Süddeutsche Zeitung

Prominente bei Twitter:"Die Demokratisierung des Pupses"

Immer mehr Stars lassen das Internet an ihrem Privatleben teilhaben. Wieso viele Prominente begeisterte Twitter-Nutzer sind und welches Kalkül dahintersteckt.

Merlin Scholz

Auch Wochen später kriegen sich "mandalayboi" und "LeilaLoveRule" immer noch nicht ein. "Verdammt" schreiben sie, oder "ohhhhhlalalalala". Was die beiden da so in Entzückung versetzt, ist ein Foto von einem nackten Männerhintern.

Als Lenny Kravitz seinen Twitter-Account mit einem Foto von sich unter der Dusche schmückte, da gab es im Netz kein Halten mehr. Binnen kürzester Zeit machten die Fotos vom twitterfasernackten Rocker die Runde durch Foren, Blogs und Online-Newsportale.

"Hallo Welt! Mein Name ist Max Armstrong"

Und Kravitz ist bei weitem nicht der einzige Prominente, den das Zwitscher-Fieber gepackt hat. Starkoch Jamie Oliver wünscht seiner Frau wenige Minuten vor der Entbindung ihres dritten Kindes schnell noch alles Gute; Radprofi Lance Armstrong lässt seinen neugeborenen Sohn via Twitter verkünden: "Hallo Welt! Mein Name ist Max Armstrong und ich bin gerade angekommen. Meiner Mami geht es gut und mir auch" - und wer immer glaubte, dass das It-Girl Paris Hilton und der Autor Paolo Coelho ganz sicher nichts gemein haben, der wird durch das Internet eines Besseren belehrt: Beide sind begeisterte Twitter-Nutzer. Und sie haben ebenso begeisterte "Follower" - so heißen diejenigen User, die die Nachrichten eines anderen abonnieren.

Was macht die Möglichkeit, sich in gerade einmal 140 Zeichen - 20 weniger als bei einer SMS - der ganzen Welt mitzuteilen, für Prominente so reizvoll? Und wieso veröffentlichen Stars nun freiwillig Schnappschüsse von sich, für die jeder Paparazzo über Leichen ginge?

"Dahinter steckt natürlich ein Kalkül", sagt Jo Groebel, Medienpsychologe und Leiter des Deutschen Digital Institutes in Berlin. "Stars suggerieren ihren Fans so eine Authenzität, die sie vorher nicht besaßen." Wenn die Sängerin Lily Allen im Bett sitzend vor Fett triefende Spareribs verzehrt und sich dabei fotografiert, Paris Hilton davon erzählt, wie lieb sie ihren Freund hat oder Peaches Geldof ihre Katze knuddelt, sagen sie ihren Followern: "Hey, eigentlich sind wir genau wie ihr. Wir sind auch nur Menschen."

Dadurch finde eine Annäherung zwischen Fan und Star an, sagt Experte Groebel: "Den göttergleichen Star wie früher etwa Marlene Dietrich gibt es im Twitter-Zeitalter nicht mehr." Allerdings sei der heutzutage auch überhaupt nicht mehr gefragt.

Der Promi von nebenan

Denn vielmehr eifern die twitternden Prominenten dem Trend nach, den Castingformate im Fernsehen - von "Big Brother" bis "DSDS" - schon seit geraumer Zeit vorgeben: Der Fan verlangt heute nach dem Star von nebenan. Unnahbare Grazien sind out. Ob und wie viel Talent vorhanden ist, bleibt im Zweifelsfall egal. Menschen wollen Leuten zujubeln, die auch ihre Nachbarn sein könnten. Und sie wollen Stars, die sich - ob freiwillig oder unfreiwillig - auch mal selbst zum Deppen machen können.

Dies haben nun auch solche Promis erkannt, denen bis dato immer noch das divenhafte, glamouröse nachgesagt wurde, wie etwa Paris Hilton, die plötzlich via Twitter mit ihren Fans plaudert - oder dies zumindest vorgibt zu tun.

Denn natürlich wird dem Fan hier nur scheinbar direkte Nähe zu seinem Star vorgegaukelt. Niemals werden sich "babygirlparis", so der Twitter-Name der Hotelerbin, und Kayla, die im Zwitscher-Netz unter dem Namen "ParisHilton_Fan" firmiert, treffen - aber immerhin weiß Kayla, dass ihre Botschaften an Paris nichts ins Leere laufen. Blieb früher sorgfältig per Hand geschriebene Fanpost oft unbeantwortet, so antworten die Promis - oder ihre PR-Leute - den Fans heute direkt, manchmal innerhalb von nur wenigen Minuten.

Dass die Fans dem Gezwitscher ihrer prominenten Lieblinge gerne zuhören, lässt sich an Zahlen ablesen. Paris Hilton hat um die 140.000 Follower, Ashton Kutcher mehr als zwei Millionen. Tendenz steigend.

Stars entzaubern sich selbst

Das ist zwar noch nicht vergleichbar mit den weltweiten Leserzahlen klassischer Klatschmagazine, doch schon jetzt haben Prominente die Tragweite ihrer Twitter-Accounts erkannt und nutzen sie geschickt als PR- und Marketingsinstrumente. Britney Spears versieht Bilder von sich mit einem Link zu ihrer eigenen Website, Bands und Musiker wie Rapper Eminem erhalten Feedback auf ihre neuen Alben. "Die Reaktionen bei Twitter sind hervorragende Möglichkeiten, um schnell ein Bild vom eigenen Marktwert zu bekommen. Wie kommt das, was ich tue bei den Leuten draußen an? Das liefert einem kein Meinungsforschungsinstitut so schnell wie Twitter, zudem noch so günstig," sagt Medienexperte Groebel.

Andererseits kann das Gezwitscher aber auch nach hinten losgehen. Die Gefahr der "Demokratisierung des Pupses" nennt Groebel das. Was er damit meint: Stars entzaubern sich selbst, wenn sie im übertragenen Sinne jeden Pups von sich publizieren, zumal der Balanceakt zwischen Trash und Authenzität nur schwer zu meistern ist. So verlieren Stars nicht nur ihren Nimbus des Besonderen, sondern werden auch vergänglicher und austauschbarer.

Deshalb glaubt Groebel auch nicht, dass die multimediale Selbstinszenierung bei Twitter oder auch Youtube den klassischen Klatschjournalismus gefährden könnte: "Gerade weil Stars twittern und mit ihren Fans plötzlich in direktem Kontakt stehen, braucht es eine journalistische Einordnung des Ganzen. Klatsch und Tratsch machen nämlich ohne Süffisanz keinen Spaß. Da schlägt also mehr denn je die große Stunde der klassischen Medien."

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