Portrait: Kletterer Adam Ondra:Der Zauberlehrling

Ein gnadenloser Wille: Das 16-jährige Ausnahmetalent Adam Ondra verschiebt die Grenzen des Klettersports.

Tanja Rest

Wenn dieser junge Tscheche wirklich ein Star ist, wie die Fachblätter jetzt schreiben, dann weiß er noch nichts davon. "Ich versuche einfach, so gut wie möglich zu klettern und Spaß dabei zu haben. That's all." Es klingt bescheiden, und das ist er wohl auch. Würde ihn in diesem Moment einer mit Namen ansprechen, Adam Ondra wäre erstaunt.

Es ist ein schwülwarmer Sonntag am Schleierwasserfall, diesem imposanten Felsriegel über dem Tiroler Örtchen Going. In der Route "Fido Dido", Schwierigkeitsgrad 7c, kämpft seit einer halben Stunde ein entnervter Aspirant, unten steht ein Pulk von Leuten, feuert an, gibt Tipps, redet gut zu - vergeblich. Ein paar Meter entfernt sitzt unbeachtet und weitgehend unerkannt ein schmaler Kerl mit dunklen Locken.

"Fido Dido" ist er zum Aufwärmen geklettert, eine Fingerübung, kaum zwei Minuten hat das gedauert. Nun hockt er da und wartet, dass die Sonne verschwindet, die ihn aus seinem eigentlichen Projekt vertrieben hat: eine 9a in der Beletage der Riesenwand, 20 Meter lang, furchtbar steil, furchtbar schwierig.

Herausragendes Talent

Am Ende dieses Tages wird Ondra diese Route erstbegangen haben, und danach werden seine Eltern mit ihm zum Auto zurückkehren und ihn nach Hause fahren, denn der derzeit wohl beste Kletterer der Welt hat noch keinen Führerschein. Er ist erst 16.

Das Phänomen der Kletterwunderkinder ist auch schon wieder ein paar Jahre alt. Sie fangen heute im Grundschulalter in der Halle an. Ideale Hebelverhältnisse, minimales Gewicht. Finger, die sich in die kleinsten Ritzen zwängen. Und null Respekt. Sie heißen Alexander Megos, Felix Knaub oder Eugenia Kazbekova und vollbringen im vertikalen Fels scheinbar mühelos Dinge, die den malochenden Altmeistern Tränen der Frustration in die Augen treiben.

Manche, wie der Österreicher David Lama, werden zu Popstars der Szene. Andere - die meisten - treten im Teenageralter sang- und klanglos wieder ab. In der Riege der Zehn- bis 16-Jährigen aber ist die Leistungsdichte so hoch, dass einem schwindelig werden kann. Und unter all diesen Talenten ragt eines weit heraus.

Zerschrammte Knie

Adam Ondra könnte für den Klettersport das werden, was Sergej Bubka für das Stabhochspringen war. Einer, der die Grenze verschiebt. Als Bubka Anfang der achtziger Jahre antrat, übersprangen die Besten 5,80 Meter. Als er abdankte, lag die Latte bei 6,14 Meter. Ein Quantensprung - das ist es, was jetzt von diesem 16-Jährigen erwartet wird.

Ondra, Sohn kletterbegeisterter Eltern, hat im Alter von vier Jahren angefangen. Mit acht kletterte er seine erste 8a, mit zwölf 8b+ und ein Jahr später 9a, was als Sensation gewertet wurde. Als Stimmen laut wurden, er könne zweifellos sehr gut sportklettern, aber offenbar nicht bouldern, gelang ihm im Tessin der Boulder-Klassiker "Dreamtime" (8b+).

Als es hieß, schön und gut, aber in einer alpinen Mehrseillängenroute habe ihn noch keiner gesehen, wiederholte er Beat Kammerlanders alpines Meisterstück "Silbergeier" (8b+) in Rekordzeit und schob im Sommer 2008 die erste Rotpunkt-Begehung von "WoGü" (8c) im Rätikon hinterher, eine der schwersten Routen im Alpenraum. Zu diesem Zeitpunkt durfte Ondra beim Weltcup der Senioren noch gar nicht starten - er war mit 15 Jahren zu jung. Seit seinem 16. Geburtstag dominiert er auch das Wettkampfklettern: Vizeweltmeister im ersten Anlauf, im Gesamtweltcup liegt er auf Platz eins. Wie ist das möglich?

Am Schleierwasserfall blickt Adam Ondra auf seine zerschrammten Knie, wickelt eine braune Locke um den Finger und kann die Frage natürlich nicht beantworten. "Ich habe, glaube ich, eine ganz gute Intuition und mache nur wenig Fehler. Und ich klettere sehr schnell, ich versuche immer, so wenig Kraft wie möglich zu verbrauchen." Das ist ein Ausgangspunkt. Aber noch keine Erklärung.

