Pflege:"Die Krankenhäuser sind total überfordert"

Altersheim

In Deutschland steht es um die Pflege nicht gut. Die SZ hat mit vier Pflegern gesprochen.

(Foto: dpa)

Um die Pflege in Deutschland steht es seit Langem extrem schlecht. Aber was heißt das in der Praxis? Vier Tweets von Menschen, die in der Branche arbeiten, und die Geschichten dahinter.

Protokolle von Michaela Schwinn

Eigentlich hatte er es nur gut gemeint. Erwin Rüddel, der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Bundestag, wollte nicht länger zuschauen, wie den Altenheimen und Kliniken die Pfleger davonlaufen. Also schlug er auf Twitter vor: Die Politik werde handeln, nun aber sollten auch die Pfleger anfangen, gut über ihre Branche zu reden, dazu setzte er den Hashtag #gutezeitenfürgutepflege. Doch statt positiver Geschichten hagelte es Kritik für den CDU-Politiker.

Unter dem Hashtag #twitternwierueddel begannen Pfleger, in kleinen Episoden über ihren Berufsalltag zwischen Schichtarbeit, Erschöpfung und Angst zu berichten. Es sind tragische Spitzen und Momentaufnahmen einer Krise, die Deutschland schon lange beherrscht. Die SZ hat mit vier dieser Pfleger gesprochen, die ihren Job trotz Krisen zwar gerne machen - aber mit ihren Tweets auch deutlich machen wollten, dass das eben nicht einfach so geht: nur gut über ihren Job zu reden.

Monja Schünemann, 47 ehemalige Krankenschwester

"Ich war 23 Jahre lang in der Krankenpflege tätig, vor allem in der Notfall- und Intensivmedizin. Jetzt bin ich Historikerin, ich hielt die Arbeitsbedingungen nicht mehr aus. Ich musste da raus.

Als Krankenschwester zählt man quasi zur Grundausstattung der Gesellschaft; und so wird man auch behandelt. Damals war ich in einer Großklinik beschäftigt. Meine Kollegen und ich haben gearbeitet wie die Bekloppten, andauernd mussten wir für kranke Kollegen einspringen, wir arbeiteten 24 Stunden durch, ohne Pause. Irgendwann reagierte der Körper: Ich fror und war müde. Aber statt uns zu unterstützen oder uns aufzumuntern, machte uns die Klinikleitung Vorwürfe: Arbeiten Sie sich gefälligst warm.

Der Spruch fiel nicht nur einmal. Auch von den Patienten hörte ich öfter solche Sachen: Halten Sie den Mund, Sie sind ja nur Schwester."

Nina Markwart*, 34, Kinderkrankenschwester

Nina Markwart*, 34Kinderkrankenschwester "Ich war noch in der Ausbildung, als ich die alte Dame morgens auf der Toilette sitzend fand. Seit fünf Stunden hockte sie da und wartete auf die Nachtschwester. Ich fragte sie, warum sie sich denn nicht gemeldet hatte. Und sie antwortete: Die Schwester wollte ja gleich wieder kommen. Sie war sehr höflich, wie viele Patienten ihrer Generation. Meine Kollegin musste sich in dieser Nacht um 60 Patienten kümmern. Sie war alleine auf einer Station, auf der den Pflegern sogar City-Roller gestellt wurden, damit sie zügig von Zimmer zu Zimmer kommen. Dann gab es einen Notfall und sie hatte die alte Dame einfach vergessen.

Das hat mich schockiert. Und trotzdem würde ich meiner Kollegin nie einen Vorwurf machen. So etwas passiert, weil die Stationen ständig unterbesetzt sind. Dieser Nachtschwester tat damals unglaublich leid, was passiert ist. Das ist eine Situation, nach der man nicht einfach nach Hause fährt und sich denkt: passt schon. Sondern das macht was mit uns.

Ich arbeite immer noch in dem Haus, aber als Kinderkrankenschwester. Ich liebe meinen Beruf und wir haben ein tolles Team, aber deswegen will ich auch anonym bleiben. Schon mehrere Kollegen haben Abmahnungen bekommen, weil sie sich negativ geäußert haben.

"Ich war wütend und hilflos"

Ruth Zobel*, 33, Altenpflegerin

"Ich kann mich noch gut an diesen Tag erinnern. Ich war Azubi in der Altenpflege und in meinem Wohnbereich war eine alte Dame, 105 Jahre alt, dement und vom Krebs zerfressen. Mir wurde aufgetragen, regelmäßig zu gucken, ob sie noch lebt. Bei einem Kontrollgang fiel mir auf, dass sich ihre Atmung massiv verschlechtert hatte und alles hat darauf hingedeutet, dass sie im Sterben liegt. Also bin ich bei ihr geblieben und habe ihre Hand gehalten, bis zum letzten Herzschlag. Als meine Praxisanleiterin das mitbekam, hat sie mich angeschrien, was das solle, es wären noch über 30 andere Bewohner zu versorgen. Und warum ich bei dieser einen Patientin überhaupt Zeit verschwende, sie würde ja ohnehin krepieren. Das war ein elendes Gefühl. Ich war wütend, aber gleichzeitig hilflos, schließlich war ich nur Auszubildende.

Leider passiert so etwas fast jeden Tag. Wir stehen unter dem Druck, möglichst vieles in wenig Zeit, mit wenig Personal zu stemmen. Oft bekommen wir vor lauter Arbeit gar nicht mit, wenn ein Bewohner im Sterben liegt. Dabei fürchten sich viele Heimbewohner am allermeisten davor, alleine in einem Abstellkämmerchen zu sterben. Aber das ist der Normalfall. Es mag blöd klingen, aber für mich ist der Tod der Zieleinlauf des Lebens. Nichts sollte da wichtiger sein."

Nils Ende*, 36, Altenpfleger im ambulanten Dienst

Nils Ende*, 36Altenpfleger im ambulanten Dienst "Ich muss es jetzt einfach so sagen: Das ganze System ist ein einziges Chaos. Ich arbeite mit Kollegen zusammen, die völlig fachfremd sind. Sie werden von der Arbeitsagentur zu uns geschickt, um "Pflege zu machen", haben aber keinerlei Erfahrung. Und das in der Intensivpflege, wo schwerkranke Menschen zu versorgen sind. Wenn es einem Bewohner plötzlich schlechter geht, können sie sich gar nicht helfen, sie telefonieren wild herum und werden panisch. Dadurch passieren Fehler, die diesen Menschen das Leben kosten können. Aber das ist ein sehr heikles Thema, deswegen will ich nicht, dass mein Name veröffentlicht wird.

Auch die Krankenhäuser sind total überfordert. Für Pflege haben sie kaum noch Zeit. Vor ein paar Wochen mussten wir einen unserer Bewohner in die Klinik bringen. Ein paar Tage später wurde er mit 39 Grad Fieber entlassen. Er war ungewaschen, hatte kaum etwas zu trinken bekommen und die Elektroden vom EKG klebten noch an seinem Körper. Es war in einem jämmerlichen Zustand."

*Namen von der Redaktion geändert

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: