Ramadan:"Nach dem Fastenbrechen fallen Sie wahrscheinlich tot um wegen Übersättigung"

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Fastenbrechen in der Mevlana-Moschee in Delmenhorst (Archivbild) (Foto: picture alliance / dpa)

Heute Abend beginnt für Muslime mit einem Gebet der Ramadan, gefastet wird dann ab Sonnenaufgang. Mit ihrem Fastenkalender "Iftarlender" will Nadia Doukali Muslimen den Ramadan versüßen: ein Gespräch über Entsagung und Konsum in der Fastenzeit.

Interview von Julia Ley

Eigentlich gilt der Ramadan - analog zur Vorweihnachtszeit - als Zeit der Einkehr und Besinnung. Heute beginnt die Fastenzeit mit einem Gebet am Abend, gefastet wird dann ab Sonnenaufgang am Mittwochmorgen bis Sonnenuntergang - einen Monat lang. Wenn die Muslime abends zum Essen zusammenkommen, wird in diesen 30 Tagen in vielen Familien groß aufgetafelt, Lebensmittelhersteller berichten von sprudelnden Einnahmen und in vielen Familien werden teure Dinge verschenkt. Nadia Doukali ist als Kind mit ihren Eltern von Marokko nach Deutschland gezogen und lebt heute in Frankfurt. 2016 hat sie die erste Auflage des "Iftarlenders" produziert.

SZ: Frau Doukali, wozu braucht man einen Fastenbrechen-Kalender?

Nadia Doukali: Ursprünglich habe ich den Kalender für meine Kinder und mich erfunden. Er sollte uns den Ramadan versüßen und meinen Kindern etwas geben, womit sie die Tage zählen und sich auf das Fastenbrechen freuen können. Hinter jedem der 30 Türchen verbirgt sich eine Dattel in Milchschokolade. Das geht auf eine alte Tradition zurück: Das Fasten wird mit einer Dattel und einem Glas Milch gebrochen. Danach wird gebetet, erst dann gibt es Abendessen. Die Schokolade gibt zusätzliche Energie für das Gebet, fast wie ein Energieriegel.

Klingt eher nach Sport als nach Besinnlichkeit ...

Viele Nichtmuslime haben den Eindruck, im Ramadan geht es nur darum, auf Essen und Trinken zu verzichten. Aber das seelische Fasten ist genauso wichtig: Die Gedanken zu reinigen, gut zu Mitmenschen zu sein. Dabei hilft der Koran. Früher als Kind in Marokko war das ganz einfach, man hat den Koran ständig überall gehört. Ich hatte eine schöne, emotionale Beziehung dazu. Hier in Deutschland ist das Thema so aufgeladen: Man hat Angst, als Muslimin verurteilt zu werden, man wird beäugt. Ich wollte für meine Kinder und mich wieder eine Verbindung herstellen. Deshalb steht auf jedem Kalender-Türchen ein Wort, das etwas mit der Religion zu tun hat. Auf unserer Facebook-Seite kann man nachlesen, woher der Begriff kommt und welche Bedeutung er hat. Ich zitiere dort aber auch aus der Bibel und aus der Tora, um zu zeigen, wie ähnlich wir uns sind.

Eine Marktforschungsstudie aus dem Jahr 2013 zeigt: Ramadan ist gut fürs Geschäft. Bäckereien und Metzger gaben an, ihr Umsatz steige teilweise um mehr als ein Drittel. Und hinterher verdienen die Sportgerätehersteller, weil die Leute ihre Kilos wieder loswerden wollen. Ist das nicht absurd?

Die Frankfurterin Nadia Doukali hat einen Ramadan-Kalender erfunden: den "Iftarlender". (Foto: Farideh Fotografie)

Sie haben natürlich recht. Besinnung, Entsagung, Solidarität mit den Armen - das sind die Gründe, warum wir fasten. Trotzdem fallen Sie nach dem Fastenbrechen bei einer muslimischen Familie wahrscheinlich tot um wegen Übersättigung. Doch das hat alles Gründe: Wir haben große Familien, wir lieben es, Gäste gut zu bewirten. Und im Ramadan wird viel verschenkt. Etwa die Hälfte meiner Kalender wird verschenkt.

