Post aus Israel:Schmetterling isst Perserohr

Ausnahmezustand in Tel Aviv: Die Leute trinken, tanzen, ziehen sich verrückte Sachen an. Schließlich gibt es Großes zu feiern: Purim!

Julia Amalia Heyer

Ehrlich gesagt fällt es mir gerade ein bisschen schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Es fällt mir gerade auch ein bisschen schwer, zu schreiben. Dieses Mal liegt es aber nicht am politischen Dilemma in Nahost. Sondern am Schlafmangel. Eventuell am leicht übermäßigen Alkoholgenuss in den letzten Tagen.

Heyer

Unsere Autorin flatterte als Schmetterling über das Purim-Fest.

(Foto: Foto: Heyer)

Schließlich ist Purim. Angekündigt als "das Fest der Feste". Von allen. Immer wieder. Seit ich hier bin. Seit Oktober. "Are you still here on Purim?", wurde ich gefragt. Mein Nicken mit selig-vorfreudigem Lächeln quittiert: "Good."

Laut meinem Freund Oz geht es bei allen jüdischen Festen darum, dass "irgendeiner wieder versucht hat, uns auszurotten, wir aber überlebt haben". An Purim wird der Sieg über den bösen Perser Haman gefeiert. Im Buch Esther steht, er habe versucht, das gesamte jüdische Volk im Reich von Xerxes I. an einem Tag zu vernichten.

Ahmadinedschad sollte sich hüten: Zur Strafe werden Hamans Ohren jetzt jedes Jahr in Form von saftigen Mürbeteigkeksen, Hamantaschen genannt, verzehrt. Die sind gefüllt mit Mohn, Dattelmus, Schokolade oder Nüssen. Nimmt man die Masse Mürbeteig, die ich in den letzten Tagen verdrückt habe, vorzugsweise mit Schokolade und Nüssen, kann man mir als gute Deutsche ein Helfer-Rächer-Syndrom attestieren. Im Moment ist mir allerdings eher übel.

Erinnerungsmahl mit Trinkgelage

Auch sonst bin ich sehr beflissen dem Protokoll für dieses jüdische Fest gefolgt: Dem hehren Ziel der "größtmöglichen Freude" gewidmet, ist Purim ein "Gedenkvergnügen". Oder schlicht und einfach: Ausnahmezustand. Überall. Man verkleidet sich. Es wird gefeiert und getrunken. Möchte sagen: Viel gefeiert. Sehr viel getrunken.

Freitagmorgens um fünf wanke ich auf der überfüllten Lilienblum-Straße in grober Richtung meines Lieblings-Shwarma. Sami, marokkanischer Jude und Pirat mit Augenklappe um den Hals, erklärt mir lallend und säbelfuchtelnd sein Leben und die Philosophie von Purim. Besonders wichtig sei das Trinken. Frei nach Megilla 7b des Talmuds: Bis man nicht mehr weiß, was rechts und wo links ist. Im Buch Esther ist das Erinnerungsmahl als Trinkgelage beschrieben.

Ich komme von der zirka zehnten Feier. Irgendwann, als es noch nicht so spät, beziehungsweise früh war, war ich ein Schmetterling. Ganz oft ein tanzender. Immer ein trinkender. Jetzt halte ich meine geknickten Flügel in der linken Hand. In der rechten den schalen Rest einer Flasche Goldstar-Bier. Oder umgekehrt? Meine Freundin Leora, ein Fliegenpilz, habe ich an einen leicht derangierten Vicomte de Valmont verloren. Vielleicht war es auch Mozart.

Trotz Vorankündigungen war ich ein bisschen unvorbereitet. Hatte das Ausmaß dieses Freudenfestes unterschätzt. Wusste nicht, dass ganz Florentin zum Open-Air-Klub wird. Dass meine Straße zur Theke einer gigantischen Freiluftbar umfunktioniert werden kann. Dass Engel am Strand ihre Flügel abschnallen, um bequemer zu liegen. Und sich den Heiligenschein als Sonnenschutz auf die Stirn legen. Dass der Teufel mit dem Cowboy dort Wasserpfeife raucht.

