Darmstadt:Kleinwüchsige Schauspielerin: Seht mir zu

Jana Zöll

"Ich hoffe, dass es irgendwann überschwappt": Jana Zöll, 30, wünscht sich ein Publikum, das Schauspieler wie sie in normalen Rollen akzeptiert.

(Foto: Robert Schittko)

Kann eine 90 Zentimeter kleine Frau mit Glasknochen jede Rolle im Theater spielen? Jana Zöll will das beweisen.

Porträt von Sophie Burfeind, Darmstadt

Bitte kein Applaus vor dem Wettbewerb, jammert die Frau im silbernen Paillettenkleid und greift zur Whiskyflasche auf der Bar. Ihre roten Lippen zittern, die Farbe ist um den Mund herum verschmiert, der blaue Turm aus Haaren auf dem Kopf droht zu kippen, wie alles hier. Sie nimmt einen tiefen Schluck, dann den Lippenstift, malt weiter an dem Kreis um ihren Mund. Diese plötzlichen Zweifel vor dem Gesangswettbewerb, vielleicht singen die anderen Frauen doch besser. Noch fünf Minuten. Sie tippelt mit den schwarzen Lackschuhen auf dem Brett ihres Rollstuhls, die Straße auf und ab, erzählt von den anderen Frauen, die viel selbstbewusster sind, von ihren Ängsten und Zweifeln.

Der Monolog heißt "Kleine Zweifel", geschrieben hat ihn Theresia Walser. Als er zu Ende ist, rollt Jana Zöll, die Frau mit dem verschmierten Lippenstift, von einer Rampe des Staatstheaters Darmstadt von der Bühne. Sie hat die Frau im Rollstuhl gerade gespielt. Jana Zöll, die Schauspielerin: Das sagt sie selbst über sich. Die anderen sagen: Jana Zöll, die behinderte Schauspielerin.

Als Kind legt ihr Bruder einen Waschlappen in ihre Hand. Der Arm ist sofort gebrochen

Sie rollt in die Maske, danach rollt sie in die Kantine, die ein bisschen an eine Klinik erinnert. Alles ist weiß, Tische, Lampen, Wände, Stühle. Mit ihren Armen kommt Jana Zöll gerade so auf die Tischplatte. Die Schauspielerin ist 90 Zentimeter groß. Sie trägt jetzt eine Brille und keine Schminke mehr, die Haare sind dunkelblond und nicht mehr blau. Sie sieht müde aus. Am Morgen vier Stunden Probe, am Abend ihr Stück "Kleine Zweifel", jetzt noch dieses Interview. Dabei will sie eigentlich nicht in die Zeitung. "Das Problem ist, dass der Fokus in der Presse immer auf meiner Behinderung liegt", sagt sie.

Jana Zöll hat Glasknochen. Als sie ein Kind war, hat ihr Bruder ihr mal einen Waschlappen in die Hand gelegt. Ihr Arm war sofort gebrochen. Ein anderes Mal haben sie Fußball gespielt, mit einem Schaumstoffball, sie hat gegen seinen Fuß getreten. Ihr Fuß war sofort gebrochen.

Jetzt ist sie 30 Jahre alt und professionelle Schauspielerin. Die einzige ihrer Zunft in Deutschland, die eine Behinderung hat und in einem festen Ensemble spielt. Sonst gibt es nur Behindertentheater-Gruppen. Das Staatstheater Darmstadt hat Samuel Koch und sie im Herbst 2014 eingestellt. Der heute 28-Jährige ist seit einem schweren Unfall in der Sendung "Wetten dass. . ?" querschnittsgelähmt. Damals sagte der Theaterintendant Karsten Wiegand: "Zu welchen Mitteln jemand greift, um eine Figur entstehen zu lassen, ist mir erst mal egal. Hauptsache, die Figur entsteht."

Jana Zöll würde genau das gerne tun: einfach in verschiedene Rollen schlüpfen, einfach Schauspielerin sein. Wie ihre Kollegen. Aber fast eineinhalb Jahre später sagt sie: "Weil ich merke, wie schwierig das ist, will ich mir und anderen das Recht erkämpfen, mit diesem Körper das zu tun, was alle anderen auch dürfen." Jana Zöll will nicht nur Nebenrollen spielen, wie sie es meistens tut.

