Promitreff Kitzbühel:Kuhstallstube der Eitelkeiten

Der Stanglwirt in Going ist eine Art Alpen-Disneyland. Am Hahnenkammwochenende feiern hier die sogenannten VIPs ihre Weißwurstparty. Aber warum ziert das rustikal-dekadente Fest stets das Attribut "legendär"?

Philipp Crone, Going

Niki Lauda scheint sich über diesen Anblick zu amüsieren. Der ehemalige Formel-1-Fahrer hat gerade die Eingangshalle des Hotels Stanglwirt betreten, und nur Sekundenbruchteile später kann er nichts mehr sehen. 20 Fotografen umringen den kleinen Mann mit der blauen Baseballmütze und lassen den Österreicher im Blitzlicht erblassen. Lauda lächelt und schüttelt den Kopf. Wundert ihn dieses Spektakel etwa? Hier, an diesem Abend? Im Stanglwirt, dem VIP-Treff des Ganzjahres-Laufstegs Kitzbühel, und das am Weltcup-Wochenende mit seinen etwa 100.000 Besuchern?

Stanglwirt Kitzbühel 2011

"Hey, wir haben total viel Spaß": Der Weißwurstparty beim Stanglwirt eilt der Ruf voraus, legendär zu sein.

(Foto: Getty)

Verwunderlich ist eher, dass bei der 20. Auflage der sogenannten Weißwurstparty nach dem Auftritt des Nationalhelden wieder Ruhe einkehrt. In den vergangenen Jahren hat das Event mit seinen 3000 Gästen auch immer die mehr oder minder Bekannten und mehr oder noch mehr Betuchten angezogen wie eine Klebefalle die Mücken. Als Lauda mit Stanglwirt Balthasar Hauser die erste Weißwurst des Abends probiert und seine gewohnt inhaltslosen Aussagen in Mikrofone diverser Farben gesprochen hat - der Satz "Ich bin zum Abendessen da" kommt auf 13 Wiederholungen - ist der Wahnsinn für diesen Abend auch schon wieder vorbei.

Was folgt, ist eine rustikal dekadente Party, bei der nicht ganz klar ist, warum der Stanglwirt stets mit dem Attribut legendär verziert wird. Liegt es an den Gästen, dem Ort, dem Wirt? Die meisten Gäste an diesem Abend tragen Tracht und sind offenbar den Anblick von Uschi Glas oder Prinz Leopold von Bayern gewohnt. Begrüßungen sind ihnen wichtiger als Beobachtungen. Es scheint, als ob viele einfach glücklich darüber sind, hier zu sein. Männer klopfen auf Männerrücken und erkunden das Hotel wie Kinder einen Abenteuerspielplatz. Das 20 Meter lange Akkreditierungszelt, Zigarren-, Weißbier- und Schnapslounge und die zum Konzertsaal umgebaute Reithalle der Lipizzaner-Pferde.

Es ist das Reich von Stanglwirt Hauser, ein Fünf-Sterne-Hotel im Berghüttenstil, das an einem Abend im Jahr zur Weißwurstparty lädt. Hauser spricht von "Bardi", wenn er Party meint. Sein weicher Dialekt allein reicht aus, dass sich der Besucher in seinem Haus wohlfühlt. Das 400 Jahre alte Anwesen wirkt ein wenig wie ein in den Alpen gestrandetes Kreuzfahrtschiff, eine Art Alpen-Disneyland, ganz aus Holz.

Der Gast muss zur Freizeitgestaltung die Anlage - so groß wie 15 Fußballfelder - nicht verlassen. Es gibt eine Saunalandschaft mit tonnenweise Gestein aus dem Kaisergebirge, ein Meerwasserbecken mit zwei Schwarzspitzen-Riffhaien, ein eigenes Kasperletheater, Tennis- und Golfplätze, dazu die Kuhstallstube, in der man seinen Kaiserschmarrn unter den Augen wiederkäuender Rinder zu sich nimmt. Und natürlich eine Hall of Fame, die Hauser auf Fotos mit Buzz Aldrin, Sepp Blatter oder Muhammad Ali zeigt. Hier feierte Franz Beckenbauer Hochzeit, hier trainiert Wladimir Klitschko für Boxkämpfe.