Eigentlich war ja auch Ostern. Gern hätte ich die Ketchup-Boys in Jerusalem bei der Karfreitagsprozession gesehen. So werden die professionellen Jesus-Darsteller auf der Via Dolorosa genannt. Und ja, ich weiß, es gibt Menschen, die reisen extra deswegen ins Heilige Land. Und da ich hier bereits wohne, hätte ich ... Aber wie gesagt, es ist ein bisschen später geworden, Donnerstagnacht. Außerdem war ich am Freitagnachmittag zum Frühstück auf ein Bier mit einem Froschkönig verabredet.

Dann war's auch schon wieder dunkel. Party in Neve Tsedek. Dachterrasse. Ein Haredi mit weißem Preisschild am schwarzen Hut gröhlt "Billy Jean". Ich trete barfuß in eine Hamantasche. Sehr viel mehr weiß ich nicht mehr.

Ich mag Purim. Aber jetzt muss ich erst mal schlafen. Und dann rekonstruieren, wo ich mein Handy verloren haben könnte.

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Schmetterling isst Perserohr

Die erträgliche Leichtigkeit des Seins

Purim in Tel Aviv

Purim in Tel Aviv: So richtig scharf schauen kann am Ende keiner mehr.

(Foto: Foto: Heyer)

Manchmal ist Gaza so weit von Tel Aviv entfernt wie Stuttgart. Und manchmal ist das auch ganz gut so. "Sonst würde man sich hier ja eine Kugel in den Kopf jagen", sagt eine Bewohnerin.

Wir sitzen auf barhockerhohen Stühlen vor einem dieser typischen kleinen Tel Aviver Kiosk-Cafés, die mein Freund Eytan "Hedonisten-Oasen" nennt. Strahlende Sonne, mediterraner Streichelwind, vor uns zwei riesige Gläser Limonade. Gestoßene Zitrone, pürierte Minze, Eiswürfel, Beatles aus den Lautsprechern: "Here comes the sun".

Die Bekannte ist aus Deutschland nach Israel emigriert: Kein Bock mehr auf graue Kälte. Heine als Subtext: Selbst der Sommer dort ist grün angestrichener Winter. Fürs "easy living" nach Israel zu gehen, ist ein Witz. Und zwar ein schlechter. Außer man zieht nach Tel Aviv.

Der erste Mensch, der mir im Oktober hier begegnete, trug ein T-Shirt mit der Aufschrift "Life's a beach". Mitte März: 20 Grad aufwärts. Die Surferdichte nimmt beständig zu. Des Frühlings blaues Band ist hier ein Kite-Segel. Adonisch gebaute Menschen mit Brett unterm Arm gehören zum Stadtbild. Und mittlerweile sehen sie, wenn sie in ihren Wetsuits durch die Innenstadt tappsen, auch nicht mehr wie verirrte Amphibien aus. Das Neopren ist leichteren Stoffen gewichen.

Vielleicht habe ich mich auch nur an den Anblick gewöhnt. Meer und Strand waren für mich bisher eher Urlaub als Alltag. Gewöhnt habe ich mich auch daran, auf dem Bürgersteig Fahrrad zu fahren. Im Schneckentempo, einhändig, Telefon in Walkie-Talkie-Position vor dem Mund. Machen alle so. Ich jetzt auch. Allerdings beidhändig, wegen der fetten Acht in meinem Hinterrad nach Zusammenstoß mit einem Taxi. Ganz ungefährlich ist das eben nicht. Wegen der Vorliebe der Tel Avivis für sogenannte Kampfhunde. Im Zweifel kollidiere ich lieber mit einem Automobil als mit einer dieser kurzbefellten, blaugeäderten Anabolikatölen, die hier maulkorbfrei ihre Tonnen-Beißkraft-Kiefer ausführen.

