Projekt Nichtraucher:Ich will eine Kippe! Jetzt!

Jeder, der mit dem Rauchen aufhört, kennt diese Situation: Man braucht eine Zigarette - und zwar hier und sofort. Es ist wie mit einer Ex-Freundin.

Jürgen Schmieder

Die Zigaretten und ich, wir haben eine Beziehung entwickelt, die man in der Partnerschafts-Psychologie mit dem Begriff "Sex mit dem Ex" umschreiben würde. Vor mehr als drei Wochen haben wir uns getrennt - in beiderseitigem Einverständnis aufgrund unüberbrückbarer Differenzen, wie ich glaubte.

Rauch in der Kneipe

Es war so schön: eine Kippe in der Disko und dabei die Menschen beobachten.

(Foto: Foto: dpa)

Im Film "Great Expectations" sagt Anne Bancroft zum verliebten Ethan Hawke: "Sie wird dein Herz brechen, das ist eine Tatsache. Obwohl ich dich warne." Nun brechen Zigaretten keine Herzen, sondern höchstens Lungenflügel, aber ich musste in dieser Woche dennoch an diese Szene denken. Denn Rauchentwöhnung ist dem Schlussmachen doch sehr ähnlich.

Zuerst sind wir uns aus dem Weg gegangen, dann habe ich den gesetzlich verordneten Mindestabstand genutzt, indem ich Nichtraucher-Kneipen aufsuchte. In den 36.000 Minuten der Trennung ging es mir geschätzte 35.900 Minuten lang prima. Das muss man erst einmal hinbekommen nach zehn Jahren leidenschaftlicher Beziehung.

Es gibt aber diese 100 Minuten und Gelegenheiten, die wohl jeder kennt, der versucht, mit dem Rauchen aufzuhören. Diese Momente, in denen eine Zigarette besser schmeckt als die Weihnachtsgans. In denen man die Augen schließt und währenddessen es einem vollkommen egal ist, dass man seiner Lunge gerade pures Gift infiltriert.

Bei mir war es am Montag zum ersten Mal so weit: Stress - ja, das kommt auch bei Journalisten hin und wieder vor - in der Arbeit. Alles musste schnell gehen, wir haben gemeinsam geschrieben, bebildert, kommentiert. Dann war Feierabend, der Druck war weg. Es gab ein Bierchen - und für die Kollegen eine Zigarette. Und plötzlich wirkte dieses acht Zentimeter lange Ding so verführerisch wie Hildegard Knef in "Die Sünderin", als sie für Gustav Fröhlich posierte. Ich weiß nicht, welche Reaktionen da im Gehirn ausgelöst werden.

Aber ich blieb standhaft - anders als meine beiden Mitstreiter Ralf und Lars, die ich bei dieser Gelegenheit noch einmal auf die Finger klopfen möchte. Ralf ist in der Verleugnungsphase und behauptet weiter, aufgehört zu haben, obwohl er fünf Zigaretten täglich raucht. Partnerpsychologisch heißt das "schönreden" oder "chronisch nostalgisch". Lars raucht weiter, als müsste er allein für Münchens Feinstaub sorgen. Das nennt man in Beziehungen "masochistisch-abhhängig".

Der zweite harte Moment traf mich am Dienstag nach dem Mittagessen. Es gab Schweinebraten mit Knödel und Sauerkraut, dazu ein Mineralwasser. Früher hätte ich mir nach solch feudalem Menü den Bauch gestreichelt und eine Kippe angezündet. Beinahe wäre ich schwach geworden, als ich die anderen sah, wie sie dastanden und an der Tabakröhre saugten. Aber ich konnte rechtzeitig flüchten.

Es folgten mehrere kleine Zwischenfälle - beim Pokern, im Stau, auf einer Party -, die mich ins Grübeln kommen ließen. Sind Zigaretten wie die erste große Liebe? Man versucht, sie zu verdrängen und zu vergessen, aber komplett gelingt es nie. Und zu den immergleichen Momenten kommt die Erinnerung hoch an die gemeinsame Zeit, die dann nur noch verklärt gesehen wird. Oder ist es doch nur Teil der Prüfung?

Ich habe mich jedenfalls kuriert - mit der "Clockwork Orange"-Therapie. Ich habe mir im Internet all die Schockbilder angesehen, die es über das Rauchen gibt: schwarze Raucherbeine, noch schwärzere Lungenflügel und gelbe Zähne. Schon war die Sehnsucht nach der Ehemaligen vergessen. Weg! Vorbei!

Da überstehe ich doch lieber diese Momente in dem Wissen, dass die Augenblicke ohne Zigarette besser und häufiger sind. Beim Fußball am Dienstag etwa wurde ich für meine unerwartete Laufbereitschaft gelobt - während Lars sich selbst auswechselte und aussah, als hätte er ein Sauerstoffzelt nötig.

Dennoch werde ich mir in der nächste Woche ein kleines Hilfsmittel holen: Nikotin-Kaugummis, um die Zigaretten aus meinem Leben zu verbannen. Das ist zwar unfair den Lungentorpedos gegenüber. Macht aber nichts. In der Liebe und beim Rauchen-Aufhören ist schließlich alles erlaubt.

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