Pornos für Frauen:"Manche hätten es gerne sehr viel expliziter"

Petra Joy gilt als "Frontfrau" des weiblichen Pornos. Im Interview erklärt die Filmproduzentin, wie Sexfilme für Frauen funktionieren und warum der SM-Bestseller "Shades of Grey" keine pornografische Literatur ist - sondern eine antifeministische Mogelpackung.

Violetta Simon

Macho-Phantasien und allzeit bereite Blowjobberinnen sucht man in ihren Drehbüchern vergebens: Petra Joy gilt als "Frontfrau" einer Form des Pornos, die speziell Frauen ansprechen soll. Porno ist für die Filmproduzentin eine politische Angelegenheit, ihre Filme, in denen die weibliche Lust im Vordergrund steht, wurden bereits mehrfach ausgezeichnet. In ihrem autobiografischen Buch "Die Pornografin" beschreibt die in Brighton lebende Filmemacherin und Autorin ihre Erlebnisse in einer von Männern dominierten Branche. Eine Branche, die inzwischen immer mehr von Frauen und ihren Bedürfnissen mitbestimmt wird. Dass der SM-Bestseller "Shades of Grey" dabei den Frauen einen guten Dienst erweist, glaubt die Joy nicht. Ihrer Meinung nach handelt es sich keineswegs um einen pornografischen Roman für Frauen. Sondern um eine genial vermarktete Mogelpackung.

Petra Joy

Petra Joy macht Filme für Frauen. Der Grund: Wenn nicht nur Männer, sondern auch Frauen bekommen, was sie wollen, haben wir nicht nur besseren Sex, sondern bessere Beziehungen.

Süddeutsche.de: Acrylnägel, Silikonbrüste, eine willige Frau geht in die Knie, ein Mann ejakuliert - Ziel erreicht. Machen solche Pornos Frauen an?

Petra Joy: Geschmäcker sind verschieden. Es gibt sicher Frauen, die Mainstream-Pornos gucken und denen meine Filme zu soft sind. Wichtiger ist aber, dass wir die Wahl haben: Hauptsache, es gibt überhaupt Filme, die Frauen anmachen.

Süddeutsche.de: Langweilen sich Männer nicht ebenfalls bei den immer gleichen Szenen, Stellungen und vorgespielten Orgasmen?

Joy: Durchaus. Ich habe Mails von Männern bekommen, die sagen, sie können mit diesen "Rammelpornos" nichts anfangen. Es macht ihnen keinen Spaß, Filme zu sehen, in denen Frauen wie Dreck behandelt werden. Diese Männer stehen auf Filme, die zeigen, wie Frauen ticken und worauf sie stehen. Das kapiert die Pornoindustrie aber nicht und produziert weiter Billigprodukte nach der 08/15-Formel.

Süddeutsche.de: Sie waren während der 80er Jahre in der deutschen Anti-Porno-Bewegung aktiv. Was genau hat Sie an konventionellen Pornos gestört?

Joy: Dasselbe, was mich heute daran stört: Ich bin noch immer gegen Pornos, die Männer auf Schwänze und Frauen auf Löcher reduzieren oder Gewalt gegen Frauen verherrlichen. Heute reicht es mir nicht mehr, nur gegen etwas zu sein, ich möchte Alternativen schaffen. Ich finde, als Frau hat man ein Recht auf diese Filme. Ich bin ein visueller Mensch und habe kein Problem mit explizitem Erotikmaterial. Frauen haben ein riesiges Nachholbedürfnis, warum sollen wir dieses Genre also den Männern überlassen?

Süddeutsche.de: Sind Drehbücher nach männlichen Maßstäben automatisch frauenfeindlich?

Joy: Sie sind oft menschenfeindlich. Niemand wird mit Respekt behandelt, auch Männer nicht. Es ist generell ein sehr liebloser Umgang. So richtig kommt da keiner auf seine Kosten. Deshalb ist mir Rollenspiel so wichtig. Der Mann will auch mal Sexobjekt sein und verführt werden.

Süddeutsche.de: Heute produzieren Sie selber Pornos, in erster Linie für ein weibliches Publikum. In Ihren Filmen zeigen Sie, wie Frauen verwöhnt werden. Ist es das, was Frauen wollen?

