Süddeutsche Zeitung

Philsophischer Alltag:Schwarmdummheit

Gemeinsam sind wir stark. Sagt man. Dieses Buch aber behauptet: Unser Teamgeist treibt uns noch in den Untergang.

Von Martin Zips

"Schwarmintelligenz" - mal wieder so ein Zauberwort der modernen Ökonomie. Tenor: Im Team gelingt, woran Einzelne scheitern. Siehe Bienen. Oder Ameisen. Im Schwarm zeigen diese Insekten faszinierend effiziente Methoden. Auch vom Menschen wird Teamfähigkeit erwartet: "Wie weit sind Sie denn schon?" "Wie können Sie helfen, unseren Betrieb zu verbessern?" Ja, durch Schwarmintelligenz kann ganz Großes entstehen. Wikipedia zum Beispiel. Oder ein lustiges Riesenpuzzle. Oder eine neue politische Bewegung. Auf der anderen Seite gibt es aber leider auch: Schwarmdummheit. Vor ihr warnt der habilitierte Mathematiker Gunter Dueck in seinem neuen Buch.

Dueck weiß, wovon er spricht. Er hat 24 Jahre lang in einem Konzern gearbeitet. Nicht immer half das System dort dem Menschen. Manchmal bediente der Mensch auch einfach nur das System. Duecks Werk, ein ausschweifendes, aber dank einer klugen Mischung aus Philosophie, Psychologie, Comedy und Zynismus gut konsumierbares Sachbuch warnt vor nichts anderem als vor der Apokalypse. Sollte der Mensch sein nicht zuletzt vom Shareholder Value angetriebenes Hamsterrad nicht bald verlassen, sollte er sich auch weiter im Konferenz-Kleinklein verlieren, so könnte es womöglich doch recht schnell gehen, mit seinem endgültigen Untergang.

Glücklicherweise geht Dueck davon aus, dass jeder Einzelne grundsätzlich ein kluger Kopf ist. Nur das System, in das er sich da zwinge, treibe ihn früher oder später in den Wahnsinn. Ein System, das von "SABTA"-Typen bestimmt wird (Sicheres Auftreten bei totaler Ahnungslosigkeit). Mit ihrer nervösen Geschäftigkeit erfinden die SABTA-Heinis ständig neue Zuständigkeitsbereiche für ihre Mitarbeiter. Weitere Bereiche erfordern weitere Absprachen. Also: Meetings, Meetings, Meetings. Bei den Mitarbeitern führt das zu Stress, zu Überlastung und Konflikten. Nächster Schritt, laut Dueck: eine mentale und produktive Abwärtsspirale setzt sich in Gang. Schwarmdummheit, die so tragisch enden kann wie die Fliege auf dem Buchumschlag.

"Die Schwarmdummheit macht uns am Ende selbst ganz verrückt", bilanziert Dueck. "Damit stabilisiert sie sich ein weiteres Mal und ist nun fast nicht mehr auszurotten." Der Autor sieht schwarz: Schon die Römer hätten "den Balkan abgeholzt, der dann verkarstet" sei. Manche Prozesse seien eben "nie oder nur unter immensen Mühen umkehrbar". Gibt es denn wirklich keine Lösung? Na, vielleicht sich die Kinder zum Vorbild zu nehmen, meint Dueck. Die nämlich wollen "alles selbst können, alles gut machen und alles lernen". Und zwar von sich aus. Ganz ohne Druck durch ahnungslose Selbstvermarkter.

Doch wie stoppt man das sich immer schneller drehende Kapitalismus-Rad? Die kindliche Lösung sähe wohl so aus: Man nimmt Duecks dickes Buch und rammt es allen Laufhamstern einfach mal in die Speichen. Natürlich sollte man es erst zu Ende gelesen und weiterempfohlen haben. Es lohnt sich nämlich.

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Quelle:
SZ vom 11.04.2015
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