Personalisierte Konsumgüter:Ich und ich

Maßgeschneidertes City-Bike, selbstgemischtes Parfum, Unikat-Handtasche: Firmen haben ein neues, lukratives Geschäftsmodell entdeckt: die Pseudo-Individualisierung.

Oliver Herwig

Sie wollten immer schon ein Star sein? Schneller geht es, Held in einem Liebesroman zu werden. Man muss nur ein paar Wörter online eintippen: Wie lautet der Name des Hauptdarstellers? Nennen wir ihn "Oliver". Wie heißt die Hauptdarstellerin? "Charlotte". Ihre Haarfarbe? "Braun". Seine Augenfarbe: "blau". Wie lange kennen sie sich? "Seit 20 Jahren".

louisvuitton; fahrradmanufaktur, myparfum

Fahrrad, Designertasche, selbst das Parfum - alles nach Maß und selbst kreiert.

(Foto: Foto: Fahrradmanufaktur, Louis Vuitton; Myparfum)

Abschicken - und schon erscheint am Bildschirm eine Kostprobe des personalisierten Romans: "Oliver Callaghan schnaufte lautstark. Wie konnte Charlotte nur auf diesen Unsinn kommen? Nun kannten die beiden sich schon seit 20 Jahren, doch so etwas hätte er ihr nie zugetraut. Die Sonne schien durch die hohen Fenster des ganz in Holz getäfelten Herrenzimmers. Das braune Haar von Charlotte schimmerte beinahe unwirklich im Sonnenlicht. Tränen der Ohnmacht und der Wut stiegen in Olivers blaue Augen."

Ganz gleich, ob Sie eher zur Rosamunde-Pilcher-Fraktion zählen oder venezianische Krimis bevorzugen: alles ist möglich, sogar ein Roman mit Ihnen als Commissario und Ihrem Chef als Gauner. Die Firma Personalnovel preist die Online-Schreibstube jedenfalls als ultimatives Geschenk: "Genießen Sie den erstaunten Anblick des Lesenden beim Entdecken des eigenen Namens."

Es sieht schon verdammt gut aus und fühlt sich noch besser an: die eigenen Initialen am Hemdkragen, das selbst gemischte Parfum auf der Haut und eine persönlich gestaltete Unikat-Handtasche am Handgelenk, während man vom maßgeschneiderten City-Bike steigt. Wer heute noch von der Stange kauft, kann sich bald nicht mehr unter Menschen wagen, denn jeder designt sich und seine Welt im Bemühen, ja nicht gemein zu werden mit Kollegen, Nachbarn, Familienmitgliedern, Freunden.

Da zurzeit zum Beispiel geschätzte 80 Prozent der Bevölkerung Mini fahren und einen beigefarbenen Trenchcoat tragen, füllt Individual-Design die Leerstelle sozialer Distinktion. Wir zelebrieren das Persönliche wie eine Privatreligion. Gestaltung ist gleich Abgrenzung.

Maßanzug und Maßhemd stehen am einen Ende der Personalisierungsspirale, individuelle Müsli-Spezial-Mischungen, wie sie die Firma Mymüsli vertreibt, am anderen: Dazwischen spannt sich der Wahnsinn des Besonderen, eine Welt aus Initialen, Monogrammen - eine Art sichtbar gewordene DNA. Dass auch Prada einen Made-to-measure-Service anbietet, verwundert da nicht.

Alles außer Massenware, das hat sich eine ganze Industrie auf die Fahnen geschrieben. Kunden pochen auf das Besondere - und sie kriegen es. Dank Computerfertigung und Online-Bestellung lassen sich auch Einzelstücke kostengünstig fertigen, ohne dass gleich alles von Hand gestickt und bemalt werden müsste. Die Kunden haben so eine Wahl zwischen vorgefertigten Bausteinen, die sich munter kombinieren lassen.

Dutzende Varianten, aber doch nichts Neues

So entstehen zwar Dutzende Varianten, aber doch nichts Neues, das den "Stempel der Exklusivität" trägt, wie manche Luxuslabels meinen. Über 200 Millionen Kombinationen: So viele einzigartige Handtaschen verspricht Louis Vuitton mit "Mon Monogram", dank Initialen und zwei Farbstreifen in 17 verschiedenen Tönen. Tatsächlich sind die angewandten Techniken - "Painting" von Hand oder "Hot Stamping" der Initialen - aufwändig und teuer. Individualisten lassen sich das aber gerne kosten, solche Lederwaren mit ganz persönlicher Note.

