Pfandring an Mülleimern:Ein Ring dreht Kreise

Pfandring an Mülleimern: Der Pfandring macht Karriere: Kaum ein Gemeinderat in der Republik, dem nicht ein Vorschlag vorliegt, endlich einen anzuschaffen.

Der Pfandring macht Karriere: Kaum ein Gemeinderat in der Republik, dem nicht ein Vorschlag vorliegt, endlich einen anzuschaffen.

(Foto: Uli Deck/dpa)

Der Pfandring ist eine Konstruktion an Mülleimern. Er soll Flaschensammlern helfen, leichter an das Leergut zu kommen. Viele Städte schaffen ihn an. Doch Kritiker halten ihn für ein würdeloses Feigenblatt.

Von Bernd Dörries, Köln

Der Winter ist eine harte Zeit für Flaschensammler, weil der Mensch dann lieber drinnen trinkt als draußen. Er lungert weniger herum. Aber heute, heute könnte ein guter Tag sein. Der Himmel hat ein schönes Blau, die Straßen sind voll von Menschen, die ein Bier in der Hand halten. So laufen sie sich schon mal warm für den Abend.

Vor zwanzig Jahren hätte dieses Land vielleicht noch das Ziel gehabt, eine Gesellschaft zu entwickeln, in der niemand Flaschen sammeln muss, um über die Runden zu kommen. Heute soll kein Flaschensammler mehr in die Mülleimer greifen müssen. Das sei würdelos und eklig, sagen die Freunde des Pfandrings, der gerade so große Erfolge feiert. Köln, Bamberg, Stuttgart, Bielefeld und Magdeburg haben das Teil schon an die Mülleimer ihrer Städte geschraubt. Man stellt eine Mehrwegflasche hinein und kriegt zwar kein Pfand zurück, dafür aber das gute Gefühl, die Kluft in der Gesellschaft kleiner gemacht zu haben.

Früher haben die Deutschen Geld gespendet, jetzt Flaschen

Es gibt kaum noch einen Gemeinderat in der Republik, dem nicht ein Vorschlag vorliegt, endlich Pfandringe anzuschaffen. Es klingt wie eine Erfolgsgeschichte. Manche Städte legen Pfandringe aus Metall um ihre Abfalleimer, andere besorgen sich von einer Limonadenfirma gleich Pfandkisten, die man um Laternenpfähle binden kann. Berlin testet gerade diese Pfandkiste: "Für Ihre Pfand-Spende", steht da drauf. Früher haben die Deutschen Geld gespendet. Jetzt spenden sie Flaschen.

Der Pfandring in der Venloer Straße in Köln ist ziemlich leer. Trotz des schönen Wetters hängt nur eine einsame Flasche darin. Nach zehn Minuten nähert sich ein älterer Mann mit Jutebeutel, schnappt sich die leere Limo und läuft weiter. Was er vom Pfandring hält? Der Mann fühlt sich ertappt: "Ich bin eigentlich gar kein Flaschensammler. Ich würde nie in Mülleimern wühlen. Ich bin auf dem Weg nach Hause und nehme das nur mit, weil es da so günstig steht." Er geht weiter, der Pfandring ist wieder leer. Ein gelbes Schild ist an ihm angebracht: "Gestiftet vom SPD-Ortsverband Köln-Ehrenfeld".

Die Grünen in Bamberg haben schön formuliert, was sich Politik und Gesellschaft vom Pfandring erhoffen: Er soll "die unmittelbaren Folgen von Armut zumindest ein wenig lindern und das oft würdelose und gesundheitsgefährdende Wühlen in Müllbehältern überflüssig machen." Schafft Leergut eine bessere Welt?

Christian Vogel (SPD) sitzt im holzverkleideten Amtszimmer des zweiten Bürgermeisters von Nürnberg, der er ist. In seine Zuständigkeit fiel es, als die CSU im vergangenen Sommer den Antrag stellte, in der Stadt Pfandringe oder -kisten zu installieren.

Vogel hat sich dann mal an einem Sonntag eine halbe Stunde vor eine Pfandkiste gesetzt, die von Bürgern angebracht worden war. Zweimal habe jemand eine Flasche herausgenommen. "Beide Male war es ein Anzugträger, kein Flaschensammler." Er habe den Pfandring anfangs auch für eine gute Idee gehalten, sagt Vogel. Mittlerweile sehe er es so: "Das ist eine schnelle Befriedigung des Gewissens, mehr nicht."