Der Islam gilt ja im Gegensatz zu vielen christlichen Traditionen, die Armut geloben, als durchaus konsumfreundlich.

Absolut. Es ist erwünscht, dass Menschen produzieren, handeln und Geld verdienen. Deshalb haben wir Muslime eine lange Tradition des Handelns. Der Basar spielt in Marokko eine riesige Rolle. Schon Mohammeds erste Frau, Khadija, war eine wohlhabende Unternehmerin und Kauffrau. Nun musste ich mich als Frau in einer Männerdomäne durchsetzen. Insofern hoffe ich, dass mein Beispiel andere Frauen inspiriert.

Wie verkauft sich der Iftarlender denn bisher?

Gut. Ich mache das jetzt im dritten Jahr und dieses Jahr kann man ihn in verschiedenen Supermärkten kaufen. Darauf bin ich sehr stolz. Ich habe wirklich darum kämpfen müssen, dass der Ramadan in die Geschäfte kommt. Kaum zu glauben: Wir Muslime sind in Deutschland die zweitgrößte Religionsgemeinschaft und es gibt keine schönen Dinge für uns! Jede andere Tradition wird vermarktet: Ostern, Weihnachten, der Valentinstag, der Vatertag. Aber die muslimische Mutter, die ihren Kindern den Ramadan versüßen will, findet im Supermarkt nichts!

Also dient der Iftarlender auch der Integration?

Er hilft zumindest, Muslime als Konsumenten sichtbar zu machen. Vielleicht fangen allmählich ein paar Firmen an, Muslime als Zielgruppe mitzudenken. Aber mir war auch etwas anderes wichtig: Der Kalender soll die Religionen verbinden. Daher auch mein Slogan: "United in chocolate - vereint im Genuss." Natürlich richtet sich der Kalender in erster Linie an Muslime. Aber er ist eben angelehnt an den Adventskalender. Das hat manche Muslime verunsichert, die sagen: "Wir dürfen doch andere nicht nachahmen." Denen antworte ich, dass der Adventskalender nicht explizit christlich ist. Jesus hat seinen Jüngern nicht befohlen, täglich Nussschokolade zu essen. Das hat sich eine Hausfrau erst viel später ausgedacht.

Sie vermarkten den Iftarlender auch als "koscher". Welcher Jude kauft sich denn einen Fasten-Kalender?

Als der Iftarlender auf den Markt kam, dachte ich: So, jetzt habe ich was getan, um Christen und Muslime zusammenzubringen. Aber was ist eigentlich mit den Juden? Wir sollten auch langsam einsehen, dass wir viel gemeinsam haben. Als ich als Kleinkind in Marrakesch lebte, kamen unsere jüdischen Nachbarn immer zum Fastenbrechen vorbei. An ihren Feiertagen haben sie uns dann Brote geschenkt. In Deutschland habe ich das ganz anders erlebt. Jeder lebt in seiner Schublade. Das wollte ich aufbrechen. Ich habe heute auch in Deutschland eine jüdische Nachbarin, die sich immer die Datteln aus meinem Kalender holt, weil sie weiß, dass die koscher sind.

Und wie halten Sie es persönlich im Ramadan: Klappt das mit der Besinnlichkeit?

Es ist wirklich grotesk. Als Muslimin frage ich mich immer, was Gott mir mit bestimmten Dingen sagen will. Ich habe den Kalender erfunden, um den Ramadan bewusster und ruhiger anzugehen und zum Nachdenken anzuregen. Aber seit ich das getan habe, gab es keinen einzigen besinnlichen Ramadan für mich mehr - weil ich so viele Anfragen beantworten muss und von Termin zu Termin hetze. Es gab Tage, an denen ich nicht mal fasten konnte, weil ich so viel gereist bin. Ich befürchte, dass es dieses Jahr nicht anders sein wird.

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