"Prinzen"-Sänger Krumbiegel:"Ich bin nicht mutig"

Der Leipziger Musiker über Zivilcourage, Gesine Schwan und wie es ist, als "Moralapostel" abgestempelt zu werden.

Merlin Scholz

Sebastian Krumbiegel, 42, ist Sänger der Leipziger Popgruppe "Die Prinzen" und engagiert sich ehrenamtlich unter anderem für die "Aktion Zivilcourage Sächsische Schweiz" oder die "McDonalds Kinderhilfe". Vor sechs Jahren wurde er selbst Opfer eines Gewaltverbrechens.

Sebastian Krumbiegel Zivilcourage

Politisch aktiv: Sebastian Krumbiegel wurde in die Bundesversammlung gewählt und wird am 23. Mai für Gesine Schwan als Bundespräsidentin stimmen.

(Foto: Foto: ddp)

sueddeutsche.de: Herr Krumbiegel, Sie setzen sich für mehr Zivilcourage ein. In "Zivilcourage" steckt "courage", das französische Wort für "Mut". Sind sie ein mutiger Mann?

Sebastian Krumbiegel: Überhaupt nicht. Vielleicht bin ich sogar eher ein Feigling.

sueddeutsche.de: Wie kommen Sie denn zu der Einschätzung?

Krumbiegel: Ein Beispiel aus der Vergangenheit: Als am legendären 9. Oktober 1989 rund 70.000 Menschen in Leipzig auf die Straße gingen, um für die friedliche Revolution zu demonstrieren, bin ich aus Angst nicht hingegangen.

sueddeutsche.de: Was war der Grund dafür?

Krumbiegel: An der Hochschule für Musik, wo ich damals studierte, hatten sie an die Tafeln - wohl auch zur Einschüchterung - geschrieben "Geht heute nicht zur Demo, heute wird geschossen". Das Massaker am Platz des Himmlischen Friedens in Peking war da ja gerade mal ein paar Monate her und da ich bei einer Demo zuvor schon mitbekommen hatte, wie hart Polizei und Kampfgruppen durchgriffen, war es ja auch irgendwie menschlich, dass ich da Schiss hatte. Im Nachhinein ärgere ich mich natürlich tierisch, dass ich nicht hingegangen bin. Unser Schlagzeuger zieht mich heute noch damit auf. Ein politischer Freiheitskämpfer bin ich ganz sicher nicht.

sueddeutsche.de: Trotzdem setzen Sie sich seit langem ehrenamtlich für Themen wie Zivilcourage und gegen Fremdenhass ein. Was motiviert sie dazu?

Krumbiegel: Jeder, der mit halbwegs offenen Augen durch Deutschland geht, merkt doch, dass es hier genügend gesellschaftliche Baustellen gibt. Nehmen Sie nur das Problem des Rechtsradikalismus. In Deutschland hat es seit der Wiedervereinigung mehr als 135 Todesopfer rechter Gewalttäter gegeben. Das ist für mich als politisch denkender Mensch einfach nicht hinnehmbar.

sueddeutsche.de: Das sagt sich aus der Distanz so leicht. Aber wie verhalten Sie sich, wenn vor Ihren Augen ein türkischer Busfahrer angegriffen wird?

Krumbiegel: Na, ganz sicher nicht wegsehen. Das wäre aus meiner Sicht unanständig. Ich verlange ja gar nicht, dass sich jetzt alle Leute Kung-Fu-Kenntnisse aneignen, damit unsere Gesellschaft sicherer wird - aber zumindest sollte man in so einer Situation Lärm machen, den Angreifern signalisieren, dass das so nicht geht, was sie da machen. Das Mindeste ist doch, dass man sein Handy rausholt und die 110 wählt. Vielleicht sehe ich das auch deshalb so, weil ich selbst schon mal mitbekommen habe, dass jemand eingeschritten ist, als man mir an die Wäsche wollte.

sueddeutsche.de: Sie wurden im Juni 2003 selbst Opfer eines Gewaltverbrechens. Was ist damals passiert?