Der Wettbewerb unter Sammlern hat zugenommen

Vogel hat sich auch mit Leuten vom Sozialdienst zusammengesetzt, die jeden Tag mit Flaschensammlern zu tun haben. "Die sind gar nicht so begeistert von der Idee", sagt er. "Die fürchten sich vor neuer Konkurrenz." Der Wettbewerb unter den Sammlern habe in der Vergangenheit ohnehin zugenommen, so sei sein Eindruck.

Wenn die Flaschen nun nicht mehr im Mülleimer landen würden, dann fühlten sich plötzlich ganz andere Gruppen angesprochen, solche, die es nicht nötig haben, aber schnell ein paar Cent mitnehmen wollen. "Der Mülleimer hat für viele Sammler auch eine Schutzfunktion", sagt Vogel. Und die Würde?

Jeder Sammler habe seine eigene Biografie, sagt Vogel, bei vielen gehe es nicht unbedingt darum, sich den Lebensunterhalt zu finanzieren. Dazu sei der Ertrag ohnehin zu gering. Es gehe darum, etwas zu tun, am Ende des Tages etwas geschafft zu haben. Es ist wie ein Beruf: Flaschensammler. "Die Definition, was gut und würdevoll ist, treffen in der Regel Menschen, die nicht betroffen sind. Je weiter man von den Betroffenen weg ist, desto moralischer wird die Diskussion. Wir haben nicht das Gefühl, dass sich die Flaschensammler stigmatisiert fühlen."

Nürnberg hat die Anschaffung abgelehnt

Vogel erzählt von Menschen, die sich Werkzeuge gebaut haben, mit denen sie in die Eimer greifen können. Es erfülle sie mit einem gewissen Stolz, sich eine Flasche geangelt zu haben. Pfandringe, so glaubt Vogel, seien wie ein Eingriff in ein Biotop. "Wir würden den Sammlern eher schaden." Der Nürnberger Stadtrat hat ihre Anschaffung abgelehnt, duldet aber private Initiativen.

Bei der Firma Lemonaid in Hamburg kann man Pfandkisten bestellen. Die Büros von Lemonaid liegen in einem Hinterhof neben der Reeperbahn. Die Räume sehen etwas durcheinander aus, überall liegen Beutel mit dem neuen losen Tee herum, der demnächst auf den Markt kommen soll. Natürlich aus fairer Produktion.

Lemonaid hat sich das Gute recht deutlich in den Namen geschrieben. Man kann eine ziemlich leckere Limonade mit Zitronen- und auch Maracujageschmack trinken. Oder einen "Charitea" mit Mate-Aroma. 1,69 Euro kostet eine 0,33-Liter-Flasche im Bio-Markt, was einen Literpreis von etwa fünf Euro ergibt. Biomärkte trauen sich nur selten, so viel für exotische Säfte zu verlangen.

Dafür gehen dann zumindest fünf Cent pro Flasche an soziale Projekte in Lateinamerika, das Geld kommt den Produzenten zugute. Seit 2008 gibt es die Firma, ihr Wachstum ist rasant: Im letzten Jahr verkaufte sie 3,5 Millionen Flaschen. Macht in den vergangenen Jahren bislang insgesamt 350 000 Euro für soziale Zwecke.

Die Pfandkiste hat viele Vorteile

Seit drei Jahren hat Lemonaid auch die Pfandkiste im Programm, eine weiße Mehrwegkiste für ihre Limonade, die mit einer Gebrauchsanleitung versandt wird, wie man sie an Mülleimern und Laternen aufhängen kann. "Mehrere Hundert haben wir bereits verschickt", sagt Jakob Berndt, einer der Firmengründer. Kostenlos natürlich. Dazu gibt es Workshops, für die weniger handwerklich begabten. Das Firmenlogo auf der Kiste wird durch einen Aufkleber "Pfandkiste" überdeckt, allerdings in derselben Schrift wie der Firmenname.

Jakob Berndt ist etwas genervt von dem Misstrauen, das seiner Firma von mancher Seite entgegenschlage. "Wir wollen wirklich etwas verändern und dabei nicht nur Leute ansprechen, die in Welt-Läden gehen." Die Zahlen seien transparent, die Projekte nachhaltig.

Ihn habe verblüfft, wie lange die Leute ihre Flaschen einfach achtlos in den Mülleimer geworfen hätten. Dabei gingen Rohstoffe verloren, und die Sammler müssten im Dreck wühlen, was wohl kein Mensch gerne tue. Die Pfandkiste habe also nur Vorteile, die Nachfrage sei groß.

