Internet für Alte:Opa geht jetzt online

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Gerade für Selbständige ist es wichtig, möglichst früh für das Alter vorzusorgen. (Foto: imago/Westend61)

"Freiwilliges Soziales Jahr digital" heißt ein Pilotprojekt in Sachsen-Anhalt. Junge Leute bringen Senioren bei, wie man sich im Internet bewegt.

Reportage von Cornelius Pollmer

Frau Geyer sagt, damals, mit dem Mixer, da habe es angefangen. Sie sagt, sie komme nun mal vom Dorf, "Entschuldigung!" Frau Geyer sagt, mit dem Fernseher sei es weitergegangen, den könne sie wirklich nicht programmieren, "tut mir leid!" Und dann kam auch noch das Telefon, mit integriertem Anrufbeantworter. "Da konnte man nicht einfach nur drücken, das musste ich mir richtig aufschreiben."

Und nun? Nun sitzt Sigrid Geyer, 60, vor einem sanft leuchtenden Tablet-Rechner. Gleich wird sie Frau Pfau anrufen, und die beiden Damen werden dann über die Jugend und das Alter reden, zumindest so lange, bis Neuseeland ihnen in die Quere kommen wird.

Der Hinterhof eines Klinkerbaus in Halle an der Saale, an der Tür ein Hinweis aufs heutige Highlight der Begegnungsstätte: "Fröhlicher Kegelnachmittag". Sigrid Geyer sitzt im Gruppenraum der Altenhilfe des Deutschen Roten Kreuzes (DRK).

Bevor sie mit dem Finger auf ihrem Tablet das Skype-Logo antippt, will sie sich noch kurz erklären. Es sei ja nicht so, dass sie nie am Computer gearbeitet hätte, "aber mein Mann hat das alles immer eingerichtet, und er ist jetzt leider schwer krank". Sie habe sich erst selbst versucht am Computer, "aber weit bin ich nicht gekommen, man musste ja doch wieder ein Passwort eingeben". Und dann? "Und dann kam Johann."

Nur ein Stupser auf die Skype-Kachel

Johann Georgi, 20, sitzt neben Sigrid Geyer, der QR-Code auf seinem T-Shirt ist ein erster Hinweis auf seinen Auftrag. Georgi ist als einer von 30 Freiwilligen Teil eines Pilotprojekts des DRK in Sachsen-Anhalt, das es in dieser Weise nur zwei Mal in Deutschland gibt.

In seinem "Freiwilligen Sozialen Jahr digital" kümmert sich Georgi zunächst um alle jene Dinge, die schon immer sozial waren - er deckt den Tisch, macht sauber, unterhält sich mit den Senioren. Darüber hinaus ist es im "FSJ digital" auch Georgis Aufgabe, den Senioren das nahezubringen, was heute als sozial gilt: das Netz und die Kommunikation darüber.

In dem Pilotprojekt gibt es verschiedene Bausteine, Sigrid Geyer befindet sich zurzeit im Baustein "Teilhabe durch Internettelefonie". Sie stupst das Tablet so vorsichtig an, als wäre es ein schlafendes Wesen, das man nicht wecken möchte.

Das Tablet aber erwacht. "So", sagt Frau Geyer, "jetzt sind hier die ganzen Symbole, und lesen kann ich ja." Ein Stupser auf die Skype-Kachel, einer auf den Kontakt von Frau Pfau, und, schwups, schon grüßt diese aus dem achten Stock eines Wohnblocks in Halle-Neustadt.

Frau Pfau, 92, erzählt, wie sie neulich mal wieder in Neuseeland war - ohne Halle dafür zu verlassen. Sie war bei der Hochzeit ihrer Enkel und zuvor auch schon bei der Bescherung an Weihnachten, "so richtig mit meinen Enkeln". Sie habe "ja meine Hitsche hier, meinen Mercedes", sagt sie und zeigt auf ihren Rollator. Viel Bewegung ist nicht mehr drin, sie sei jetzt auch allein seit dem Tod ihres Mannes. Aber einsam, nein, das sei sie nicht, "ich bin viel am Computer, was soll ich denn sonst machen? Immer Schränke rumräumen ist ja auch nichts." Frau Pfau sagt, sie warte schon, "bis er wieder mal Zeit hat, der liebe Herr Johann!"

Aber bevor Johann Georgi sich bei ihr ankündigen kann, blinkt es auf dem Bildschirm von Frau Pfau. Die Enkelin aus Neuseeland ruft an. "Wir sehen uns wieder, Frau Pfau", sagt Frau Geyer noch rasch, dann klinken sich die beiden aus.

Sigrid Geyer sagt, bevor der Johann gekommen sei, habe sie "so eine Angst, zu versagen" empfunden, wann immer sie einem Computer nahekam. Diese Scheu hat sie inzwischen überwunden, nicht wegen Neuseeland, sondern wegen Leichlingen im Rheinland. Dort wohnt ihr Sohn, und dort wohnt also auch ihre Enkelin. Die erzählt bei Skype viel von der Schule, manchmal schaut ihr die Oma auch einfach nur beim Malen zu. So war es, und so war es gut, aber als der Mann von Sigrid Geyer erkrankte, da musste sie Sohn und Enkelin sagen: Die Oma kann's nicht, da könnt ihr machen, was ihr wollt.

Ein Vierteljahr blieb Sigrid Geyer offline. Dann entdeckte sie das Projekt des DRK und "den lieben Johann", nun ist sie wieder am Netz. Mehr noch, Sigrid Geyer ist dabei, eine Botschafterin des Internets zu werden. Sie will in der Altenhilfe für das Projekt und die Hilfsangebote werben. Botschaft: Habt keine Angst! Aber, sagt Frau Geyer, dafür brauche man Geduld: "Senioren sind da nicht so einfach."

Geduld braucht auch Johann Georgi. In den ersten drei Monaten seines FSJ verrichtete der 20-Jährige ganz normalen Dienst - damit er bekannt wird im Haus und nicht als genauso fremd wahrgenommen wird wie das Tablet-Ding, wenn es in den Projektbaustein Internettelefonie geht. Es gibt noch weitere Bausteine, Georgi könnte auch erklären, wie Spiele und Videos funktionieren oder "digitales Storytelling". Frau Geyer fasst sich an den Kopf, als sie das hört, Georgi lächelt. Das müsse sie ja nicht machen.

Roland Halang, der Präsident des DRK in Sachsen-Anhalt, sieht FSJ'ler wie Johann Georgi als Türöffner. Auf Dauer wäre es natürlich gut, wenn Senioren-Pioniere wie Frau Geyer selbst Nachahmer ans Tablet heranführen würden. Ein weiteres "unheimlich gutes Medium, um Leben in die Bude zu bringen" seien auch die Enkel. Mit dem Kontakt zu diesen via Skype beginne für viele Alte die Annäherung an die Technik. Die nächsten Schritte: ein Termin beim Friseur, die Wahl des Essens und die Kommunikation mit den Hilfskräften. Trotzdem könne und sollte man natürlich nicht die ganze Welt digitalisieren, sagt Grit Mantey-Spens, die Leiterin der Altenhilfe in Halle. Es gehe darum, die neuen Möglichkeiten zu nutzen "und dabei die Seele nicht zu vergessen". Da nickt Frau Geyer, und der liebe Johann nickt mit.

© SZ vom 11.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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