Porträt:Zart und bitter

Katharina Schüttler kann anziehend und distanziert zugleich sein. Und wurde so zu einer der gefragtesten Schauspielerinnen des Landes. Ein Treffen.

Von Laura Hertreiter

Einen Augenblick lang flackert Mitgefühl über Elsas blasses Gesicht, dann verglüht es wie der Funke eines kaputten Feuerzeugs. "Da kann man nichts machen", sagt sie. Und lächelt. Draußen, auf dem Marktplatz haben sie der Nachbarin ein Schild um den Hals gehängt. "Ich bin am Ort das größte Schwein und lass mich nur mit Juden ein." Und drinnen, in den Häusern, kann man eben nichts machen.

Manchmal kann Schauspielerin Katharina Schüttler, 35, mit einem kleinen Mienenspiel große Geschichten erzählen. In ihrem neuen Kinofilm braucht sie als Elsa nur diese eine Nahaufnahme, um die Zerrissenheit zwischen schmerzhaftem Mitgefühl und verführerischem Wegsehen in Zeiten der Unmenschlichkeit zu zeigen. Und damit den Grund dafür liefern, warum Deutschland sehr wohl einen weiteren Film über die Nazizeit braucht.

Denn Regisseur Oliver Hirschbiegel erzählt in "Elser" nicht nur die Geschichte Georg Elsers, der mit seinem Attentat auf Adolf Hitler 1939 in München scheiterte und hingerichtet wurde. Er erzählt auch und vor allem die Geschichte der Deutschen zu dieser Zeit. Und diesmal ist es nicht, wie so oft im deutschen Film, die Geschichte einer Nation, die von all den Abscheulichkeiten nichts wusste, oder die geblendet und verführt vom Charisma des "Führers" die Augen niederschlagen musste. Diesmal ist es die viel schmerzhaftere Geschichte, die Schüttlers Gesicht, gerahmt von frischgewickelten Locken, zusammenfasst. Sie handelt vom Wissen darum, wie sich die Grausamkeit durch die Nachbarschaft frisst. Und davon, dass wegsehen, weghören, wegfühlen leichter ist.

"Elser" könnte ein wichtiger Film werden, wenn er vom 9. April an in den deutschen Kinos läuft. Katharina Schüttler weiß das, als sie sich kurz vor der Premiere in einem Berliner Restaurant aus einer Menge Wolle schält. "Im besten Fall verändert er das, was in den Geschichtsbüchern steht. Bis heute ist der Widerstandskämpfer Georg Elser ja weitestgehend unbekannt", sagt sie, zwischen Schal und Mantel wie in einem Spinnennetz.

Darunter kommt eine zierliche Person mit mützenzerzaustem langem Haar zum Vorschein, die mehr an eine hippe Nachwuchsdesignerin aus Kreuzberg erinnert als an jene Dreißigerjahre-Elsa, die von ihrem Ehemann an schlechten Tagen grün und blau geprügelt wird und an guten Tagen mit Georg Elser im Blümchenkleid Tango tanzt. Auch an die exzentrische Sängerin Greta, die Katharina Schüttler 2013 im umstrittenen, aber preisgekrönten Weltkriegs-Dreiteiler "Unsere Mütter, unsere Väter" gespielt hat, erinnert kaum etwas. Und schon gar nichts an Bianca, die schneidige Beraterin mit Bleistiftrock, Businessbrille und Bestimmerton, die sie vergangenen Mai in der furiosen Consultingkomödie "Zeit der Kannibalen" war.

Katharina Schüttler © Stefan Klüter / photoselection

Katharina Schüttler: Das Erstaunen mancher Beobachter liegt offensichtlich am Kontrast zwischen der Schauspielerin und ihren Figuren.

(Foto: Stefan Klüter/photoselection)

Sie kann große Geschichten zu prägnanten Schauspielmomenten verdichten, zu einem Mienenspiel, zu einem Blick

Die Liste ihrer Rollen in Kino, Fernsehen und Theater lässt sich lange fortsetzen, ebenso die derjenigen, in denen sie geglänzt hat. Weil sie es schafft, große Geschichten zu prägnanten Schauspielmomenten zu verdichten, zu einem Mienenspiel, zu einem Blick, ist Katharina Schüttler seit Jahren eine der gefragtesten Schauspielerinnen des Landes. Aber bevor es darum geht, hat sie eine Frage.

"Ist der grüne Smoothie denn lecker?" Der Kellner nickt halb überzeugend. Also grüner Smoothie. Die Schauspielerin hat das Soho House in Prenzlauer Berg für ein Treffen vorgeschlagen, einen Club von schäbigschicker Dekadenz. Hier geht, wer sich zur gehobenen Berliner Kreativszene zählt, ein und aus, zum Stretching, zum Hamam, zu ein paar Bahnen im Rooftop-Pool, auf einen Whisky im abgewetzten Ledersessel. Oder eben auf ein Interview. Als Katharina Schüttler die Mitgliedskarte über den Empfangstresen schob, schlurften der Roxette-Sänger und jemand aus einer Soap mit tief in die Stirn gezogenen Mützen durch die Loungemusiklounge.

