Prävention und Aufklärung:Aktionismus gegen Dicksein

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Ernährungskampagnen haben noch selten Wirkung gezeigt. Viele Wissenschaftler schlagen deshalb vor, gesunde Nahrungsmittel zu subventionieren.

Martin Kotynek

Horst Seehofer, Bundesminister für Ernährung, will mit einem "Nationalen Aktionsplan Ernährung" auf den starken Anstieg der Zahl der Übergewichtigen in Deutschland reagieren. Zuvor hatte die SZ am Donnerstag von einer Studie der International Association for the Study of Obesity berichtet, wonach zwei Drittel der deutschen Erwachsenen als übergewichtig oder gar fettleibig gelten. Damit führt Deutschland erstmals die EU-Rangliste der Übergewichtigen an.

Zwei Drittel der Deutschen sind übergewichtig oder fettleibig. Das hat eine Studie der International Association for the Study of Obesity ergeben. (Foto: Foto: dpa)

Seehofer will in einer Regierungserklärung am 10. Mai die Eckpunkte des Aktionsplans vorstellen. Geplant ist, die Aufklärung zu verbessern und verstärkt zu informieren. Es gehe um ein höheres Ernährungsbewusstsein und mehr Selbstverantwortung, sagte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums. Zur Frage, ob weitreichendere Maßnahmen geplant seien, wollte er sich nicht äußern.

Schon unter Amtsvorgängerin Renate Künast setzte die Politik auf Information, was offensichtlich nicht zum gewünschten Erfolg geführt hat. "Die Erfahrung hat gezeigt, dass Aufklärung und Information nicht ausreichend sind, um unser Ess- und Bewegungsverhalten dauerhaft zu verbessern", sagt Manfred Müller, Ernährungsmediziner an der Universität Kiel. Johannes Hebebrand, Kinderpsychiater und Spezialist für Übergewicht an der Universität Duisburg-Essen, ist ebenfalls skeptisch: "Die wenigen Programme, die es bei uns gibt, richten nichts aus, weil sie den falschen Ansatz verfolgen. Da wird viel Geld versenkt."

Nutzlose Präventionsprogramme

Auf internationaler Ebene ist das nicht anders: Carolyn Summerbell, Ernährungsmedizinerin an der britischen Universität Teesside, hat weltweit 22 Programme, von denen einige auch in die Ernährungsgewohnheiten der Teilnehmer eingriffen, ausgewertet. Sie kam zu dem ernüchternden Ergebnis, dass "die überprüften Präventionsprogramme großteils keinen Einfluss auf das Gewicht der Teilnehmer hatten" (Cochrane Database of Systematic Reviews, Bd.3, S.1, 2005).

Doch Summerbells Studie bewog Forscher dazu, umzudenken: Zuvor galt es als Konsens, dass eine gesündere Ernährung und mehr körperliche Bewegung vor Übergewicht schützen. In Summerbells Analysen zeigten jedoch Programme, die bei Ernährung und Bewegung Verbesserungen erzielen wollten, keinen Effekt.

Anders war das bei Programmen, die sich auf nur einen der beiden Bereiche fokussierten: Sie zeigten einen geringfügig positiven Effekt auf das Gewicht der Teilnehmer. Für Hebebrand folgt daraus: "Ein effektives Präventionsprogramm muss sich auf eine einzelne, zentrale Botschaft konzentrieren. Und diese muss lauten: mehr bewegen." Ein gutes Programm müsse mit diesem Motto die breite Bevölkerung erreichen.

Einen anderen Ansatz verfolgt Andreas Fritsche, Ernährungsmediziner an der Universität Tübingen: "Wir können das Übergewichts-Problem nicht in den Griff bekommen, indem wir möglichst viele Leute dazu bringen, sich mehr zu bewegen." Fritsche hat beobachtet, dass selbst gute Präventionsprogramme bei vielen Teilnehmern - selbst bei hoher Motivation - wirkungslos sind: "Genetische Voraussetzungen haben einen wesentlichen Einfluss auf den Erfolg."

Lägen Gendefekte vor, die die Entstehung von Übergewicht begünstigen, könne auch Bewegung nichts ausrichten. "Wir müssen endlich weg von Nullachtfünfzehn-Krankenkassen-Programmen", fordert Fritsche. Stattdessen empfiehlt er, einzelne Risikogruppen gezielter anzusprechen: "Wenn wir für alle das gleiche machen, dann machen wir für viele zu viel und für die, die es eigentlich bräuchten, zu wenig." Individuellere Programme seien zwar teurer, aber effektiver.

Ampelsignale auf Lebensmitteln

Damit das Übergewicht in der Bevölkerung wirksam reduziert werden kann, müsse es auch zu weitreichenden gesellschaftlichen Veränderungen kommen: "Prävention kann nur erfolgreich sein, wenn die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen mitverändert werden", sagt Wolfgang Ahrens vom Bremer Institut für Präventionsforschung.

Die Forscher stimmen den Vorschlägen der Weltgesundheitsorganisation WHO zu, energiereiche Nahrungsmittel weniger zu bewerben: "Auch bei Rauchen und Alkohol war diese Maßnahme effektiv", sagt Hebebrand. Fritsche fordert außerdem eine einfachere Kennzeichnung von Lebensmitteln nach einem Ampel-System: "Mit der jetzigen Kennzeichnung kann niemand etwas anfangen."

Die Wissenschaftler schlagen auch vor, gesunde Nahrungsmittel für Einkommensschwache zu subventionieren und den Zugang zu Bewegungsangeboten zu erleichtern. Bei Informations- und Aufklärungskampagnen dürfe es nicht bleiben, fordert Hebebrand.

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