Leben in the Bubble

Vieles ist anders hier, in der "weißen Stadt". Anders als im Rest des Landes. Und ganz anders als in Jerusalem. Zur Verdeutlichung: In der Heiligen Stadt hatte ich Schwierigkeiten, mein Shampoo der Marke eines großen französischen Kosmetikkonzerns zu finden. Hier gibt es in dem kleinen Lädchen um die Ecke Rotbäckchen-Saft von Rabenhorst.

The Bubble - die Blase, wird Tel Aviv genannt. Der Konflikt scheint hier fern. Das Leben ist schön. Die Menschen auch. Überdurchschnittlich. In der ersten Woche, nach meinem Umzug, fand ich Tel Aviv als Stadt nur hässlich. Mittlerweile finde ich es wunderbar. Eine Freundin, die hier für eine Weile lebte, sagte, es sei die lebenswerteste Stadt der Welt. Große Worte - nicht allzu weithergeholt.

Auch wenn dieser Titel laut Tyler Brûlés Edelgazette Monocle an München geht. Ich habe den direkten Vergleich - und ziehe Tel Aviv klar vor. Es gibt hier etwas, das in München eher selten ist: Vielfalt. Echte. An Gesichtern, Plätzen, Kleidung. Hier sitzt die blonde Bar-Rafaeli-Schönheit neben Prinzessin Scheherezade. Hier gibt es das Café Tamar mit bröckelndem Charme aus der Mandats-Zeit und die edelstahlglänzende Sushi-Lounge. Hier werden noch Plateauschuhe aus der Zeit verkauft, als Dr. Motte und der Berliner Senat sich nicht über die Müllbeseitigung bei der Loveparade stritten.

Außerdem gibt es hier so gut wie keinen Schabbat. Jedes Wochenende, das ich in Tel Aviv verbringe, mache ich drei Kreuze. Vor Glück. Als Außenstehender, soll heißen: als nichtjüdischer, nicht in Israel lebender Mensch, kann man gar nicht ermessen, was das bedeutet. Welch triste Wochenend-Existenz man als hier lebende Nichtjüdin ohne Familie führen kann. Wenn es jeden Freitagnachmittag in Jerusalem und im jüdisch dominiertem Rest des Landes heißt: Rien ne va plus. Und sich die Feiertagsruhe wie eine Zwangsjacke (samt Fußfessel) über unternehmungslustige Ungläubige ohne Auto und Heimkino senkt: Depression und Spaghetti ohne Sauce.

Natürlich gibt es auch in Tel Aviv Unannehmlichkeiten: Die Granatapfelsaison ist vorbei. Der tiefrote Saft wird teurer.

Schmetterling isst Perserohr

Strand von Tel Aviv; Heyer

Easy living: Surfen in Israel

(Foto: Foto: Heyer)

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Schmetterling isst Perserohr

Der Schuh der Erkenntnis

Alle unsere Einsichten sind nachträglich, schreibt Rilke. Wenn das stimmt und wir alle ziemlich orientierungslos durch die Gegenwart tappen, sage ich: Wenigstens sammelt man etwas Erkenntnis auf dem Weg.

Ich bin seit fünf Monaten in Israel und bleibe auch noch ein bisschen. Zu ein paar Erkenntnissen bin ich schon gelangt. Sollten diese nachträglich wieder von mir revidiert werden, dann verzeichne ich das unter meinem Lieblings-Heraklit: Panta Rhei. Alles fließt.

Die Einsicht, dass es sehr schwer ist, über Israel zu schreiben - und zwar egal was und in welcher Form -, war alles andere als "nachträglich". Sie kam sehr schnell. Vielleicht war sie schon da, als ich noch auf mein Gepäck im Ben-Gurion-Flughafen wartete. Aber eben in eher abstrakter Form.

Es ist schwer, über Israel zu schreiben, weil es schwer ist, seine Gedanken zu diesem Thema irgendwie zu ordnen. Sprich, in irgendeiner Kategorie unterzubringen. Und je länger man sich mit diesem Land, mit dieser Region beschäftigt - nicht zuletzt weil man dort lebt -, desto schwieriger wird das mit der Einordnung. Jeder hat seine Sicht auf die Dinge: der Druse an der libanesischen Grenze, die Tel Aviver Beach-Zionistin, der Beduine bei Be'er Sheba, der Palästinenser in Nazareth, der Ultra-Orthodoxe in Tsfat ... und so fort.

