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Phänomen Pippa Middleton:Das Buch Pippa

Es begann mit einem wunderschönen weißen Kleid am Hochzeitstag ihrer Schwester - doch wo wird es enden? Das Phänomen Pippa Middleton beschäftigt die internationale Presse nun seit Ende April. Nachdem die 27-Jährige zur Berühmtheit wurde, fragt sich die Welt: Was plant Pippa?

Marten Rolff

Am Anfang war das Kleid. Oder besser gesagt: ein weißer Satin-Traum aus dem Hause Alexander McQueen. Und wie immer, wenn ein Kleid am Anfang einer Karriere steht, dann kommt es eher auf das an, was es verhüllt. Auf das Versprechen hinter dem Stoff. Ein Versprechen, das Philippa Charlotte Middleton, genannt Pippa, am Tag der britischen Prinzenhochzeit gleich zwei Milliarden Menschen gab.

So viele sahen am Bildschirm zu, als die Schwester und Brautjungfer der zukünftigen britischen Königin vor der Westminster Abbey am Vormittag des 29. April aus dem Wagen stieg. Und "jedes Mal, wenn sie sich bückte, um Kates Kleid zu richten", so schrieb der Sunday Telegraph später andächtig, "konnte man die kollektiven Seufzer der Männer hören".

Das Stöhnen galt dem Körperteil Pippas, auf den die filigrane Knopfleiste am Rücken mit äußerster Eleganz zusteuerte. Das Kleid machte die Brautjungfer auf einen Schlag fast ebenso bekannt wie die Braut. Und erstmals in der Geschichte des britischen Königshauses standen seine Beobachter vor dem Problem, einen globalen sexuellen Reflex in eine sinnvolle gesellschaftliche Analyse zu übersetzen. Eine Aufgabe, an der man scheitern muss.

Denn viel weiß man noch nicht über Pippa Middleton und die Geschichte eines wie auch immer vorteilhaften Hinterteils ist schnell auserzählt. Die Höhepunkte dessen, was die Krawallblätter später gemeinhin Arse-Gate und der Samthandschuh-Boulevard verschwiemelt Derrier-Affair nannten: Der Wirtschaftsstudent, der Pippas Kehrseite noch am selben Tag eine eigene Facebookseite widmete, verdient nun Geld mit T-Shirts, die Aufdrucke wie "Queen of Ass-tocracy" tragen.

Und als das französische Magazin Le Point es wagte, Pippas anatomische Vorzüge öffentlich in Zweifel zu ziehen ("zu wenig Form, zu wenig Bewegung"), da rückte die Londoner Yellow Press diesen Angriff in die Nähe einer diplomatischen Krise. Doch alle Entrüstung konnte nicht verhindern, dass die Mitgliederzahl der "Pippa Middleton Ass Appreciation Society" bei 230.000 stagniert. Und nun?

Nun beißen sich die royalen Exegeten die Zähne aus an einer jungen Frau, die Ende April binnen Stunden durch eine Art Fan-Flashmob in die Umlaufbahn der internationalen A-Prominenz geschossen wurde. Eine Frau, die seitdem vermutlich ungefähr das macht, was sie auch vorher schon gemacht hat, nur jetzt eben unter den Augen einer Welt, die im Nachhinein für ihr spontanes Delirium der Zuneigung eine Erklärung zu verlangen scheint. Welcher Plan steht hinter ihrer Berühmtheit?

Die Faktenlage, auf die sich die allgemeine Suche nach Antworten gründet, ist erwartungsgemäß dünn. Wir fassen zusammen: Pippa ist eineinhalb Jahre jünger als Kate. Sie wuchs unter identischen Bedingungen auf, besuchte dieselben Schulen, hat einen ähnlichen Freundeskreis und studierte englische Literatur in Edinburgh, wo sie eine Wohnung mit den Söhnen der Herzöge von Northumberland und Roxburghe teilte; heute lebt sie mit ihrem Bruder James in einer Eigentumswohnung in Chelsea.

Wie Kate gilt Pippa Middleton als sportlich, kumpelhaft, gut vernetzt und unkompliziert. Und wie Kate arbeitete sie für den Party-Zubehör-Service ihrer Eltern. Nach der Prinzenhochzeit wurde sie bei der Teilnahme eines Triathlons sowie mit wechselnder (männlicher) Begleitung in Madrid, Paris und London gesichtet. Das war es schon.

Wohlmeinende Beobachter setzten bei Lageanalysen bisher auf die Schneeweißchen-und-Rosenrot-Theorie: Zwei reizende Schwestern, denen gemeinsam ein geradezu stratosphärischer Aufstieg gelang und die einander herzlich zugetan seien. Die Hochzeit? Eine "rührende Demonstration schwesterlicher Loyalität", wie man noch Anfang Mai lesen konnte.

Nach dieser Version ist Pippa stets geblieben, was sie war: Die engste Verbündete Kates, die deren Märchen nie durch einen Fehltritt gefährden würde. Streicht man etwas Pathos weg, so ist diese Auslegung wohl sogar die plausibelste. Der Nachteil: Auf Dauer ist sie leider auch die langweiligste.

