Portal für Lebensmittelsicherheit:Aufstand der Irregeführten

Nach der gescheiterten Ampel-Kennzeichnung endlich einmal ein Erfolg für Verbraucherschützer: Das Online-Portal "lebensmittelklarheit.de" kann die eingehenden Hinweise und Beschwerden kaum bewältigen. Die Industrie reagiert auf die Klagen - wenn auch bisweilen äußerst trotzig.

Andreas Nefzger

Herr T. aus Berlin findet das alles gar nicht nett. Auf dem Becher prangen Macadamianüsse, drei an der Zahl, der Joghurt aber besteht nur zu sechs Prozent aus Nüssen. So ist es auf der Liste der Inhaltsstoffe nachzulesen und damit, so rechnet Herr T. vor, ist maximal eine Nuss im Joghurt.

Für ihn ist der Fall klar: Der Verbraucher werde "in die Irre geführt". Und die Verbraucherzentrale sekundiert: Bilder von Zutaten sollten "keine falschen Erwartungen bezüglich deren Menge im Gesamtprodukt" wecken. Der Hersteller schließlich merkt an, dass der Nussanteil in seinem Joghurt "marktüblich" sei.

So nachzulesen ist dies auf dem Online-Portal lebensmittelklarheit.de, finanziert vom Bundesministerium für Verbraucherschutz und umgesetzt durch den Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV). Sinn des Portals ist es, wie bereits der Name verspricht, mehr Transparenz bei der Kennzeichnung von Lebensmitteln zu schaffen. Seit nun gut sieben Wochen steht die Seite im Netz und findet beim Verbraucher offenbar durchaus Anklang.

"Wir wissen, dass wir einen Nerv getroffen haben", sagt Janina Löbel, die das Projekt beim VZBV koordiniert. "Aber die immense Beteiligung hat selbst uns überrascht." Zwei Millionen Nutzer riefen die Seite demnach allein in den ersten vier Tagen auf, der Server brach zuweilen unter der Last zusammen.

Mittlerweile hat sich die Verbraucherzentrale Hessen, die das Portal betreibt, mit neuen Server-Kapazitäten für die Nachfrage gerüstet. Wohl aber sei die Zahl der Besucher "auf ein verträgliches Maß" zurückgegangen. Wie weit genau, weiß derzeit aber niemand - zuletzt war vor lauter Arbeit schlicht keine Zeit, sich um Statistik zu kümmern, heißt es.

Täglich bis zu 300 Anfragen

Kernstück des Portals ist der sogenannte produktbezogene Bereich: Verbraucher können hier Produkte melden, von deren Aufmachung sie sich getäuscht fühlen, die Verbraucherzentrale kommentiert dies dann und bittet den Hersteller um eine Stellungnahme. 1600 Anfragen gingen allein in den ersten Tagen ein, derzeit kommen laut Betreiber wöchentlich 150 bis 300 neue hinzu.

Offiziell sind für die bislang etwa 3000 Anfragen zweieinhalb Personalstellen verantwortlich - ein gewisses Missverhältnis ist offensichtlich. Bei der Frage, ob dauerhaft mehr Mitarbeiter nötig sind, ist Janina Löbel aber zurückhaltend: "Wir prüfen das gerade." Für den anfänglichen Ansturm hatten sich die Hessen vorübergehend Unterstützung aus anderen Verbraucherzentralen geholt.

Industrie reagiert trotzig

Ob schnell genug oder nicht, das Portal wächst auf jeden Fall stetig. Und die Wirtschaft reagiert sichtbar darauf: Von mittlerweile 17 Produkten haben die Hersteller die Aufmachung geändert, nachdem sie diese auf dem Portal fanden. Eine Schokolade etwa, die "Banane" im Namen trägt, enthält jetzt tatsächlich Bananenpüree - zuvor erzeugten lediglich Aromen den Fruchtgeschmack.

Unter der Überschrift "Getäuscht?", wo auch Herr T. aus Berlin den Joghurt mit Macadamia-Nüssen beanstandet, finden sich schon mehr als 20 Produkte - etwa weil die Beschriftung verwirren oder das Etikett falsche Erwartungen wecken könnte. Zuweilen erscheint die Kritik ein wenig kleinkariert. Nicht alles, was auf der Seite landet, sei gleich ein Skandal, sagt selbst Löbel. Aber: "Offensichtlich gibt es Diskussionsbedarf."

Doch bei der Diskussion soll es nicht bleiben. Verbraucherzentralen und Ministerium erhoffen sich von dem Onlineportal auch Erkenntnisse, wie sich die Gesetzeslage zum Wohle des Verbrauchers ändern lässt. Bei Verbraucherschützern jedoch ist zuweilen zu hören, dass die Erkenntnisse längst vorlägen. Auch erinnert man sich an andere gescheiterte Vorhaben, wie die Ampel zur Nährwertkennzeichnung, und zweifelt an der Standhaftigkeit von Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) gegenüber der Industrie.

Die Unternehmen hatten bereits im Vorfeld heftig gegen das Portal protestiert. Nun, da die Seite zunehmend Gestalt annimmt, sieht man sich in der Kritik bestätigt. "Hier werden Produkte vorgeführt, die sich an Recht und Gesetz halten", sagt Marcus Girnau, Geschäftsführer der Lobby-Organisation Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL). Dies schade nicht nur den betroffenen Herstellern, sondern verwirre letztlich auch den Verbraucher mehr, als es ihm nütze.

Was der BLL aus seiner eigenen Internetseite zur Verbraucheraufklärung schreibt, liest sich indes wie ein schnippischer Aufruf an den Konsumenten, seinen Verstand zu gebrauchen: In den "Katzenzungen" genannten Schokoladenstäbchen seien, das verstehe sich von selbst, keine Zungen von Katzen enthalten.

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