Dieser Text stammt aus dem Familien-Newsletter der Süddeutschen Zeitung, der jeden Freitagabend verschickt wird. Hier können Sie ihn abonnieren.
Liebe Leserin, lieber Leser,
könnten Sie sich vorstellen, ein Pflegekind aufzunehmen? Ein fremdes Kind, häufig mit einem ganzen Rucksack an Problemen, das Ihnen außerdem jederzeit wieder weggenommen werden kann?
Nur wenige Menschen in Deutschland spricht diese Vorstellung an, es gibt viel zu wenig Pflegefamilien. Die, die es gibt, öffnen ihr Zuhause am liebsten für Babys und Kleinkinder. Nicht so Brigitte und Michael Glas. Das Ehepaar aus München hat in den vergangenen 15 Jahren 23 Pflegekinder aufgenommen - viele davon im Teenageralter. Am Anfang ergab sich das so, inzwischen sind ihnen die Jugendlichen sogar lieber. Brigitte Glas erklärte mir das bei meinem Besuch damit, dass diese stärker mitentscheiden können, ob und wie lange sie bleiben wollen. „Ein 16-Jähriger kann sich ganz anders für seine Interessen einsetzen als ein Sechsjähriger.“
Manche Pflegekinder wohnten nur wenige Wochen bei der Familie. Andere blieben mehrere Jahre, wurden fast zu eigenen Kindern. Am meisten hat mich beeindruckt, wie gelassen die beiden mit Problemen umgehen. Ein Mädchen klaute, plötzlich war die EC-Karte weg. Von da haben sie ihre Geldbeutel in eine Kassette gesperrt. Mein Porträt über die beiden können Sie hier lesen.
Die Biografien vieler Pflegekinder sind von Vernachlässigung und Gewalt geprägt, manchen von ihnen fällt es schwer, sich in fremden Familien oder Heimgruppen zu integrieren. Wie man solchen sogenannten „Systemsprengern“ helfen kann, habe ich vor einem Jahr recherchiert. Damals besuchte ich eine Wohngruppe für Jugendliche, die zuvor überall rausgeflogen sind. Hier soll das nicht passieren. Es ist eine letzte Chance - und funktioniert nur, weil der Leiter Überstunden schiebt, um für die Jugendlichen Verlässlichkeit und so etwas wie ein Zuhause zu schaffen.
Mir fällt bei solchen Geschichten immer wieder auf: Ohne das außergewöhnliche Engagement von einem besonderen Schlag Mensch wäre so etwas gar nicht möglich. Haben Sie auch so jemanden im Freundes- oder Bekanntenkreis? Oder sind Sie vielleicht sogar diese Person? Ich freue mich, wenn Sie mir schreiben.
Ein schönes Wochenende wünscht
Julian Gerstner