Phänomen Wellness (1):Zur Ruhe kommen. Aber schnell!

Alle sind gestresst, keiner will es sein - oder doch? Welche Wünsche hinter dem Wellnesstrend stecken und wie man Entspannung findet.

Sarina Pfauth

Es ist ja nicht so, dass man es nicht auch anders machen könnte. Eine Wohnung auf dem Dorf mieten, mit einem bescheidenen Einkommen zufrieden sein. Man könnte weniger Verabredungen treffen und mehr Abende mit einem Buch verbringen als in Clubs, auf Partys oder bei Vernissagen. Nicht mehr darüber nachdenken, was andere davon halten. Man könnte. Aber man tut nicht.

Entspannung und Wellness; iStock

Zurücklehnen, Luft holen: nach Entspannung sehnt sich jeder.

(Foto: Foto: istock)

Denn ein voller Terminplaner gehört zum guten Ton. Kaum mehr trifft man Freunde, die sich nicht gestresst fühlen. Die Folgen der dauernden körperlichen und seelischen Überlastung - von Erschöpfung bis Burnout - sind bekannt. Ändern tut das aber erst einmal nichts.

Denn schließlich will man gefordert sein. Man möchte die Zeit nutzen, etwas erleben: Abenteuer, Genuss, Erfolg, Spaß, Befriedigung. Peter Gross beschreibt in seinem Buch über die Multioptionsgesellschaft dieses unendliche Begehren nach Mehr.

Immer mehr geht aber nicht - das zeigt nicht nur der Erfolg von Burnout-Rehas, sondern auch die Sehnsucht des modernen Menschen nach Ruhe, nach Orten zum Auftanken. Die vergangenen Jahre haben eine ganze Branche hervorgebracht, die diesen Hunger stillen soll: "Wellness" heißt die Zauberformel, die Rettung aus dem Ozean der Überforderung bringen soll.

Mit 450 Tiefeninterviews und mehr als 50 Gruppendiskussionen hat das Institut für qualitative Markt- und Medienanalysen "Rheingold" versucht, das Phänomen Wellness psychologisch zu entschlüsseln. Das Ergebnis: Wellness ist Krankheitsersatz. Sie legitimiert den radikalen Rückzug aus den mühseligen Verpflichtungen des Alltlagslebens. Und sie ermöglicht die ausschließliche Beschäftigung mit dem eigenen Körper, erlaubt Selbst-Verwöhnung und Faulheit - wie eine Krankheit.

Der Unterschied ist, schreibt Rheingold-Managerin Ines Imdahl, dass einen die Krankheit ungewollt erwischt, Wellness hingegen erfordert Aktion. Es gehe vor allem Frauen nicht um Nichtstun, sondern um einen Zustand der Überwältigung durch ein bestimmtes Körpergefühl. Diesen zu erreichen, erfordert Engagement. Männer setzen Wellness fast immer mit Entspannung und Wohlgefühl gleich, für Frauen ist Wellness ein ganzheitlicher Zustand mit dem Ziel, einen fehlenden Teil der Persönlichkeit zu ergänzen. Ein hohes Ziel - und nie gibt es die Garantie, dass die gewünschte Verfassung auch erreicht wird.

Wellness, ein zusammengesetztes Wort aus Well-being und Fitness , umfasst Wohlbefinden, körperliche und geistige Leistungsfähigkeit. Die Studie Wellness Sensors 2009 nennt als stärkste Gruppe unter den Wellnessurlaubern die "gestressten Performer". Dieser Typ ist im mittleren Alter, beruflich erfolgreich und dadurch stark gefordert. Wer viel leistet, darf sich auch etwas gönnen, denkt er - und belohnt sich. Und zwar schnell - selbst für Entspannung fehlt die Zeit.

Dem Stress den Garaus machen

Vom Stress der einen profitieren die anderen: Hotelbesitzer, Massagestudiobetreiber und nicht zuletzt Verleger freuen sich über das Übermaß an Herausforderungen, das einen großen Teil der Deutschen täglich bedrückt. Der Umsatz mit Wellnessreisen ist zwischen 2004 und 2009 durchschnittlich um jeweils rund neun Prozent angewachsen.

Und in Buchhandlungen liegen bergeweise Entspannungs-, Antistress- und Fitnessratgeber aus, die helfen sollen, dem Stress den Garaus zu machen. Eine Antwort auf die Sehnsucht nach Ruhe kann und darf offenbar jeder geben: Fitnesstrainer, Yoga-Lehrer, Journalisten und sogar Juristen versuchen sich als Ratgeber für Menschen, die unter Druck und Anspannung stehen.

Sinnvolle Tipps

Wir haben einige davon durchforstet - auf der Suche nach sinnvollen Tipps für Entspannung und Wohlfühlmomente im Alltag. Denn die Sehnsucht nach Ruhe ist schließlich gerechtfertigt - und man muss nicht gleich zum Einsiedler werden, um dem Stress zu entfliehen. Häufig helfen schon wenige Momente der Stille und Regeneration, um dem Leben Tempo zu entziehen.

Wir sind fündig geworden im Ratgebersammelsurium: Es gibt durchaus kleine Übungen und Kniffe, die Stress mindern, dem Körper und der Seele gut tun und dem Tag mehr Lebensqualität geben.

Wir haben aber auch jede Menge skurrile Ratschläge gefunden - vom Drehstuhl-Karussell bis Matschkuchenbacken, von der Hummelatmung bis zur bebrillten Busfahrt: Einige Tipps sind ungewöhnlich, weil sie Erwachsene zu kindlichem Verhalten animieren oder weil die Umsetzung lächerlich und nutzlos erscheint. Doch ausschließen, dass auch solche ungewöhnlichen Methoden zur Entspannung verhelfen, kann man nicht - und dafür gibt es einen Grund.

"Die Entspannungsreaktion kann willentlich von jedem selbst hervorgerufen werden", verspricht Lutz Hertel, Gesundheitspsychologe und Vorstandsvorsitzender des Deutschen Wellness Verbands.

Das Prinzip sei sehr einfach: "Man konzentriert seine Aufmerksamekit auf ein äußeres Objekt, einen äußeren Reiz oder einen Gedanken. Geeignet ist alles, was von einem selbst entweder neutral oder positiv bewertet wird. Dabei gibt es natürlich individuelle Unterschiede."

Die Auswahl der Wellness-Tipps veröffentlichen wir in zwei Folgen am 28. Februar und am 2. März auf sueddeutsche.de/fitness.

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