Psychologie:Glück vergeht - Qual besteht

Die Zeit heilt nicht alle Wunden: Einschneidende Ereignisse wie Scheidung und Jobverlust können Menschen offenbar nachhaltiger belasten als bisher angenommen wurde.

Nora Eichinger

Einschneidende negative Erlebnisse wie Scheidung oder Arbeitslosigkeit können die menschliche Psyche offenbar nachhaltiger belasten als bisher angenommen wurde.

Zu diesem Ergebnis kommt eine demnächst erscheinende Studie in der Fachzeitschrift Current Directions in Psychological Science des amerikanischen Psychologen Richard Lucas von der Michigan State University.

Die Ergebnisse widersprechen der seit den 1970er-Jahren in der Psychologie vorherrschenden Theorie, wonach der Mensch nach entscheidenden Ereignissen, ob Lottogewinn oder Unfall, nach einiger Zeit zu seiner ursprünglichen Gefühlslage zurückfindet.

Lucas wertete Bevölkerungs-Befragungen aus Deutschland und Großbritannien aus, die Zeiträume von 14 bis 21 Jahren umfassen.

Die Daten aus Deutschland stammen von etwa 40.000 Menschen, die einmal pro Jahr von Wirtschaftsforschern in einem persönlichen Interview zu ihrer Lebenssituation befragt wurden. Die britische Studie enthielt Aufzeichnungen von mehr als 27.000 Teilnehmern.

Das Ergebnis: Scheidungen verringern die Zufriedenheit eines Menschen auch dann noch, wenn Rosenkriege und akuter Trennungsschmerz längst vorüber sind.

Ebenso kann Arbeitslosigkeit dem Menschen dauerhaft auf die Stimmung schlagen, sogar wenn er wieder eine neue Stelle angetreten hat.

"Es gibt so etwas wie nachhaltige Narben", sagt Jürgen Schupp vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin, das die Daten für die Studie zur Verfügung gestellt hat.

Wer nach solchen Ereignissen weniger zufrieden ist als zuvor, fühlt sich darum jedoch nicht zwangsläufig unglücklich oder depressiv. Zudem gibt es große individuelle Unterschiede, manche Befragten waren nach den Veränderungen sogar glücklicher als zuvor.

Nur zwei Jahre Hochzeitsglück

Trotz seiner Resultate machen viele Ereignisse die Menschen im Durchschnitt tatsächlich weder glücklicher noch unglücklicher, betont der Autor der neuen Studie, Richard Lucas.

Hochzeiten zum Beispiel hätten keinen langfristigen Einfluss auf die Gefühlslage des Menschen.

Nach dem Hochgefühl der Flitterwochen, also in der sogenannten Honeymoon-Phase, rutschten die Vermählten nach durchschnittlich zwei Jahren in ihre ursprüngliche Gefühlslage zurück. Ein großer Teil der Zufriedenheit werde eben durch innere Faktoren wie Persönlichkeitsmerkmale und Gene bestimmt und sei somit relativ stabil.

Die Gründe dafür sind den Psychologen bekannt, seit der amerikanische Forscher Philip Brickman die These formuliert hat.

Gewöhnung kann langweilig werden, der Mensch sucht darum bald neue Herausforderungen, etwa in Form eines Seitensprungs.

Brickman verglich diesen Zustand mit einer Tretmühle, die den Menschen dazu veranlasst, sich immer wieder von neuem auf die Suche nach Glück zu begeben.

Da er sich an jedes Glück gewöhne, bleibe es unerreichbar. Bei negativen Erlebnissen kann die Anpassung jedoch überlebenswichtig sein: Lucas' neuer Studie zufolge brauchen Menschen, deren Partner gestorben ist, zwar im Schnitt sieben Jahre, ins Gleichgewicht zurück zu finden. Dann sind sie aber fast so zufrieden wie zuvor.

Scheidungen oder Arbeitslosigkeit haben damit langfristig einen schlechteren Einfluss auf die Zufriedenheit als der Tod des Partners.

Dabei spielen womöglich die Erwartungen der Menschen an ihr Leben eine große Rolle, vermuten Psychologen: "Witwe zu werden kann für Frauen mit hohem Alter ein erwartetes Lebensereignis sein", sagt Michael Eid von der Freien Universität Berlin. "Aber natürlich gibt es auch Personen, die sich von so einem Ereignis nie richtig erholen." Etwa wenn Ehemann oder Ehefrau in mittleren Lebensjahren sterben.

Auch für die nachhaltigen Auswirkungen der Arbeitslosigkeit finden Gemütsforscher mehrere Erklärungen: "Sicherlich spielt die Stigmatisierung eine große Rolle", sagt Jürgen Schupp. Der Verlust an Ansehen und Bedeutung kann ein anhaltendes Gefühl von Wertlosigkeit und Schuld hervorrufen, besonders bei Langzeitarbeitslosen.

"Möglicherweise führt der Jobverlust durch die belastende Situation zu Beziehungsproblemen", vermutet Michael Eid. Es sei auch möglich, dass eine Unsicherheit entsteht, wenn man erlebt, "wie schnell etwas passieren kann".

Darüber hinaus können die finanziellen Probleme oder ein erzwungener Umzug das Leben langfristig prägen.

Mit ihren Aussagen über das Glück möchten die Psychologen den Menschen keinesfalls die Hoffnung rauben, dass sich ihr Leben grundlegend verbessern könnte. "Es geht darum", sagt Michael Eid, "positive Eigenschaften von Menschen zu fördern, um negative Phänomene zu vermeiden."

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