Raucher:Süchtig, aber nicht krank

Rauchen ist gefährlich - jeden Raucher zum Patienten zu machen, geht allerdings zu weit.

Werner Bartens

Man muss die Bundesärztekammer dafür loben und tadeln, dass sie auf die Gefahren der Tabakabhängigkeit hingewiesen hat. Zum Lob: Rauchen ist eine tödliche Sucht. Weltweit gehen etwa fünf Millionen vorzeitige Todesfälle jedes Jahr auf das Rauchen zurück.

Raucher: Der Glimmstengel wird oft schöngeredet.

Der Glimmstengel wird oft schöngeredet.

(Foto: Foto: iStockphotos)

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass sich die Zahl bis 2030 verdoppeln wird - und dann drei Millionen Menschen in den Industrienationen und sieben Millionen in Entwicklungsländern an den Folgen ihres Tabakkonsums sterben werden. Rauchen ist aber auch für Passivraucher tödlich. Schon kleine Mengen Qualm können viel Schaden anrichten.

Wie schädlich Tabakkonsum ist, wissen Forscher seit langem. Infarkt und Schlaganfall, Asthma und Emphyseme, Krebs in Lunge, Kehlkopf und Speiseröhre, aber auch Fälle von Dickdarmkrebs werden darauf zurückgeführt. Mehr als 95 Prozent der Lungenkrebserkrankungen ließen sich vermeiden, wenn keiner rauchen würde. Die Bundesärztekammer unterstreicht besonders den Suchtcharakter des Rauchens und vergleicht es mit der Krankheit Alkoholismus.

Es ist verdienstvoll, auf das große Potential der Abhängigkeit hinzuweisen, denn noch immer gelten regelmäßiges Rauchen und Trinken als gesellschaftlich akzeptierte Verhaltensweisen. Erst wenn der Kontrollverlust und die Sucht im Alltag nicht mehr zu verbergen sind - und die Krankheit damit bereits weit fortgeschritten ist - schlägt Akzeptanz in Ächtung oder Verachtung um.

Raucher reden sich ihre Gefährdung schön. Ihr Risiko veranschlagen sie bei gleich null, denn jeder Raucher kennt jemanden mit einem Großonkel, der seit seinem 14. Lebensjahr täglich zwei Packungen Zigaretten geraucht und erst mit 90 Jahren friedlich entschlafen ist.

Warum also sollte man trotz des eigenen erheblichen Nikotinkonsums nicht ein ähnlich hohes Alter erreichen? Und jeder Raucher beteuert, dass er jederzeit sofort aufhören könnte, wenn er nur wollte. Diesen Unsinn zu entkräften, indem auf das Krankheitspotential des Rauchens hingewiesen wird, ist richtig und sinnvoll.

Heikel an der Erklärung der Bundesärztekammer ist aber, dass damit eine weitere Gruppe der Bevölkerung krankgeredet wird. Es ist die derzeit mächtigste Tendenz innerhalb der Medizin, immer mehr Menschen zu Kranken, potentiell Kranken oder Risikoträgern zu erklären.

Bisher beschwerdefreie Gesunde fühlen sich nur noch gesund auf Probe - getreu dem zynischen Motto: Es gibt keine Gesunden, sondern nur Menschen, die nicht ausreichend untersucht worden sind. Die Gesundheit als "Schweigen der Organe", wie der französische Chirurg René Leriche den Zustand der körperlichen Selbstvergessenheit bezeichnet hat, ist dann dahin. Das Wohlbefinden weicht einem argwöhnischen Hineinhorchen in den eigenen Körper.

Schon geringe Abweichungen des körperlichen, psychischen und sozialen Erlebens werden zu therapie- und kontrollbedürftigen Leiden erklärt. Die Entdeckung neuer Risikofaktoren und das inflationäre Absenken von Grenzwerten machen krank. So müssten nach Leitlinien der europäischen Kardiologen 90 Prozent der Erwachsenen Medikamente schlucken, weil ihr Blutdruck oder Cholesterin-Wert die erneut verschärften Richtwerte überschreitet.

Internisten identifizieren "Prädiabetiker", deren Blutzucker irgendwann zu hoch sein könnte. Die WHO-Definition von Gesundheit als "Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens" erweist sich so als Luftblase, denn wer in ständige Sorge um seine Gesundheit versetzt wird, wird sie schwerlich noch als solche empfinden.

Die Bundesärztekammer hat recht damit, auf die Gesundheitsgefahren und den Suchtcharakter des Rauchens hinzuweisen. Dieser richtige Ansatz rechtfertigt es jedoch nicht, flächendeckend - noch - beschwerdefreie Menschen krankzureden.

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