Privates Crowdfunding:Das Projekt sind wir

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Aus vielen kleinen Beträgen kann beim Crowdfunding eine beachtliche Summe zusammenkommen. (Foto: picture alliance / dpa)

Geld für eine wichtige Operation, ein neues Auto oder sogar eine Hochzeitsreise: In den USA starten immer mehr Leute erfolgreiche Crowdfunding-Kampagnen, um sehr private Dinge zu finanzieren. Auch in Deutschland versuchen die ersten ihr Glück. Hilfreiches Werkzeug oder moderne Form der Bettelei?

Von Sonja Salzburger

Nina Kusstatscher fehlt von Geburt an ein rechtes Hüftgelenk. Ihre Ärzte sagen, es sei ein Wunder, dass sie überhaupt laufen kann. Aufgrund des fehlenden Gelenks ist ihr rechtes Bein acht Zentimeter kürzer als das linke, sie humpelt und leidet unter starker Arthrose. Als Kind wurde sie elf Mal operiert, ohne eine Besserung zu erfahren. Manchmal hat sie so starke Schmerzen, dass sie nicht einmal das Bett verlassen kann. Die Krankenkasse würde Kusstatscher ein künstliches Hüftgelenk bezahlen, aber die 34-jährige Bürokauffrau möchte sich nicht mehr auf den Operationstisch legen.

Nachzulesen ist ihre Geschichte auf dem Crowdfunding-Portal GoFundMe.com. Ihr Lebensgefährte Stephan Adam hat sie aufgeschrieben, denn er möchte seiner Partnerin unbedingt helfen. Das Paar ist überzeugt, eine alternative Behandlungsmöglichkeit gefunden zu haben. Bei der sogenannten Matrix-Rhythmus-Therapie wird das Gewebe im betroffenen Bein mechanisch gelockert und der Stoffwechsel angeregt. Die Therapie könnte Kusstatscher Erleichterung verschaffen, aber sie ist aufwändig und sehr teuer. Keine gesetzliche Krankenkasse ist bereit, das zu übernehmen.

Weil Adam und Kusstatscher die Behandlungskosten nicht selbst tragen können, hat Adam eine Crowdfunding-Kampagne gestartet. 40.000 Euro möchte er sammeln, um seiner Partnerin die Behandlung zu ermöglichen. Erfolgsgeschichten aus den USA haben ihn zu dieser Aktion motiviert. Fast täglich wird dort auf GoFundMe eine neue Kampagne eingestellt, bei der Kranke oder deren Angehörige um finanzielle Hilfe bitten. Oft kommt die gewünschte Summe innerhalb von wenigen Tagen zusammen. Adams Kampagne läuft bisher eher mäßig.

In USA funktioniert es besser

Dass private Crowdfunding-Kampagnen für medizinische Probleme in den USA erfolgreicher sind als in Deutschland, ist wenig überraschend. Schließlich ist das Gesundheitssystem in Amerika unterentwickelt und es ist dort weitaus üblicher, bei Schicksalsschlägen den Bekanntenkreis um Unterstützung zu bitten.

Geld für Angelegenheiten zu sammeln, die eigentlich Privatsache sind, dafür bietet die Homepage nicht nur im Krankheitsfall Gelegenheit. Auf der Seite gibt es etwa zwei Dutzend Spendenaufrufe aus Deutschland. Da ist der Sportler aus Postau, der sich für die Olympischen Sommerspiele in Rio qualifizieren will und nach Mäzenen sucht. Oder das Homo-Paar aus Mönchengladbach, das Spender sucht, um die Traumhochzeit zu finanzieren. Ein 27-jähriger Gamer aus Köln hat jüngst 250 Euro für einen neuen Nintendo gesammelt, den er angeblich ursprünglich von seinem verstorbenen Vater zu Weihnachten bekommen sollte.

"Die Leute schauen einfach mal, was funktioniert"

Als alternative Finanzierungsform für junge Unternehmen hat sich Crowdfunding im Jahr 2013 bereits etabliert. Anders als beim privaten Crowdfunding bekommen die Geldgeber hier normalerweise eine Gegenleistung, die je nach Projekt unterschiedlich aussehen kann. Bei künsterischen Projekten gab es bisher zum Beispiel eine Ausgabe des verwirklichten Buches oder eine kleine Statistenrolle in einem Fimprojekt. Bei technischen Projekten bekommen die Spender meistens das neue Produkt, für das sie vorab bezahlt haben. Die Schwarmfinanzierung hat in Deutschland im Vergleich zum Vorjahr um 250 Prozent zugelegt, insgesamt 15 Millionen Euro kamen laut Unternehmer-Blog Für-Gründer.de durch Privatinvestitionen zusammen. Dagegen wirken die Beträge, die hierzulande für private Angelegenheiten gesammelt wurden, winzig.