Auf solchen Gästen beruht der Ruf des Stanglwirts. Im winzigen Ort Going, ein paar Kilometer nördlich von Kitzbühel, traf sich bis vor zwei Jahrzehnten zunächst nur die heimische Wintersportszene. Die Skifahrer wurden dann bekannter und füllten die Klatschspalten der Gesellschaftsmagazine. Und da sich die Damen und Herren aus diesen Spalten gerne zusammen zeigen, füllte sich Hausers Haus bald auch, mit Größen aus der Film- und Musikbranche. Als der Stanglwirt dann jährlich zur Party am Hahnenkammwochenende lud, stand neben der "Weißwurstparty" schnell das "legendär" in besagten Spalten.

Und die Gäste tun alles, um selbst irgendwie legendär zu wirken. Am Eingang legt eine Dame ihren Pelzmantel ab, der mit goldenen Initialen bestickt ist. Daneben steht ein Vater mit seinem etwa achtjährigen Sohn. Sie betrachten die Luxuskarossen, die vor dem Hotel stehen. Der Sohn: "Schau mal, ein Wiesmann MF5! Das neue Modell!" Die beiden schweigen begeistert.

Currywurst und Champagner

Ein paar Meter weiter steht eine junge Frau mit ihrer Freundin am Stehtisch und blickt sich gelangweilt um. Dann zückt sie ihr Handy und tippt: "Hey, wir haben total viel Spaß." Ein Mann mit einem dicken weißen Brillengestell auf der Nase hat offenbar wirklich Spaß, er schenkt seinen sechs Tischdamen im Minutentakt Champagner nach, so freizügig, dass ab und an ein paar Tropfen auf der maßgeschneiderten Elvis-Lederhose landen. Georg Weiss ist einer der vielen "Teilzeitresidenten", wie der Rosenheimer die Bewohner Kitzbühels nennt. Seine Eltern besitzen eine der größten Baumschulen Europas, Georg seit 20 Jahren eine Karte für die Weißwurstparty. Er fällt ein hartes Urteil: "In Kitzbühel ist doch nur beim Hahnenkammrennen was los." Und in diesem Jahr sei sogar der Stanglwirt ein kleine Enttäuschung. "Statt 3000 haben sie nur 2000 Gäste geladen."

Einer ist Matthias Sammer, der die Absage an den HSV mit Weißwurst und Weißbier begeht. Und natürlich Werner Mang, der Schönheitschirurg, der mühelos Laudas Satzwiederholungsrekord bricht. 16 Mal sagt er: "Tsunami-Schlauchbootlippen sind out." Er glaubt, der Trend in der plastischen Chirurgie gehe zurück zur Natur. "Weniger ist mehr."

Auf der Party ist mehr mehr. Es gibt alles, ob Currywurst oder Kaviar, Champagner oder Pils, Wiesnhits oder House-Gewummer. Nichts fehlt, originell ist anders. Ist den Gästen aber auch egal. Ebenso wurscht erscheint es, dass die erste Band des Abends einen Song der Spider Murphy Gang covert, das die Spider Murphy Gang als Hauptact später noch einmal anstimmt.

Gegen Mitternacht ist es den Gästen etwa so eng und heiß wie bei den Hunderten Weißwürsten im bronzenen Riesenkessel. Die Kellner kommen mit ihren Tabletts voller Kaviarkartoffeln in Goldfolie im Konzertsaal längst nicht mehr durch. Nur die Herrschaften im Diamantbereich haben einen gemütlichen Blick von oben auf das Treiben.

Georg Weiß steht eingeklemmt zwischen seinem Champagnerkübel und Gästen, er sagt: "120 Euro für eine Eintrittskarte sind zu viel, hier ist doch nichts geboten." Danach fragt hinterher aber auch niemand. Denn keiner will wissen, wie es war, entscheidend ist nur, ob man dabei war.

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