In Saal E.37 des Münchner Oberlandesgerichts spielte sich neulich Erstaunliches ab: Die Eltern der vierjährigen Jasmina, das Ehepaar E., klagten gegen die Ärzte einer Spezialklinik, weil sie finden, die Ärzte hätten die Behinderung ihrer Tochter erkennen müssen. Jasmina hat Trisomie 21, zudem einen komplexen Herzfehler und eine Gefäßerkrankung, und die E.s sagen, sie liebten Jasmina zwar sehr, aber wenn sie das gewusst hätten, dann hätten sie die Schwangerschaft abgebrochen.
Der Fall der Familie E. ist kein Einzelfall, und man muss nicht selbst Vater oder Mutter eines behinderten Kindes sein, um sich die Frage zu stellen: Wenn Eltern, die ihr Kind lieben, dagegen klagen, dass es überhaupt geboren wurde - was ist dann bloß schief gelaufen in unserer Gesellschaft?
Es gibt einen juristischen Begriff für solche Fälle, er lautet "Kind als Schaden". Juristendeutsch ist der Versuch, das Schlechte und Schiefgelaufene in unemotionale Worte zu fassen, aber manchmal klappt das nicht. Manchmal verstärken die Worte die Emotionalität. Die Zeitungen schrieben am Tag nach dem Prozess: Während drinnen die Eltern unter anderem auf 10 000 Euro Schadensersatz wegen Jasminas Geburt klagten, tollte Jasmina draußen fröhlich auf dem Flur herum, Jasmina: "der Schaden".
Die Zahl derartiger Prozesse nimmt derzeit zu in Deutschland, und wenn man wissen will, warum, ist es aufschlussreich, den Anwälten der beiden Parteien im Fall E. zuzuhören. Die Frage nach dem Warum ist ohnehin die, die sich die Menschen am häufigsten stellen, und natürlich gibt es auch in dieser Sache noch weitere Warum-Fragen: Warum überfordert uns der beachtlich rasante Fortschritt der pränatalen Medizin derart? Warum glückt die Aufklärung dazu nicht? Warum fordern manche ernsthaft, die öffentliche Förderung für neue Testverfahren einzustellen, also den Fortschritt zu stoppen? Und: Stimmt der Satz, manche angeborene Behinderung müsste "doch heutzutage nicht mehr sein"? Wer sich mit all diesen Fragen beschäftigt, der spürt schnell: Es geht hier um ein Thema, das nicht nur werdende Eltern angeht, sondern die ganze Gesellschaft.