Zweimal habe sie unten im Studio Yoga gemacht, erzählt Katharina Schüttler jetzt oben im grüngepolsterten Restaurant. Aber dazu reicht die Zeit einfach nicht. Obwohl sie mit ihrer vierjährigen Tochter und ihrem Mann um die Ecke wohnt. Zumindest, wenn sie mal zu Hause sei, sagt sie. Allein in den vergangenen zwei Jahren hat sie mehr als zwei Dutzend Filme gedreht und stand für Theaterproduktionen auf der Bühne. Sofort nach der Produktion von "Elser" drehte sie "Grzimek", einen ARD-Film über den gleichnamigen Tierexperten, der am Karfreitag gezeigt wurde.

Katharina Schuettler.

"Ich arbeitete als Schauspielerin, bevor ich mir wünschen konnte, eine zu werden": Katharina Schüttler.

(Foto: Andreas Pein/laif)

Und es sieht so aus, als bliebe alles erst mal hochfrequent. Nächste Woche zum Beispiel. Katharina Schüttler zieht einen Kalender aus ihrer Handtasche. München, Stuttgart, Wien, Köln, Oslo, Berlin, Hamburg, steht da auf Goldrandseiten, jeder Tag ein Feld, jedes Feld eine Stadt. Ihre Tochter hat sie bisher oft einfach mitgenommen, in 39 Flugzeugen war die Kleine allein im ersten Lebensjahr. Schüttler hebt die Schultern. "Bisher hat es immer irgendwie geklappt."

Das stimmt so nicht ganz, jedenfalls nicht für die Zeit, als ihr eigener Erfolg Katharina Schüttler vor knapp zehn Jahren plötzlich überrollte. Damals wurde sie als Hedda Gabler in Thomas Ostermeiers Inszenierung des Ibsen-Stücks schlagartig berühmt. Die unglückliche Ehefrau spielt sie noch heute, 222 Aufführungen bis jetzt. Sie spielt sie irgendwo zwischen Zerbrechlichkeit und Zorn, zwischen laszivem Augenaufschlag und wütender Brutalität. Der Spiegel feierte sie dafür früh als "Inkarnation der neuen deutschen Patzigkeit", Theater Heute schrieb, sie zeige "den aktuellen Stand der Emanzipation".

Das Jahr 2006 begann also damit, dass Schüttler am Frühstückstisch die Zeitung aufschlug und sich selbst gegenübersaß. "Ich war auf einer Doppelseite abgebildet, und da stand: Auf diese Personen sollten sie in diesem Jahr achten." Kleines Kopfschütteln, eine Augenbraue wackelt. "Neben Lukas Podolski, Angela Merkel und dem Papst." Sie klingt nicht euphorisch, eher nachdenklich, als würde sie jedes Wort im Kopf abstauben und ins Licht halten. Sie habe sehr viel gearbeitet damals, sagt sie, und private Dinge vernachlässigt.

Dann aber wurde der Albtraum eines jeden Schauspielers ihre Wirklichkeit: Eines Morgens wachte sie ohne Stimme auf. Kehlkopfentzündung, sagte der Arzt, drei Wochen Klappe halten. Zwei Aufführungen spielte sie ihre Rolle ohne Text. Sie war Hedda, bezaubernd, brutal, stumm, Regisseur Ostermeier las ihren Text vom Bühnenrand aus. Dann aber wurden ein Dutzend Vorstellungen abgesagt, Zwangspause.

Und Katharina Schüttler verreiste, zum ersten Mal ganz allein. In Sri Lanka saß sie gut zwei Wochen am Strand, 26 Jahre alt, Füße im Sand, Stift in der Hand, und füllte stapelweise Papier mit ihren Gedanken.

Und plötzlich eine SMS. Theater Heute habe sie zur Schauspielerin des Jahres gewählt, stand darin. Glückwunsch. "Das war irgendwie surreal." Jetzt schmunzelt sie doch. "Ich saß in Sri Lanka allein beim Abendessen, niemand kannte mich und ich hatte dieses schöne Geheimnis ganz für mich allein." Und Zeit, um sich in der Ferne zu sortieren.

Denn bisher war sie nie vor den großen Entscheidungen gestanden, vor denen sich Menschen für gewöhnlich sortieren. Die Berufswahl zum Beispiel. "Ich arbeitete als Schauspielerin, bevor ich mir wünschen konnte, eine zu werden." Katharina Schüttler, geboren in Köln, ist in einer Theaterfamilie aufgewachsen, der Vater Intendant, Schauspieler, Regisseur, die Mutter Autorin. Die Eltern probten im Wohnzimmer, manchmal mit Plastikmessern. Die Tochter kann sich heute nur an einen einzigen Freibadbesuch mit ihnen und den beiden Geschwistern erinnern.

Als Kind war Katharina Schüttler immer die Kleinste. Im Vorschulalter hatte sie wegen Zahnproblemen ein Jahr lang aufgehört zu wachsen. Bei ihrer Einschulung mit fünf hing ihr der Schulranzen bis in die Kniekehlen. "Eher klein zu sein war in meiner Kindheit schon ein Thema für mich. Ich hatte oft das Gefühl, meine Körpergröße irgendwie ausgleichen zu müssen." Im Unterricht war sie der Clown für die anderen.