Was die Konkurrenz zunehmend irre werden lässt, ist ja auch die Beiläufigkeit, mit der er eben mal so die schwierigsten Routen der Welt wiederholt. Wo sich andere Wochen, manchmal Monate in einem Projekt abplagen, braucht Ondra selten mehr als ein, zwei Tage. Die Route "La Rambla" (9a) im spanischen Siurana kletterte er im fünften, den Superklassiker "Action Directe" (9a) im Frankenjura im 15. Versuch. Für Alexander Hubers "Open Air" (9a+) am Schleier benötigte er gerade mal zehn Anläufe - es war nach 13 Jahren die erste Wiederholung dieser Route. "Wenn ich das Gefühl habe, dass ich mehr als zehn Versuche brauche, warte ich lieber noch ein Jahr und probiere es dann wieder", sagt er. "Denn ich werde ja noch besser." Wie viel besser, das möchten nun einige gerne wissen. 9b hält Ondra für wahrscheinlich. 9b+ nicht für ausgeschlossen. Das wäre dann so ein Bubka-Sprung über die Sechsmeter-Marke.

Klettern und lernen

"Ja, sicher", sagt Miroslav Ondra, "aber das Wichtigste ist doch, dass man ihn nicht unter Druck setzt. Dass er weiter Freude an der Sache hat." Adams Vater, 42, Computerexperte, ist ein freundlicher und stiller Mann - falls einer hinter dem Phänomen Ondra überambitionierte Eltern vermutet, so greift diese Erklärung schon mal nicht. Einmal, erzählt Miroslav Ondra, haben sie im kroatischen Paklenica Urlaub gemacht, Adam war sieben. "Er wollte eine 6b vorsteigen. Die Griffe lagen so weit auseinander, dass er da mit seinen Armen noch gar nicht hinreichen konnte. Er hat es trotzdem geschafft." Das sei der Moment gewesen, sagt der Vater, als sie gemerkt hätten: Da ist etwas. Eine besondere Begabung, vielleicht eine Ausnahme-Begabung. Auf jeden Fall ein gnadenloser Wille.

Für ihn, nicht für sich

Freitagabend, wenn der Sohn aus der Schule kommt, steigen die Eltern im tschechischen Brno (Brünn) in den Mercedesbus und fahren fünf Stunden ins Klettergebiet, nach Franken oder Tirol. Sie tun es für ihn, nicht für sich. Adam klettert, hat Schulbücher dabei, die Familie übernachtet im Bus. Sonntagabend fahren sie wieder fünf Stunden zurück. Am nächsten Morgen sitzt Adam Ondra in Klasse 11 des Gymnasiums, wo seine Mitschüler nicht viel Aufhebens um ihn machen. "Wenn ich ein guter Fußballer wäre, das würde sie mehr interessieren."

Im Radius von fünf Autostunden um Brno gibt es nicht mehr viele Top-Routen, die Ondra noch nicht wiederholt hat. Nun wartet die Kletterwelt darauf, dass der Senkrechtstarter endlich die Bohrmaschine in die Hand nimmt und anfängt, seine eigenen Routen einzurichten. Aber drängen lassen will er sich nicht. "Vielleicht im nächsten Jahr.Ich habe ja noch ein langes Kletterleben vor mir, also wozu die Eile?", sagt er.

Adam Ondra hat keine Webseite, keine Medienpartner, keinen Manager und keine Freundin. Zu diesem Zeitpunkt seiner Karriere ist er niemandem etwas schuldig. Er gehört sich noch ganz selbst.

Am späten Nachmittag verschwindet die Sonne aus der Schleierwand, Ondra zieht die Kletterschuhe an. Mit seinem dunklen Haarschopf und dem bleichen Bubengesicht sieht er ein wenig aus wie der Zauberlehrling Harry Potter. Über eiserne Krampen geht es 20 Meter in die Höhe, wo von einem schmalen Felsband die 9a hinauszieht. Alexander Huber hat sie 1998 eingerichtet, geklettert ist sie noch keiner. Der Vater sichert. Nun hat sich unten doch herumgesprochen, dass da einer seine Kunst vorführt, wie man sie so nicht alle Tage sieht. Köpfe werden in den Nacken gelegt, Anfeuerungsworte gerufen.

Ondra klettert schnell und präzise, sein Körper scheint die Bewegungen wie von selbst abzuspulen. Einmal muss er fester zupacken - dann gehört die Route ihm. Er nennt sie "Fugu", nach einem japanischen Kugelfischgericht.

Einen Tag später stehen im Internet die ersten verzückten Kommentare. "Unfassbar", schreibt einer. "Ist Ondra ein Außerirdischer?" Zu diesem Zeitpunkt sitzt der Wunderjunge aber schon wieder im Mathe-Unterricht.

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