenn sie "wegen einer auf ehrloser Gesinnung beruhenden Handlung" rechtskräftig verurteilt worden sind - und wie ehrenvoll oder ehrenlos Hoeneß gehandelt hatte, das mochte auch die Staatskanzlei nicht so gern öffentlich diskutieren.

Überhaupt kein Vergleich dazu können die Pannen und Fehlauszeichnungen sein, die es mit Verdienstkreuzen immer wieder gegeben hat, auch dem des Bundes. So wurde ein verurteilter Kriegsverbrecher und SS-Ehrenmitglied genauso gewürdigt wie ein Literaturwissenschaftler, der völkische Propaganda verbreitet hatte. Beiden wurden die Auszeichnungen wieder aberkannt, Letzterer war selbst danach nicht verlegen, jenen gefälschten Lebenslauf noch lapidar zu kommentieren, der ihm die Ehrung erst ermöglicht hatte. Er sagte: "Ich habe mich doch selbst entnazifiziert." Nicht aberkannt wurde hingegen die Ehrung des Kommunalpolitikers und gewesenen Mitglieds der Waffen-SS Heinz Eckhoff, die Johannes Rau vorgenommen hatte. Auch Eckhoffs Lebenslauf war von strategischer Unvollständigkeit, eine Sprecherin Raus sagte seinerzeit sinngemäß, das sei jetzt blöd gelaufen, die Länder müssten ihre Vorschläge eben besser prüfen.

Viel mehr weiß man über Vorgänge wie diese oft nicht, auch weil das Bundespräsidialamt traditionell sehr mit Auskünften spart. Bekannt ist aber, dass inzwischen tatsächlich sorgfältiger und auch unter Zuhilfenahme des Internets geprüft wird. Womöglich liegt darin ein Grund dafür, dass die Zahl der Würdigungen rückläufig ist. Karl Carstens brachte es zwischen 1979 und 1984 auf mehr als 30 000 Auszeichnungen, Richard von Weizsäcker zwischen 1984 und 1994 auf knapp 55 000. Horst Köhler überreichte noch jährlich mehr als 2000, Joachim Gauck in seinem letzten vollen Jahr als Bundespräsident 1318, nach ihm ging die Zahl noch weiter zurück.

Die acht Stufen des Verdienstordens von der Verdienstmedaille bis zu der Staatsoberhäuptern vorbehaltenen "Sonderstufe des Großkreuzes" gibt es jeweils in Ausführungen für Herren wie Damen. Unter den Ausgezeichneten aber hat sich der Frauenanteil über die Jahre kaum verändert, er liegt bei etwa 30 Prozent.

Mindestens doppelt so hoch fällt er bei Steinlück in Lüdenscheid aus, in der Führung, aber auch in der Produktion. Beim Besuch leisten gerade zwei Frauen ihren Dienst: Mit Engelsgeduld und kanülenbesetzten Spritzen färben sie hundertfach zartes Eichenlaub grün ein, das zunächst nur als Kontur auf Ansteckern vorhanden ist. Selbst die Flecken auf dem Boden unter ihnen wirken fein und mit Bedacht gesprenkelt, ein flummifarbenfröhliches Durcheinander.

Ist das Budget von Kunden geringer oder die Stückzahl enorm groß, wird nicht bemalt, sondern im Tampondruck betupft. Die Gewerke in der Herstellung reichen von solchen Feinstheiten bis zu einem "Lärmbereich", der tatsächlich als solcher beschildert ist. Messingplatten werden zugeschnitten, Kniehebelpressen setzen sich erbarmungslos durch, es gibt Nickel- und Goldbäder, Oxidbeize und Cyanspülen. Der Herstellungsleiter versucht geduldig, "sogenannte Bürstvorgänge" zu erklären und "das Prägen als Kaltverformen", aber am Ende hat man natürlich lange nicht so viel verstanden, dass man sich demnächst irgendwo in der Industriespionage andienen könnte.

Grob gesagt ist es meist so, dass ein Graveur in einen Stahlblock ein Ordenszeichen einarbeitet, dann wird gehärtet, geschnitten, geprägt, emailliert, poliert, galvanisiert. Schwer merken lässt sich der genaue Ablauf auch, weil die Ergebnisse des Bürstens und Badens einen immer wieder bannen, besonders tut das die diskusgroße Rassekaninchenmedaille, die einem der Herstellungsleiter beiläufig reicht und die so gewaltig ist, dass man sie in Gegenwart eines Rassekaninchens besser nicht fallen lassen sollte.

Die Rassekaninchenmedaille ist so groß wie ein Diskus. Also besser nicht fallen lassen

Diese Rassekaninchenmedaille ist eine gegenwärtige Ausprägung dessen, was es schon in Klostergemeinschaften und bei Kreuzfahrern an Würdigungen gab. Die Stadt Lüdenscheid war eine der Knopfproduktion und ist noch immer eine Stadt der Leuchten und des Lichts, aber sie ist eben auch eine der Orden und will es bleiben. Das Geschäft, sagen Kaiser und Rönisch, laufe einigermaßen konstant. Wenn man das Lager betrachtet, die Meterware schwarz-rot-goldener Kordeln oder solcher in Landesfarben, die Bandschluppen und Halsbänder, die Tausende Rohlinge und Klischees genannten Druckformen, dann wird einem schon bewusst, wie sehr das Auszeichnungsgewerbe zur Ordnung des Landes beiträgt. Und wenn der Hauptwerbespruch der Firma Steinlück, "Die mit den Orden", schon ein wenig ins Loriot'sche Fach fällt, steht ihm ein weiteres Motto darin kaum nach: "Wir produzieren Anerkennung".

So gehen die Saisons vor sich hin und ineinander über, die der Sportschützen, der Jäger, der Karnevalisten. Beim Besuch Anfang Juni zeigt der die Produktion überwachende Bildschirm eine Auslastung von 94 Prozent an. Nicht mitgerechnet ist da eine Kleinigkeit, die Steinlück in einer nicht anders als exklusiv zu nennenden geringen Stückzahl produziert hat. Es ist eine Auszeichnung, wie sie derzeit nur 39 Menschen in Deutschland bekommen können, ein Anhänger, der vergeben wird von der Firma Steinlück an Mitarbeiter der Firma Steinlück und der in seiner optischen Bescheidenheit einen passenden Namen bekommen hat. Das bisschen Silber heißt "der kleine Steinlück". Einen großen Steinlück, sagt Kaiser, solle es aber nicht geben.

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Quelle:
SZ vom 29.06.2019
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