"Social Business" könne die Welt etwas besser machen

Lemonaid ist in einer Zeit groß geworden, in der die Industrie mit dem Gefühl spielt, man müsse nur das richtige konsumieren, um ein guter Mensch zu sein. Seit vielen Jahren gibt es Spülmittel mit dem Frosch, das signalisieren soll, damit der Umwelt nicht zu schaden.

Noch früher entdeckte das Land die Problematik des gebleichten Papiers, was die Industrie dazu brachte, ein Recycling-Klopapier mit dem Namen "Danke" auf den Markt zu bringen. Die Botschaft: Ich muss mich nicht ändern, ich muss mich nicht engagieren, ich muss nicht verzichten. Es kommt auf die richtige Entscheidung im Laden an. Für die Umwelt. Für Flaschensammler. Für ein gutes Gefühl.

Berndt war früher in der Werbung, er weiß wie man sich positioniert mit seinem Produkt. Aber darum geht es nicht nur. Neulich hat er das Buch des Soziologen Harald Welzer gelesen. Der schreibt, dass es im Leben nicht nur um Wachstum und Konsum gehen dürfe, sondern auch um Glück und Zukunftstauglichkeit. Jakob Berndt hat sich die Frage gestellt, ob seine Firma und Sachen wie die Pfandkiste ein Teil einer Entwicklung sind, die er selbst gar nicht so gut findet: "Ist das jetzt die Pervertierung des Kapitalismus, der sich selbst rettet und einem das Gefühl gibt, am Wandel mitzuwirken?"

Eine gute Frage. Berndt hat sie mit Nein beantwortet. Solches "Social Business", glaubt er, könne die Welt tatsächlich etwas besser machen. Man zahle den Erzeugern faire Preise, schaffe nachhaltigen Wohlstand in armen Regionen. "Die soziale Verantwortung hört ja nicht im Supermarkt auf." Es gebe keine Verlierer.

Gewinnen auch die Flaschensammler?

Und Gewinner? Gehören die Flaschensammler dazu? Berndt, sagt, er habe sich zu Beginn der Aktion einmal mit Sammlern unterhalten, das Echo sei positiv gewesen. Ansonsten müsse man sich eben auf die Kooperationspartner verlassen. Der größte davon ist die Initiative "Pfand gehört daneben", mehr als 40 000 Unterstützer hat sie auf Facebook.

Die Selbstbeschreibung lautet so: "Der Unterschied zwischen Arm und Reich zeigt sich selten so deutlich wie beim Pfand." Es gibt Aufkleber mit der Aufforderung, Pfand zumindest neben den Mülleimer zu stellen und die Pfandkiste. Dazu Seminare und Podiumsdiskussionen. Die Nachfrage ist groß. "Wir freuen uns, was da gerade los ist", sagt Mischa Karafiat.

Karafiat trägt einen schwarzen Kapuzenpulli mit der Aufschrift: "Kein Mensch ist illegal" und betreibt eine PR-Agentur. Gerade hat er beim Aufbau der Hamburger Greenpeace-Ausstellung mitgeholfen. Seit 2011 gibt es die Facebook-Seite, der Zuspruch war anfangs gut. "Wir haben aber gemerkt, dass da mehr zu holen ist", sagt Karafiat. Also haben sie Künstler wie die Beatsteaks angesprochen, die ihre Seite verlinkt haben, was wieder neue Likes brachte.

Der Pfandring führt auch zu einem aufgeräumten Stadtbild

Andere Bands nahmen die Plakate der Kampagne "Pfand gehört daneben" mit auf Tour, was noch mehr Zulauf brachte. "Wir suchen immer neue Kanäle, über die wir die Botschaft kommunizieren können." Neulich hat die Initiative den Green Tec Award bekommen, der für Projekte in der grünen Wirtschaft vergeben wird. Und auf dem Young-Lions-Festival, dem Nachwuchspreis des großen Werbewettbewerbs in Cannes, war die Pfandkiste eine Aufgabenstellung für den Nachwuchs. Die Gewinner durften nach Cannes fahren.

Die einen spazieren unter Palmen, die anderen wühlen in Mülleimern. Es sind zwei Welten, die sich nie treffen. "Der Erfolg ist irre", sagt Mischa Karafiat. Bekommt er auch Reaktionen von Flaschensammlern? "Fünf haben sich auf Facebook gemeldet und fanden das gut. Die anderen suchten ja nicht unbedingt so die Öffentlichkeit."