Joy: Sie wollen ihre Lust feiern. Sie wollen sehen, wie eine Frau verwöhnt wird und das bekommt, was sie will. In meinen Filmen ist die Frau die Heldin. Frauen genießen es auch, Männer als "Lustobjekt" zu beobachten und bisexuellen Männern beim Sex zuzusehen. Bisher mussten wir dazu Schwulen-Videos gucken, heute zeigen wir zum Beispiel, wie ein Heteromann masturbiert. Das ist aber nur eine von vielen Möglichkeiten. Da gibt es sehr viel nachzuholen.

Süddeutsche.de: Woher kennen Sie die Wünsche der Frauen so genau?

Joy: Ich bekomme viele Mails mit Anregungen von Zuschauerinnen. Meine Darstellerinnen leben vor der Kamera ihre Phantasien aus. Natürlich spreche ich auch mit Freundinnen über Sex, lese entsprechende Literatur und spreche mit Frauen aus aller Welt. Die weibliche Sexualität schillert in allen Farben, von Blümchensex über Fetisch ist alles dabei.

Süddeutsche.de: Ihre Filme "Female Fantasies" oder "Her Porn" zeigen Sequenzen oder Kurzfilme ohne Rahmenhandlung. Brauchen Frauen also doch kein anspruchsvolles Drehbuch?

Joy: Viele Zuschauerinnen brauchen nicht unbedingt Romantik oder eine kompliziert konstruierte Handlung. Sie wollen nur verstehen, warum er hart und sie feucht wird, wollen nachvollziehen, warum er auf sie steht. Dazu ist kein Dialog nötig, nur eine Story, die die "Erregungskurve" wiedergibt. Sicher wollen manche Frauen eine Handlung. Es ist jedoch schwierig, gute Schauspieler zu finden, die glaubwürdig miteinander kommunizieren und dann auch noch explizite Sexhandlungen zeigen. Dialoge, die hingegen von Amateuren gespielt werden, nerven nur. Vor allem, wenn sie merkwürdig synchronisiert sind.

Süddeutsche.de: Soeben ist Ihr Buch "Die Pornografin" erschienen, in dem Sie Einblick in Ihre Arbeit als Filmproduzentin geben. In den USA steht seit Wochen der SM-Roman "Shades of Grey" (Auf deutsch: "Geheimes Verlangen") von E.L. James auf Platz eins der Bestsellerlisten. Liegt Porno im Trend, ist er die neue Erfolgsgarantie?

Joy: Es kommt darauf an. "Die Pornografin" ist ein sehr persönliches, eher autobiografisches Werk. Im Grunde geht es um Schwesternschaft, den Zusammenhalt der Frauen innerhalb der Porno-Industrie. Ich habe das Buch geschrieben, um andere Frauen zu motivieren, konsequent und unerschrocken ihren Weg zu gehen. Im Gegensatz zu "Shades of Grey" ist mein Buch wahrscheinlich nicht kommerziell genug, um zum Bestseller zu werden. Abgesehen davon würde ich diesen Roman nicht als pornografisch bezeichnen - ich finde, es ist wenig Sex in dem Buch. Die meisten Szenen sind absoluter Blümchensex und haben mich unendlich gelangweilt.

Süddeutsche.de: Die Erniedrigung der Frau in konventionellen Hardcore-Pornos stößt viele Frauen ab. In dem Roman "Shades of Grey" unterwirft sich eine sexuell unerfahrene Studentin ganz bewusst einem sadomasochistisch veranlagten Unternehmer. Ist das nicht auch eine Art Unterdrückung?

Der Devote hat die Power

Joy: Der wesentliche Punkt beim SM-Sex ist: Der oder die Devote hat die Power. In diesem Fall genießt es die Frau, die Verantwortung aufzugeben, setzt aber zugleich die Grenzen. Zum Beispiel durch ein abgesprochenes Safeword, wie es im Roman der Fall ist. Der Unterschied zwischen Unterwerfung und Unterdrückung, etwa durch Missbrauch ist: Beim Missbrauch werden die Grenzen des Opfers nicht anerkannt. Es geht darum, dem anderen Gewalt anzutun, um Schmerzen, nicht Lust, zu bereiten. Das eine ist ein temporäres Rollenspiel, bei dem es um die Befriedigung beider geht. Bei Missbrauch geht es nicht um sexuelle Befriedigung, sondern um die Unterwerfung und Verletzung des Opfers.

Süddeutsche.de: Wie erklären Sie sich, dass dieses Buch so einen Erfolg bei der weiblichen Leserschaft hat?