Mit Zunahme der Gerüchte um Pippas Liebhaber gewann daher die Ehrgeiz-Theorie Anhänger. Demzufolge hat Pippa der Braut bereits auf der Hochzeit die Schau gestohlen ("Eine Brautjungfer in Weiß?") und drängt ins Rampenlicht.

"Sie ist die gesellschaftlich ambitionierteste Frau, die ich je kennengelernt habe", so wusste eine anonyme Quelle der Daily Mail zu berichten. Nicht umsonst sei Pippa die zweite Hälfte eines Paares, das als "Wisteria-Schwestern" Karriere machten, zwei blühende Gewächse, deren Emporranken keine Grenzen kenne.

Verschiedene Zeitungen boten für die Untermauerung ihrer Theorie nicht nur psychologisierende Historiker auf, sondern zogen Parallelen zu einer endlosen Reihe prominenter Schwestern, die angeblich nach diesem Muster handelten - von Serena und Venus Williams bis zu einigen Tudor-Frauen.

Eng verknüpft mit dem Ehrgeiz-Muster ist die Goldschürfer-These, derzufolge Pippa Middleton durch die Hochzeit ihrer Schwester unter Druck geraten sei, einen vergleichbaren Ehe-Scoop zu landen. Ihrer Verbindung mit dem Bankierssohn und früheren Cricket-Spieler Alex Loudon werden daher kaum noch Chancen eingeräumt. Zuletzt genannte Kandidaten: Prinz Harry (traf Pippa zum Tee, Wetten auf eine Beziehung stehen bei 25:1); Vicomte Arthur de Soltrait (stellte Pippa angeblich bei den French Open seine Wohnung zur Verfügung); sowie George Percy.

Percy kennt Pippa von früher, er erbt als künftiger Herzog von Northumberland nicht nur einen der wichtigsten Adelstitel des Landes, sondern auch ein 350 Millionen-Vermögen sowie Schloss Alnwick, das auch "Windsor des Nordens" genannt wird und zuletzt als Kulisse für die Harry-Potter-Filme diente. Eine traumhafte Partie, so jubeln Beobachter. Auf die Idee, es umgekehrt zu sehen, käme derzeit niemand.

Denn während Europas übrige Königshäuser sich lange an bürgerliche Prinzessinen und deren seltsamen Anhang gewöhnt haben, ist dieses Phänomen in Großbritannien eher neu. Womöglich gibt es eine Sehnsucht, dass die Legitimität der Middletons und damit die Wahl des künftigen Königs durch einen weiteren Hochadligen gestützt wird.

Pippa, so schrieben Zeitungen, sei in das Erdwärmeunternehmen von Percy eingestiegen. Dass ein Facebookstar ebenfalls eine gute Partie sein könnte, für die unbekannte Firma eines leidlich bekannten Erben, das scheint auch im London des 21. Jahrhunderts weiter undenkbar.

Pippas Vorbildcharakter zumindest gilt allgemein als unbestritten. Das Handtaschenmodel Bristol (169 Pfund), das sie stets mit sich herumträgt wurde nach ihr umbenannt und gilt ebenso als ausverkauft wie das Zara-Kleid, das sie bei den French Open trug. Als Mode-Ikone dürfte sie mit ihrem eher praktischen Girl-next-Door-Stil dennoch nicht taugen, was sogar die Kommentatoren der einschlägigen Magazine inzwischen verstanden haben. Welches Raster passt, ist noch längst nicht entschieden.

Doch während die Beobachter des semi-royalen Fräuleinwunders noch von herzöglichen Anträgen, einer eigenen Chatshow bei Oprah Winfrey oder einem Jobangebot der Rothschilds schwärmen, überraschte Pippa Middleton zu Beginn der Woche mit der Ankündigung, sie wolle als Eventmanagerin bei den Filmfestspielen in Cannes arbeiten; das sei der Grund für die Trennung von Alex Loudon, der in London bleiben wolle, hieß es.

Am Ende ist sie womöglich einfach eine 27-jährige Frau, die sich amüsieren und den zu groß gewordenen Rummel im Ausland etwas abkühlen lassen möchte. Und nicht einmal den Titel des Mädchens mit dem schönsten Hintern nimmt sie mit nach Frankreich. Denn am 9. Juni geschah das Undenkbare: Den seit 1976 bestehenden Wettbewerb "Rear of the year" gewann nicht etwa Pippa Middleton , sondern - Carol Vorderman (sic!), eine 50 Jahre alte und soeben von ihrem Sender auf das Hässlichste verabschiedete Game-Show-Moderatorin.

"Brauchen wir künftig internationale Wahlbeobachter bei diesem Wettbewerb?", so fragten die Showbiz-Blogger des Guardian mit gespielter Entrüstung. Um weniger ironisch nachzuschieben: Nichts gegen Carol, aber "es gibt dieses Jahr nur einen Hintern in der Stadt und der gehört Pippa." Wohl selten zuvor war der britische Boulevard mit seinen Analysen dermaßen hinten dran.

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Quelle:
SZ vom 16.06.2011
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