Man hat irgendwann den Overkill an verschiedenen Ein-Sichten. Und immer noch lange nicht genug, um irgendetwas endgültig beurteilen zu können.

Man muss nicht als Mitglied der "Foreign Press" mit einer amerikanisch-jüdischen Medienorganisation eine Tour entlang der Sperranlagen unternehmen und von einem Sprecher der israelischen Armee vom Schrecken palästinensischer Selbstmordattentäter überzeugt werden. Es genügt ein Spaziergang mit einem israelischen Freund oder einer Freundin am Strand von Tel Aviv. Noch nie und mit niemandem bin ich einfach so am Dolphinarium vorbeigegangen. Ohne gefragt zu werden: "Do you know what happened here?"

Hier sprengte sich in einem Klub 2001 ein Hamas-Mitglied in die Luft. 21 Menschen wurden getötet. Das Areal um das frühere Vergnügungsbad sieht immer noch traurig aus.

Seit ich hier bin, hat es zwei Anschläge innerhalb Israels gegeben: Dimona, Anfang Februar und das Attentat in der Yeshiva in Kiryat Moshe, Jerusalem, vergangene Woche. Beide Male war es ähnlich: Eine SMS von irgendjemandem an irgendjemanden in der Nähe: Attentat. Schreckensminuten. Was? Wo? Es wird telefoniert und sich in Trauben um das nächste Radio gedrängt.

Ich kann nur erahnen, wie das zu Hochzeiten der zweiten Intifada gewesen sein muss. Jeder hat Familie, Freunde, Bekannte, die ab und an Bus fahren, Kaffee trinken oder tanzen gehen.

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Schmetterling isst Perserohr

Post aus Israel: Life is a beach - am Abend in Tel Aviv

Life is a beach - am Abend in Tel Aviv

(Foto: Foto: Heyer)

Traumatisiert durch "Menschenrazzien"

Zwei Tage bevor ein Palästinenser mit israelischem Pass acht Thora-Studenten in Jerusalem erschießt und in manchen israelischen Medien die Frage einer dritten Intifada eruiert wird, sitze ich mit Majdi in der Sonne auf zwei wackligen Stühlen über den Dächern von Nablus.

Unter uns die Altstadt mit ihren verwinkelten Gassen, dem Souk und den "Märtyrerplakaten" überall. Rechts der Berg Jarzim, links der Berg Ebal. Majdi ist "Civic educational trainer" einer von der EU unterstützten NGO. Er liebt Nablus, er ist dort geboren. "Wie mutig von dir, hierhergekommen zu sein", sagt er ironisch. Ins Zentrum des Terrors, wie Nablus oft genannt wird. Tatsächlich hatten mich meine israelischen (und auch die ausländischen) Freunde gewarnt. Oder schlicht für verrückt erklärt: "Nach Nablus? Jetzt? Du spinnst!" Mehr "Ein-Sicht", dachte ich.

Majdi erzählt, immer leicht sarkastisch, vom Leben in seiner Stadt. Wie die jahrelangen Ausgangssperren seinen Horizont verengt hätten: "Vielleicht sollte ich anfangen, LSD zu nehmen." Wie schwierig und traurig die Arbeit mit traumatisierten Kindern sei. Traumatisiert durch die nächtlichen "Menschenrazzien", die die israelische Armee in Nablus durchführt. Ein Kind verstehe eben nicht, sagt er, warum es mitten in der Nacht, die Arme ausgestreckt, mit dem Gesicht an die Wand gestellt werde. Dass er "dafür" aber zum Checkpoint-Experten geworden sei.