Krumbiegel: Das war wohl das typische Beispiel von zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Ich bin in einem Leipziger Park von zwei Typen, Neonazis, brutal zusammengeschlagen worden. Da war purer Hass im Spiel. Wenn die gar nicht mehr aufhören, auf dich einzutreten, da bekommst du eine tierische Angst.

sueddeutsche.de: Sie hatten Glück, dass Ihnen jemand zur Hilfe gekommen ist.

Krumbiegel: Genau. Die Sache ist in der Nähe zur Straße passiert und ein Autofahrer hat das Ganze wohl mitbekommen. Der ist dann umgedreht und mit Lichthupe und Vollgas auf uns zu. Das hat gereicht, um die Typen zu verscheuchen. Und das ist genau das, was ich eben meinte. Der Mann ist ja nicht in den Nahkampf mit den beiden Typen getreten. Er hat sich einfach nur bemerkbar gemacht und mir damit vielleicht sogar das Leben gerettet.

sueddeutsche.de: Nach dem Überfall hat sich die Großmuter von einem der Täter bei Ihnen gemeldet. Wie ist es dazu gekommen?

Krumbiegel: Die Frau hat im Telefonbuch die Nummer meines Vaters gefunden, und ist mit mir in Kontakt getreten. Sie hat mir dann von ihrem Enkel, der wohl auch NPD-Mitglied war, erzählt: Die Mutter habe nie Zeit für ihn gehabt, der Vater war sowieso schon früh abgehauen - ein klassisches Schicksal, wenn Sie so wollen. Aber ich möchte das jetzt auch gar nicht hier öffentlich ausschlachten, das war schon sehr emotional und persönlich. Am Ende saßen wir beide heulend am Küchentisch.

sueddeutsche.de: Ganz abgesehen von solch krassen Gewaltverbrechen. Wo lohnt es sich noch, Zivilcourage zu zeigen?

Krumbiegel: Zivilcourage - das klingt ja immer so edel. Dabei fängt das schon bei ganz kleinen Sachen an. Zum Beispiel sollten Kinder schon in der Schule dazu ermutigt werden, entschlossen einzuschreiten, wenn ein Mitschüler gemobbt wird. Oder das Wahlrecht: Für mich ist der Gang zur Wahlurne schon eine Form der Ausübung von Zivilcourage.

sueddeutsche.de: Wie meinen Sie das?

Krumbiegel: Man muss sich klarmachen, dass man Dinge verändern kann, wenn man seine Stimme abgibt. Es ist einfach nicht genug, immer nur zu schimpfen, zu sagen: "Die scheiß Politiker da oben" und dann nicht zur Wahl zu gehen. Ich vertrete diese Ansicht auch deshalb, weil ich in der DDR noch scheindemokratische Wahlen mitbekommen habe.

sueddeutsche.de: Trotzdem sinkt vor allem auch in den neuen Ländern die Wahlbeteiligung. Haben die Menschen dort keine Lust, sich gesellschaftlich zu engagieren?

Krumbiegel: Auf der einen Seite haben ja gerade wir Leipziger erfahren, dass es möglich ist, mit friedlichem Einsatz ein ganzes System zu stürzen. Andererseits wird der Kapitalismus immer härter und Leute wie Ackermann, Zumwinkel oder auch viele Politiker erscheinen den Leuten verständlicherweise als unglaubwürdig.

sueddeutsche.de: Wie wirkt sich das auf die Gesellschaft aus?

Krumbiegel: Werte orientieren sich immer mehr am Bild der Ellenbogengesellschaft. Die Marschroute lautet: "Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied". Dabei müssen wir gerade in dieser wirtschaftlich schwierigen Phase solidarisch handeln. Es gibt nun mal Leute, die schwächer sind als andere und sich nicht so stark einsetzen können.

sueddeutsche.de: Ein Appell für mehr Zivilcourage in Zeiten der Krise?