Oder in einer Hauptrolle allein auf der Bühne stehen, wie mit ihrem Monolog; dabei gibt es keinen Vergleich zu nichtbehinderten Schauspielern. Sie will eine attraktive Frau spielen, will zeigen, dass Menschen mit Behinderung schön sein können. Sie will, dass es für Regisseure und Zuschauer normal wird, dass Menschen mit Behinderung auf der Bühne zu sehen sind, in normalen Rollen. "Ich hoffe, dass es irgendwann überschwappt", sagt sie. Auf das Leben vor der Bühne. Deshalb gibt sie weiter Interviews, obwohl es sie nervt.

Sie ballt ihre kleinen Finger zur Faust und haut auf den Tisch. Nicht fest, sie muss aufpassen, aber doch hörbar. "Man muss manchmal einfach sagen: Ich will das."

Sechs Jahre an Stadttheatern

Die zierliche Frau sagt oft, was sie will. Andernfalls säße sie kaum hier. In der Grundschule habe sie mit dem Schauspielen angefangen, erzählt sie, bis zum Abitur sei sie mit der Theatergruppe der Schule aufgetreten. "Ich habe aber nie gedacht, dass ich Schauspielerin werden könnte." Dann hört sie, dass die Akademie für darstellende Kunst in Ulm in einem Pilotprojekt Menschen mit Behinderung aufnimmt. Sie bewirbt sich und wird abgelehnt. Begründung: Es gibt keinen Aufzug.

Jana Zöll kann die Ausbildung schließlich trotzdem machen, weil ihre Mutter mit ihr nach Ulm zieht. Die Eltern haben sich gerade getrennt. Ihre Mutter bringt sie jeden Tag in den zweiten Stock zum Unterricht. "Es war ein bisschen pseudointegrativ, aber es hat mir meine Ausbildung ermöglicht, die hätte ich sonst nirgendwo machen können." Damals, vor elf Jahren, ist die Akademie in Ulm die einzige Schauspielschule, die so etwas anbietet.

Jana Zöll hat eine Regelschule besucht - und ist froh darüber

Als sie mit der Ausbildung fertig ist, sagen ihr die Lehrer, dass sie jetzt nicht zu glauben brauche, mit ihrem Beruf Geld verdienen zu können. "Einer war der festen Überzeugung, dass die Welt alles braucht, nur keine behinderten Schauspieler", sagt sie. Sechs Jahre lang schlägt sie sich mit Auftritten an Stadttheatern durch, bis sie eines Tages eine E-Mail erhält. Es ist ein Angebot für ein festes Engagement in Darmstadt. Der damalige Schauspieldirektor Jonas Zipf hatte sie in "Krieg und Frieden" in Leipzig gesehen.

Ein paar Tage nach dem Solo-Auftritt in Darmstadt. Jana Zöll sitzt in ihrer Wohnung auf dem Boden, um sie herum Stapel mit Rechnungen und Briefen. Ihre Wohnung ist nur zwei Straßen vom Theater entfernt, damit sie mit dem Rollstuhl schnell da ist. Das Wohnzimmer ist kahl, weiße Wände, weiße Fliesen, nur zwei Pinnwände mit Fotos. Sie sitzt auf dem Boden, weil sie weder stehen noch laufen kann. In dieser Woche muss sie eine neue Assistenz suchen, also jemanden, der rund um die Uhr da ist, in ihrer Wohnung schläft, sie duscht, während der Proben wartet, mit ihr spazieren und auch feiern geht.

Nach einer halben Stunde klingelt es, die erste Bewerberin. "Das ist ja toll, dass du Schauspielerin bist!", sagt die junge Frau zur Begrüßung. Jana Zöll zeigt ihr die Wohnung. Als die Bewerberin weg ist, sagt sie: "Mich nervt es, dass nichtbehinderte Leute es oft gar nicht fassen können, dass jemand wie ich Schauspielerin sein kann."

Sie sei froh, mit zwei älteren Geschwistern aufgewachsen zu sein, die keine Behinderung haben, darüber, dass ihre Eltern auch sie auf eine Regelschule geschickt haben. "Es war eine schwierige Zeit, weil ich oft ausgegrenzt wurde", sagt Jana Zöll. Andererseits, findet sie, sei es gut gewesen, "dass ich nicht in so eine Wattewelt wie an einer Sonderschule gepackt wurde, aus der man dann plötzlich aufwacht."

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