Zurzeit sind die 200.000 Einwohner von Nablus, der größten Stadt in der West Bank, von sieben Checkpoints umschlossen. Als Majdi den Lieblingssatz aller Nostalgiker ausspricht, klingt er nicht verträumt, sonder bitter: "Früher war alles besser", sagt er. Die Besatzung der Israelis sei auch damals schon Besatzung, und damit per se unschön, gewesen - aber es hätte noch Berührungspunkte im Alltagsleben gegeben. Am Wochenende am Strand, zum Beispiel. Da sei die palästinensische Familie aus Nablus neben der israelischen aus Netanya gesessen.

Seit die Israelis alles abgeriegelt hätten, dichtgemacht mit Mauer, Zaun und Ausgangs-, beziehungsweise "Bewegungssperren", sieht er nur noch wachsenden Hass. Auf beiden Seiten. "Für die sind wir die Terroristen, und für uns symbolisiert Israel die Schreckensherrschaft einer Besatzungsmacht." Schlimm sei das für die heranwachsenden Generationen, die nichts anderes kennen würden.

Bevor ich mich wieder auf den Weg durch die langen Gittergänge des Huwwara-Checkpoints zum Bus nach Ramallah mache, essen wir zusammen eine Portion Kunafeh. Vom gebratenen Ziegenkäse mit der Kruste aus karamellisierten Hartweizennüdelchen, Spezialität in Nablus, träume ich seither.

Die Erkenntnis, dass es trotz allem eine Sache gibt, die Menschen jeglicher Couleur in Israel und Palästina gemeinsam haben und die meine Monate hier empirisch belegen, ist fast schon makaber: Es ist ein Schuh. Ein Plastik-Schlappen mit großen Löchern, den man in sämtlichen Nuancen des Farbenspektrums überall erstehen kann. Eine Mischung aus Birkenstocklatschen und schwedischem Holzpantoffel, sieht er aus, als sei er für extraterrestrisches Leben entworfen worden.

Neben den sogenannten Crocs werden hier auch gern namenlose Kopien aufgetragen, die genauso scheußlich sind. Und zwar vom Siedler in Hebron wie vom Taxifahrer mit Hamas-Fähnchen unterm Rückspiegel in Taybeh.

Auf der nächsten Seite die Post von letzter Woche: "This place is hell"

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Schuhladen in Tel Aviv; Julia Amalia Heyer

Crocs: Über alle Weltanschauungen hinweg werden sie in Israel getragen.

(Foto: Foto: Julia Amalia Heyer)

"This place is hell"

Man sieht nicht viel, draußen. Das liegt am Panzerglas. "Bulletproof" sei der Bus, hieß es auf der Website. Sarah, unser Tourguide, wiederholt das. "Keine Angst", sagt sie. Selbst wenn Steine flögen, hier seien wir sicher. Sicher auf dem Weg zur "heiligen Stätte unserer Vorfahren", so sagt sie. Und strahlt ins Mikrofon.

Weil ich in Tel Aviv ein bisschen in einer Blase lebe, habe ich mir ein Konterprogramm verordnet. Und mich für eine Tour der "Jewish Community of Hebron" angemeldet. Was so harmlos klingt, ist nichts anderes als eines der Hauptprobleme dieses Großen und Ganzen, das sich "israelisch-palästinensischer Konflikt" nennt.

Die jüdische Gemeinde in Hebron rankt ganz oben bei dem, was gemeinhin unter dem Phänomen "radikal-fanatische Siedler" verzeichnet wird. Hebron ist mit 160.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt des Westjordanlands. Und die einzige, in deren Stadtkern fast 1000 Juden leben.

Auf der Siedler-Straße

Die Geschichte Hebrons füllt Bücher, Dissertationen, Dossiers von Menschenrechtsorganisationen und der israelischen Armee - und wird daher von mir ausgespart. Nur so viel: Eine der ältesten Städte der Welt, ist sie, wie Jerusalem, so etwas wie der Ur-Zankapfel für Juden und Muslime und damit corpus delicti des Nahost-Konflikts. Hier liegt in der Machpela, dem Patriarchengrab, der Stammvater der drei monotheistischen Religionen begraben. Abraham. Hier liegen auch Jakob und Isaak, samt Ehefrauen. Hier steht die Ibrahimi-Moschee.