Krumbiegel: Absolut. Und dass man zur Wahl geht und den richtigen Leuten seine Stimme gibt.

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sueddeutsche.de: Sie wurden von der sächsischen SPD als Wahlmann für die Bundesversammlung nominiert und werden am 23. Mai für Gesine Schwan als Bundespräsidentin stimmen. Gehört sie zu den richtigen Leuten?

Krumbiegel: Sie ist zumindest jemand, dem ich gut zuhören kann. Sie drischt nicht nur hohle Politikerphrasen. Beispielsweise vertritt sie eben die Meinung, dass nicht nur Politiker und Banker in der Verantwortung stehen, sondern dass jeder Mensch vor seiner eigenen Haustür Engagement zeigen kann.

sueddeutsche.de: Das klingt aber irgendwie doch nach Phrase. Was kann man mit Zivilcourage konkret erreichen?

Krumbiegel: Ein Beispiel: Wir veranstalten jedes Jahr am 30. April ein Konzert am Leipziger Völkerschaftsdenkmal unter dem Motto "Courage zeigen". Das haben wir 1998 ins Leben gerufen, weil dort eine Nazidemo stattfinden sollte und wir haben damals ganz blauäugig gesagt: "Hey, wir blockieren einfach den Platz, machen ein Festival und die Rechten können nicht demonstrieren." Und es hat tatsächlich geklappt. Tausende Leipziger sind gekommen und haben Zivilcourage gezeigt - mit dem Ergebnis, dass Christian Worch ...

sueddeutsche.de: ... Holocaustleugner und einer der führenden Köpfe der deutschen Neonazi-Szene ...

Krumbiegel: ... sämtliche Demos, die er für die nächsten Jahre angemeldet hatte, abgesagt hat, weil er feststellen musste, dass die Leipziger ihn in ihrer Stadt nicht dulden.

sueddeutsche.de: Sollte sich jeder Promi für eine gute Sache einsetzen?

Krumbiegel: Ich bin ganz sicher nicht der moralische Heilsverkünder, der anderen vorschreibt, wie sie sich in der Öffentlichkeit zu verhalten haben. Ich mache aber auch keinen Hehl daraus, dass ich persönlich mehr auf Künstler stehe, die sich engagieren. Leute wie Udo Lindenberg zum Beispiel - der macht nicht nur gute Musik, sondern transportiert auch eine Message.

sueddeutsche.de: Hat man Sie eigentlich angesichts ihres zahlreichen Engagements schon mal als Moralapostel bezeichnet?

Krumbiegel: So etwas kommt immer wieder vor, aber mit der Zeit wächst einem da ein dickes Fell. Wobei: Als ich bei "Hart aber fair" in der ARD zu Gast war und der Moderator Frank Plasberg mich gefragt hat: "Herr Krumbiegel, wofür setzen sie sich eigentlich nicht ein?", dann finde ich das schon nicht sonderlich charmant und denke mir, was will der Mann jetzt eigentlich von mir? Der soll sich doch mal angucken, wie ein Kind aussieht, das auf eine Landmine getreten ist.

sueddeutsche.de: Was gibt Ihnen ihr Einsatz ganz persönlich?

Krumbiegel: Ich bin zum Beispiel Schirmherr des Ronald McDonald Hauses in Leipzig, einer Einrichtung, in der schwerkranke Kinder, die weit weg von zu Hause behandelt werden müssen, zusammen mit ihren Eltern auf Zeit wohnen können. Wenn man dann die Ärzte sagen hört, die Heilungschancen der Kinder haben sich durch das Zusammenleben mit ihren Eltern enorm verbessert, gibt einem das persönlich ein gutes Gefühl, einfach zu wissen, dass man das Richtige getan hat. Ich will mich aber nicht als Held darstellen, für mich ist das ganz normal, dass ich mich engagiere. Aktiver Einsatz - das ist meiner Meinung nach der Weg. Die Hippies haben es damals mit ihrer "All you need is love"-Mentalität versucht und sind kläglich gescheitert.

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