Joy: Dieser Roman ist ein romantisches Märchen, ein absolutes Mainstreamprodukt, das weder authentischen SM-Sex noch Porno beinhaltet. Der Inhalt wurde weißgewaschen und von Verlegern bestimmt. Und das funktioniert: Einerseits setzt der Verlag darauf, dass sich Porno für Frauen gut verkauft. Andererseits sind die Inhalte so soft, dass das Buch in jedem Supermarktregal stehen kann - weil es sich im Grunde um eine traditionelle Liebesgeschichte handelt. Die Frau ist nicht autark und sexuell selbstbestimmt, und sie hat nur SM-Sex mit dem Mann (der sie entjungfert), weil Sie ihn liebt und hofft, ihn zu ändern. Wäre sie nicht so unerfahren und könnte Sex von Liebe trennen, wäre das Buch nicht überall zu haben. Ich halte den Roman für eine Mogelpackung mit verwässerten Inhalten und einer guten Marketingstrategie.

Süddeutsche.de: Der Erfolg des Romans basiert auf einem Versprechen, das viele Leserinnen reizt. Träumen Frauen davon, dominiert zu werden?

Joy: Machtspiele sind immer spannend, für Männer wie für Frauen. Viele Frauen träumen auch davon, zu dominieren, manche switchen gerne. Insofern halte ich es für einen Trugschluss, aufgrund der Verkaufszahlen auf eine bestimmte Vorliebe zu schließen. Viele Frauen haben derzeit einfach Lust auf Porno. Die meisten haben sich das Buch nicht wegen des SM-Inhaltes gekauft, sondern weil es hieß: Porno für Frauen - und sind nun enttäuscht davon. Sie hätten das gerne sehr explizierter, sehr viel härter gehabt und wollten nicht erst 230 Seiten lesen, bis mal was passiert.

Süddeutsche.de: Also kein Buch, das der weiblichen Befreiung dient?

Joy: Im Gegenteil: ein extrem rückständiges, antifeministisches Buch. Die Figur des jungen Unternehmers, der als Kind missbraucht wurde und jetzt nur SM-Sex praktizieren will, unterstützt eine höchst konservative These: dass alle Menschen, die mit SM-Sex experimentieren, irgendwie psychisch geschädigt sind. Schockierend daran finde ich nicht den soften SM-Sex, sondern das unreflektierte Wiederkäuen veralteter Rollenklischees. Ich kenne viele Frauen, die gern mit SM-Sex experimentieren, viele mögen Porno und hätten es gerne härter. Aber ich kenne keine, die diese Geschichte auch nur im Entferntesten heiß findet - die lachen darüber.

Süddeutsche.de: Gibt es generell einen Trend zu BDSM-Praktiken (Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism)?

Joy: Ich sehe keine Zunahme von SM-Trends. Was zunimmt, ist die Lust am Rollenspiel, dazu braucht man keine Fesseln, das findet im Kopf statt.

Süddeutsche.de: Das dürfte Ihre Zielgruppe erfreuen. Sie sagen von sich, sie machen Pornos für Menschen, deren wichtigstes Sexorgan zwischen den Ohren und nicht zwischen den Beinen sitzt.

Joy: Ich glaube, dass die meisten Menschen ihr Sexualorgan zwischen den Ohren haben. Gute Pornos machen immer erst im Kopf an, es kommt schließlich keine Hand aus dem Fernseher.

Süddeutsche.de: Kann Porno also mehr als nur anturnen?

Joy: Porno ist politisch, und es ist kulturell extrem relevant, was gerade passiert. Die Sexindustrie erlebt eine weibliche Revolution. Immer mehr Frauen drehen Pornos, entwerfen Spielzeug oder führen Sexshops. Das finde ich spannend und ich bin stolz, Teil dieser Bewegung zu sein. Denn was im Schlafzimmer passiert, ist ein Indikator für das Verhältnis der Geschlechter zueinander. Und es hat Auswirkungen auf unsere Beziehungen. Wenn nur immer wieder ein Geschlecht gewinnt, verlieren im Grunde beide. Wenn Männer und Frauen bekommen, was sie wollen, werden wir bessere Beziehungen und besseren Sex haben. Deshalb begrüße ich es, dass Frauen Sexromane schreiben. Ich finde es nur schade, wenn ein Buch diesen Zweck nicht erfüllt - und sich dennoch millionenfach verkauft.

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