Als ich nach Israel gekommen bin, habe ich mit einer israelischen Menschenrechtsorganisation eine Tour durch Hebron unternommen. Eine humanitäre Katastrophe sei diese Stadt mittlerweile, sagte Mikhael, der Führer, damals. Schuld daran seien vor allem die Siedler. Dann sagte er noch, dass die Siedler auch Touren anbieten. Fünf Monate später bin ich dabei.

"Mitten in der Höhle der Löwen", wie mir mein Freund Eytan am Abend vorher bei einem Bier in einer lauten Tel Aviver Bar verheißen hat.

Vorerst sind wir noch im Bus. Seltsam fühle ich mich trotzdem bereits. Ich bin die Einzige, die Jeans trägt und keine Kippa auf dem Hinterkopf hat. Bis auf mich und einen blondgelockten australischen Sunnyboy sind alle Amerikaner. Auch der Sunnyboy trägt eine Kippa auf der Surfertolle.

Zäh fließt der Verkehr aus Jerusalem auf der Road 60. Sarah beruhigt das amerikanische Auditorium, den Sunnyboy und mich: Für israelische Verhältnisse seien wir gut in der Zeit, sagt sie. Dass hier im "Heiligen Land" die Uhren ein bisschen anders tickten. Wir sollen einfach genießen, im Stau zu stehen. Schließlich sei der Stau ein jüdischer Stau.

Wir verlassen die Stadt gen Süden, nicht ohne von Sarah stolz darauf hingewiesen zu werden, dass sich hinter dem panzerverglasten Busfenster zu unserer Linken Har Homa befindet. Dass diese Jerusalemer Vorortsiedlung gerade weiter "tapfer" ausgebaut wird. Dann gibt sie uns eine kleine Einführung in Sachen Hebron. "I'm sure you know", sagt sie und erklärt, warum die "heilige Stätte unserer Vorfahren" so bedeutend war und immer noch ist. Erzählt, dass David dort zum König gesalbt wurde, das Hebron vor Jerusalem sieben Jahre lang die Hauptstadt seines Reiches Juda war.

Auf der nächsten Seite: In der höllischen Geisterstadt.

Schmetterling isst Perserohr

West Bank; Julia Amalia Heyer

Graffiti in der West Bank: Siedler-Träume als Fresken an der Hauswand

(Foto: Foto: Julia Amalia Heyer)

Höllische Geisterstadt

Sarah benutzt sehr oft die Wendung "our land". Eigentlich in jedem Satz. Über die "Hebron-Road, wo auch Abraham langging" fahren wir durch "the heart of our land". Judäa. Worte wie "Green Line" oder palästinensische Gebiete kommen ihr nicht über die Lippen. Sarah kommt aus Seattle, ist etwa Mitte 40, sehr blond, sehr weißhäutig und ist 1991 eingewandert - hat "Alijah gemacht". Sie wohnt in Efrat, einer Siedlung des riesigen Etsion-Blocks in den Hebron Hills, wo über 50.000 Siedler leben: Genießen sollen wir "unser Land", und schauen, wie wunderschön es ist.

Letzteres gestaltet sich ein bisschen schwierig, da mittlerweile nicht nur das Panzerglas die Sicht trübt, sondern auch die hier zur manifesten Betonmauer gewordene Sicherheitsbarriere der israelischen Regierung.

Auf der Höhe von Bethlehem, oder "Beth-Lechem", wie Sarah es stark amerikanisch akzentuiert ausspricht, wird sie ein bisschen zynisch: "When we made peace" sagt sie und meint das Oslo-Abkommen von 1994, habe die Regierung alles an die undankbaren Nachbarn, die Araber, abgetreten. Einfach so, sagt sie und macht eine wegwerfende Handbewegung. Aza (hebräisch für Gaza), Jericho - und eben "Beth-Lechem". Our Land.

Der Bus seufzt. "Aber, sagt Sarah, wir geben nicht auf. Unser Land wird immer von uns besiedelt sein." Der Bus klatscht.