In vielen Städten sagen die Politiker, der Pfandring sei nicht nur eine würdevolle Sache für die Flaschensammler, er führe auch zu einem aufgeräumten Stadtbild. Bisher würden viele Sammler nachts die Mülleimer durchwühlen und den Müll auf der Straße verteilen. Mit dem Pfandring habe alles seine Ordnung. Vielleicht ist es aber auch nur eine Ordnung, hinter der die Unordnung verschwindet. Unsichtbar wird.

Das wahrscheinlich erste Gestell für Pfandflaschen hat der Produktdesigner Holger Jahns erfunden, 2006. Damals war die Zeit wohl noch nicht reif für Social Business. Marktführer ist jetzt Paul Ketz aus Köln, der sich den Namen Pfandring als Marke hat schützen lassen. Sein Wahlspruch: "Ökologisch. Ökonomisch. Sozial". Ein Pfandring aus Metall kostet bei ihm etwa 110 Euro, der Preis sinkt bei höherer Stückzahl. Das sei knapp kalkuliert, reich könne er damit nicht werden, wolle er auch nicht.

Stuttgart startet eine Pfandring-Testphase

"Ich habe mich daran gestoßen, dass die einen etwas wegwerfen und andere es wieder mühsam aus dem Müll herausfischen, um sich ein Zubrot zu verdienen", sagt Ketz. Er habe sich mit vielen Flaschensammlern unterhalten und sei so auf sein Design gekommen. Derzeit lägen ihm viele Anfragen vor. Allein im Januar hat er aus seiner Werkstatt 70 Ringe verschickt. Ketz sagt, er finde vor allem den ökologischen Aspekt spannend: "Derzeit werden Pfandflaschen für 250 Millionen Euro im Jahr verbrannt, weil sie niemand aus dem Müll fischt."

Anfangs wollte die Pfandringe niemand so recht haben. Ketz bewarb sich beim Fernsehsender Vox für die TV-Show "In der Höhle des Löwen", bei der eine Jury die Wirtschaftlichkeit von Konzepten überprüft. Ketz wollte ein Fünftel seiner Firma für 50 000 Euro an Investoren verkaufen. Er fiel durch. Stattdessen gewann Ketz' Ring im vergangenen Jahr den Bundespreis Ecodesign. Seitdem geht es aufwärts.

"Einzelne Lösungsvorschläge für einzelne Problemstellungen"

Derzeit läuft die Produktion für Stuttgart, wo der Jugendrat der Stadt bereits vor zwei Jahren Pfandringe für die City gefordert hatte. Damals lehnte die städtische Abfallwirtschaft ab. Zu teuer, zu aufwendig. Zwei Jahre später verkündet die Stadt per Pressemitteilung nun den Start einer Testphase mit sechs Pfandringen.

Dabei hat sich politisch nichts geändert, aber eine neue Firma aus der Region mit dem Namen Wewant hat sich der Sache angenommen. Das Start-up mit sechs Mitarbeitern hat es sich zum Ziel gesetzt, Verbesserungsvorschläge von Bürgern direkt an die Verantwortlichen in Kommunen und Firmen weiterzuleiten. Ein Nutzer beschreibt seine Vorstellung vom Sinn von Wewant wie folgt: "Ich will keine Parteien mehr wählen, sondern einzelne Lösungsvorschläge für einzelne Problemstellungen."

Da sich der Zuspruch für Wewant dennoch in Grenzen hielt, kam die Firma auf eine Idee: Pfandringe. Zwar hatten sich nur 279 Nutzer solche in Stuttgart gewünscht, was bei einer Einwohnerzahl von knapp 600 000 nicht sehr viel ist. Dennoch will Wewant der Stadt sechs Pfandringe zu Verfügung stellen, was in der Region für einige Publicity und begeisterte User sorgte.

Designer Paul Ketz sagt, er bekomme dauernd Anfragen von Firmen, die an seinem Erfolg teilhaben wollten. Die gerne T-Shirts mit seinem Logo drucken würden oder den Pfandring nach China bringen. Er lehnt sie alle ab.

Hin und wieder stellt er sich neben seine Pfandringe und beobachtet, wie Passanten ihre Pfandflaschen hineinstellen und Flaschensammler sie später rausholen. "Früher haben die Leute jemandem, der am Boden saß, etwas hingeworfen, ein paar Münzen." Das habe er als recht würdelos gefunden. Heute begegne man sich auf gleicher Höhe. Auf der des Pfandrings.

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