"Privates Crowdfunding in Deutschland befindet sich gerade noch in einer Ausprobierphase", sagt der Soziologe Stephan Humer, der sich in seiner Forschung mit dem Einfluss des Internets auf die Gesellschaft beschäftigt. "Die Leute schauen einfach mal, was funktioniert." Als moderne Form der Bettelei würde der Internetsoziologe das Phänomen aber nicht sehen, schließlich richten sich die Spendenaufrufe in erster Linie nicht an unbekannte Almosengeber, sondern an Familienangehörige und Freunde, die man auch offline um Geld bitten könnte.

Auch die Studentin Niniane Rheinfurth aus Berlin hat die Plattform genutzt, allerdings für ein kleineres Anliegen. Anfang Dezember kam ihr Ehemann ohne Winterjacke von der Arbeit nach Hause. Der Chef war nicht bereit, für den Diebstahl zu haften, wenig später verlor ihr Mann auch noch seinen Job. Das Paar hatte nicht genug Geld, um eine neue Jacke zu kaufen. Rheinfurth hätte ihre Mutter bitten können, ihr das Geld zu leihen, aber sie wollte lieber ausprobieren, wie ihre Facebookfreunde auf das Problem reagierten. Mit ihrer Kampagne "Let's keep my husband warm on christmas" rief sie zu Spenden auf. 200 Euro wollte sie haben, um ihrem Mann eine neue Jacke zu kaufen. 115 Euro kamen zusammen - auch das reichte, um Shoppen zu gehen.

Wenig Aufwand, verhältnismäßig viel Erfolg

Sachbearbeiterin Lena Feldkamp aus Hamburg hat vor kurzem eine Einladung zur Hochzeit ihrer besten Freundin aus Japan bekommen. "Ich habe mich zwar für sie gefreut, aber mein erster Gedanke war: Oh Gott, wie soll ich die Reise bezahlen?", sagt die 24-Jährige. Sie probiert nun ebenfalls ihr Glück auf GoFundMe. Und stellte eine einfache Rechnung auf: Bei Facebook hat sie ungefähr 200 Freunde. Wenn jeder davon fünf Euro geben würde, könnte sie die Reise locker bezahlen. Und sie muss sie nicht mal persönlich nach Geld fragen. Das käme für Feldkamp auch nicht in Frage, schließlich wolle sie niemanden in eine unangenehme Situation bringen. "Die Leute sollen sich nicht gezwungen fühlen, mir etwas zu geben."

"Seine Mitmenschen um Geld zu bitten, ist ein sozialer Akt, der immer Überwindung kostet", sagt der Soziologe Humer. Auf Internetseiten sind die Hemmschwellen niedriger und Menschen können mit relativ wenig Aufwand viel mehr Leute erreichen. "Wenn man Geld auf der Straße sammelt, ist die Situation weitaus weniger vorhersehbar", so Humer.

In Deutschland herrscht Skepsis

Stephan Adam konnte in den vergangenen zwei Monaten 510 Euro für seine kranke Lebensgefährtin sammeln. Ein bisschen mehr hätte er sich schon erhofft, so der 30-Jährige. Nachdem er den Link zu seiner Kampagne zum ersten Mal auf Facebook gepostet hatte, bekam er just zwei SMS von Freunden. "Die fragten mich, ob die Seite ein Fake sei", erinnert er sich. Viele seiner 300 Facebook-Freunde waren nicht bereit, den Link zu teilen. "Anscheinend sind in Deutschland viele Leute noch sehr skeptisch", sagt Adam.

Was auch daran liegen könnte, dass Spendenaufrufe für Luxusgüter wie Reisen, teure Hochzeiten oder einen Nintendo in der Regel eher wenig mit einem gemeinsamen Ziel zu tun haben als soziale Projekte oder Geschäftsbeziehungen. Doch diese Frage muss wohl jeder für sich selbst beantworten - indem er auf den Spendenbutton drückt oder eben nicht.

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