In H2, dem Teil Hebrons, der von der israelischen Armee kontrolliert wird, empfängt uns Rabbi Simcha. Sarah wird herzlich verabschiedet mit vielstimmigem "Thank you so much". Simcha ist 1994 mit Frau und Kindern aus New York nach Hebron gezogen - "um den Worten Taten folgen zu lassen". Wir gehen mit dem Rabbi über die Shuhada Street. Einst pulsierende Hauptgeschäftsader, jetzt militärische Sperrzone. Für die palästinensischen Anwohner. Die dürfen sich in der "sterile buffer zone", wie es im israelischen Armee-Jargon heißt, nicht mehr bewegen. Um die Sicherheit der jüdischen Bürger besser gewährleisten zu können. 1800 palästinensische Geschäfte wurden seit 1994 im Stadtzentrum geschlossen. Auf den mintgrünen Eisentüren prangen Davidstern-Graffiti oder schlicht gesprüht in hebräischen Lettern das Wort nekama - Rache. 30.000 Palästinenser leben noch in H2. Die Zahl nimmt beständig ab.

In einer Reihe mit geschlossenen arabischen Geschäften steht hier Beth Hadassah. Das mehrstöckige, blanke Gebäude ist Heimat von ungefähr 20 Siedlerfamilien. "Wir fühlen uns hier sicher", sagt der Rabbi und grinst. Auf einen jüdischen Siedler kommt in Hebron eine jüdische Sicherheitskraft - sei es Polizist, Grenzpolizist oder Soldat.

Simcha versucht nicht einmal, die Wandlung dieses Teils von Hebron - vom ökonomischen und geographischen Zentrum zur Geisterstadt mit Soldaten an jeder Straßenecke - zu erklären. Er sagt nicht, dass die Restriktionen für die palästinensischen Bürger nach dem Massaker Baruch Goldsteins an 29 betenden Muslimen in der Ibrahimi-Moschee begonnen haben. Dass die zweite Intifada diese Restriktionen selbstverständlich verschärft hat. Dass sie auch jetzt nicht zurückgenommen werden.

Drei Steine für einen

Er sagt nur: "No Arabs here anymore", das sei das Ziel: "Our Land." Wir stehen auf einem kleinen Spielplatz auf der Anhöhe von Tel Rumeida. Vor uns drei Container, bewohnt von sieben jungen Siedlerpärchen. Ein prächtiger Siedler-Wohnblock aus Jerusalem-Stone hinter uns. Unter uns, am Hang, palästinensische Häuser. "Unsere Müllhalde", sagt Rabbi Simcha und zeigt auf die Häuser, die direkt unter den Containern liegen. Zwischen allerlei schwergewichtigem Gerümpel in den Gärten sehe ich eine zertrümmerte Waschmaschine.

"Wir werfen nicht nur mit Müll", sagt der Rabbi. Für jeden Stein gebe es drei zurück. "Wir haben gelernt. Viel hat sich verändert seit 1929." Er meint Tarpat, das Massaker, bei dem 67 jüdische Bewohner Hebrons von Arabern auf grausame Weise getötet wurden."Das Wichtigste für einen Juden ist es, immer stärker zu werden", sagt Simcha. Der amerikanische Teil der Zuhörerschaft nickt zustimmend. Die israelische Menschenrechtsorganisation B'Tselem bezichtigt die Siedler von Hebron extremer Gewalttätigkeit gegenüber palästinensischen Bürgern.

Die letzte Station der Tour ist das Gebet in der Machpela. Vorher werden Schecks geschrieben."Unterstützt die Jüdische Gemeinde in Hebron mit allem, was ihr habt", hat uns der Rabbi fast singend aufgefordert. Der Mann neben mir stellt einen Scheck über 400 Dollar aus. 40 kostet die Tour. Dann betreten wir das von der Herodes-Mauer umschlossene Heiligtum. Nach doppeltem Sicherheitscheck geht die Gruppe beten. Ich frage die zwei Soldaten, die vor der Trennwand zur Moschee postiert sind, ob sie gern hier dienen."This place is hell", sagt der eine bloß.

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