Mit elf Jahren dreht sie ihren ersten Kinofilm. Mit 26 wird sie zur Schauspielerin des Jahres gewählt

Mit elf, noch vor ihrem ersten Auftritt im Schultheater, stand sie für ihren ersten Kinofilm "Die Lok" vor der Kamera. "Das war wie ein großes Abenteuer. Aber mir war schnell klar, dass Drehen auch Arbeit ist. Dass ich professionell sein muss."

Am Kölner Gymnasium blieb sie damit nicht lange die Ausnahme. Schauspielkollegin Mina Tander, heute bekannt aus "Männerherzen", saß im selben Klassenzimmer, Wolke Hegenbarth, spätere Serienheldin aus "Mein Leben & Ich", und Marie Zielcke, die spätere Nadine aus "Agnes und seine Brüder", im Jahrgang darunter, sie alle drehten schon nach den Hausaufgaben.

Die Schauspielerwelt fühlt sich klein an, wenn Katharina Schüttler erzählt. Sie ist mit Regisseur Till Franzen verheiratet, hat vor allem Branchenfreunde, die sie an der Schauspielschule in Hannover oder bei Drehs kennenlernte. "Das Schöne ist, dass alle Verständnis dafür haben, wenn man sich mal ein Jahr lang nicht sieht." Und dass man sich ohnehin immer wieder trifft. Ihren besten Freund Daniel Brühl, sagt sie, habe sie als Teenager beim Dreh eines Fernsehfilms kennengelernt. 2014 standen sie wieder gemeinsam für das Roadmovie "Hin und weg" vor der Kamera. Zwischendrin: oft monatelang Funkstille.

In diesen Phasen war Schüttler zum Beispiel in einem Spielfilm die ungewollt schwangere "Sophiiiie", die in selbstmörderischer Verzweiflung durch die Hamburger Nacht schleudert. Zugedröhnt, abgefuckt, mitleiderregend und abstoßend. Vor allem aber: jedem Rollenklischee so sehr zuwider, wie es das deutsche Kino selten zeigt. Schüttler war Marcel Reich-Ranickis Frau Tosia in "Mein Leben", der Literaturkritiker selbst nannte sie eine "glänzende Besetzung". In "Es kommt der Tag" ist sie die eiskalt wütende Tochter einer ehemaligen Terroristin, die von Iris Berben gespielt wurde. Die nannte ihre junge Kollegin später in Interviews eine "Kampfmaschine", der Tonfall zwischen Respekt und Erstaunen.

Das Erstaunen liegt offensichtlich am Kontrast zwischen der Schauspielerin und ihren Figuren. Oft spielt sie Frauen, die anziehend und unnahbar oder abstoßend zugleich sind, unter deren zarter Zerbrechlichkeit Eigensinn und Energie brodeln. Es sind Figuren, die selbst schon Konflikte sind. Zartbitter, könnte man sagen. Katharina Schüttler selbst aber sitzt entspannt und unkompliziert vor ihrem grünen Glas. Gerade plaudert sie darüber, dass sie auch nach mehreren Nazifilmen nie mit ihren Großeltern über diese Zeit gesprochen habe. Zwei Omas hat sie noch, nachfragen will sie trotzdem nicht. "Vielleicht aus Angst vor dem, auf was ich stoßen und welchen Schmerz ich dabei auslösen könnte."

Schüttler kennt diesen Schmerz ein wenig von ihren historischen wie zeitgenössischen Figuren. Deren Schmerz und Leid könnten ihren Beruf manchmal zu einer aufreibenden Aufgabe machen, sagt Schüttler. "Ich habe zum Beispiel bei ,Clara Immerwahr' gemerkt, dass mir das schon zusetzt." In dem ARD-Drama spielte sie eine Chemikerin, die im Ersten Weltkrieg gegen ihre Hausfrauenrolle kämpft. Vergebens. Die Geschichte endet mit einem Schuss ins Herz. "Die Arbeit an dem Film hat auf vielen Ebenen so viel Kraft gekostet, dass ich danach echt durch war."

Wie sie sich erholt hat? Kein Strand, keine Auszeit, kein Innehalten. Sondern: Nächster Film, "Stille Nächte". "Eine kleine Geschichte über eine Friseurin, die im Hier und Jetzt spielt. Und das hat mir sehr geholfen, den Ersten Weltkrieg, die Schwere dieser Geschichte hinter mir zu lassen."

Für "Elser" aber ist sie nun wieder tief in den Weltkriegssumpf eingetaucht. Es ist ein Film voller brutaler und subtiler Folterszenen, voller Menschen, die wegsehen. So bedrückend, dass bei der Münchner Premiere vor dem Applaus einen Moment lang schwere Stille über den Kinosesseln hing. Ob sich Katharina Schüttler davon erholen muss? Einen Moment lang scheint ein "und ob!" in ihrem Gesicht aufzuflackern. Aber das täuscht wohl. Sie schüttelt lächelnd den Kopf.

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