Projekt Nichtraucher:Warum rauchen wir?

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Die Sinnfrage lautet: Will ich eine Zigarette rauchen oder muss ich eine Zigarette rauchen? Erst dann kann man wirklich aufhören.

Jürgen Schmieder

Einer der besten Texte, der jemals über das Rauchen geschrieben wurde, ist in der März-Ausgabe des amerikanischen Magazins Esquire abgedruckt. Er stammt von Tom Chiarella, der Titel lautet: "Learning to smoke" - das Rauchen lernen. Der Autor ist Professor an der DePauw-Universität in Greencastle, Indiana, und hat in den 46 Jahren seines Lebens noch nie eine Zigarette geraucht. Er will es lernen. Ja, richtig: Der Mann will das Rauchen lernen. Einen Monat will er das tun, dann wieder aufhören.

Warum rauchen wir eigentlich? (Foto: Foto: istock)

Chiarellas Projekt ist ungewöhnlich und deshalb beeindruckend, weil der Autor mit einer Ernsthaftigkeit an das Projekt geht - so als würde er ein Instrument lernen wollen. Das äußert sich in Sätzen wie: "Jetzt bin ich seit einer Woche ein Raucher - und zum ersten Mal hat es wirklich geklappt. Vielleicht habe ich bisher nicht korrekt inhaliert. Jetzt schon, ich konnte es regelrecht spüren." Er berichtet von skurrilen Erlebnissen am Flughafen (er wusste nichts vom Rauchverbot im Terminal), vom Streit mit seiner Freundin, die seit Jahren raucht, und von Zigarettengeschmäckern.

In der Mitte des Textes stellt sich Chiarella eine Frage, die so einfach ist, dass sie einem Raucher nur selten begegnet: "Will ich jetzt rauchen oder muss ich jetzt rauchen?" Chiarella will wissen, was da vorgeht in einem Raucher - und genau das würde ich auch gern wissen.

Klar, es gibt diese Momente, in denen man gerne raucht. Die kennt Chiarella genauso gut wie ich. Diese Zigarette nach einem guten Essen. Das genüssliche Rauchen, während man mit dem besten Freund am Kickertisch steht oder eine Partie Schach spielt. Die Kippe nach dem dritten Bier bei einem guten Gespräch. Um diese Zigaretten geht es nicht. Es geht um die 15 absolut unnützen Zigaretten, die man zusätzlich pro Tag inhaliert. Raucht man sie, weil man sie rauchen will - oder raucht man sie, weil man rauchen muss?

Ich habe deshalb das Experiment von Chiarella umgekehrt und versucht zu analysieren, wann ich Lust auf eine Zigarette verspüre und wann zwanghaften Drang. Auf diese Weise wollte ich die Form meiner Abhängigkeit ergründen, um wieder auf den rechten Weg zu kommen und die Aussetzer der vergangenen Wochen - ich habe ja wieder geraucht - zu begradigen.

Es war am Dienstag, als ich über einem Text saß und beinahe verzweifelte. Ich dachte mir: "Jetzt brauche ich eine Zigarette." Brauche, nicht will. Ein wenig später gab es eine Diskussion mit einem Kollegen, mein Gedanke: "Ich muss eine rauchen!" Muss, nicht will. Und als ich abends vor einem wichtigen Termin ein wenig nervös war, dachte ich mir, dass nur eine Zigarette mich wieder beruhigend könnte.

Da wurde mir eindeutig klar: Ich bin kein Genussraucher und kein Gelegenheitsraucher - sondern jemand, der süchtig nach Zigaretten ist, wenn es stressig wird. Genauso wie Chiarella, der am Ende seines Textes eine weitere wichtige Erkenntnis hat: "Ich vermisse das Rauchen immer noch. Den Geruch von Rauch an meinen Fingern. Das Päckchen in der Tasche. Dieses kleine High-Werden. Ich vermisse es." Wer einmal geraucht hat, wird nie mehr zum Nichtraucher.

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