"Customize it" lautet daher auch eine der erfolgreichsten Marketing-Strategien des vergangenen Jahrzehnts. Menschen sind eben bessere Kunden, wenn sie mitgestalten dürfen. Erst waren es T-Shirts, dann Kaffee-Tassen, dann folgten ausgefeiltere Kreationen wie Schuhe von Converse oder Keds, die in den späten 1990er Jahren noch angesagte Designer wie Todd Oldham und Lilly Pulitzer für limitierte Editionen herangezogen hatten. Heute liefern sich Kunden und und Designer ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die ausgefallensten Entwürfe.

Auch wer heute ein ganz normales Auto ordern möchte, tut sich ziemlich schwer angesichts der Millionen Ausstattungsvarianten der Hersteller. Der Wunsch, sich durch Sportlenkrad, Alufelgen oder doch vielleicht den matt glänzenden Speziallack vom Nachbarn abzuheben, folgte in der Geschichte des Automobilbaus jenen Aufklebern am Kofferraum, die nicht nur Meinungen kundtaten, sondern die eine Botschaft transportierten: Das alles bin ich, und mich gibt es so nicht ein zweites Mal.

Fast könnte man glauben, die Massengesellschaft des 20. Jahrhunderts sei an ihrem Massengeschmack, an den Konfektionsgrößen und Standards erstickt. Aber dem ist nicht so. Die Konventionen traumatisierten ihre rebellierenden Kinder nur so sehr, dass diese "Persönlichkeit" mit "Spezialanfertigung" und "Extra" gleichzusetzen begannen. Generationen von Tunern verbrachten Wochenenden in stickigen Garagen für das Versprechen der Individualisierung, auch wenn die meisten Teile nichts anderes waren als vorfabrizierte Massenware.

Mit der Zeit begriffen auch die Hersteller, was sich da für ein Geschäftsfeld auftat und tunten ihre Fahrzeuge gleich serienmäßig. 1994 gab es den Golf in mindestens fünf Editionen ab Werk, als "Pink Floyd", "Savoy", "Highline", als "GTI Edition", "New Orleans" oder als "Ecomatic". Aber auch das Topmodell VR6 mit aufgebohrtem 2,9-l-Motor blieb ein Durchschnittsfahrzeug für den Durchschnittsbürger mit durchschnittlichem Geltungsbedürfnis. Kein anderes Produkt hat so viel Pseudoindividualisierung hervorgebracht wie das Auto.

Zwei Millionen Möglichkeiten sind nicht genug

Der Wunsch nach Besonderheit ist nicht auf eine bestimmte Gesellschaftsschicht begrenzt, er wächst sogar proportional mit den verfügbaren Mitteln. Als beispielsweise Mercedes die Luxusmarke Maybach wiederbelebte, sollten sich deren Marketing-Spezialisten bald die Augen reiben: Obwohl bereits über zwei Millionen Wahlmöglichkeiten zur Ausstattung vorgesehen waren, kamen viele Interessenten mit weiteren Wünschen.

Die Ware Identität ist eine besonders kostbare. Wie mit einem Baukasten kann sich heute jeder seine eigene Waren-Persönlichkeit zusammenbauen, mit Skiern über Turnschuhe bis hin zum Plusbrief, dem individuell gestalteten Brief der Deutschen Post. Dass die eigene Identität mittlerweile derart freizügig zur Schau gestellt wird, lässt nur einen Schluss zu: Wir sind mitten drin in der von der Moderne immer wieder diagnostizierten Krise des Individuums. Zeige mir deine persönlichste Egozentrik, aber sei nicht enttäuscht, wenn es Tausende genau so nachmachen!

Am Ende läuft es doch nur auf eine der Urängste heraus: die Angst vorm Mittelmaß. Bloß nicht zu gewöhnlich wirken. Die Sache hat nur einen Haken: Je mehr wir uns um Eigenständigkeit bemühen, desto vorhersagbarer werden unsere Handlungen.

Wenigstens vermitteln die neuen Wahlmöglichkeiten ein Gefühl von Kontrolle und Sicherheit in Zeiten von Finanzkrise und Scheidungsrekorden. Ein Placebo in Form von personalisierten Müslis, automobilen Spezialanfertigungen und ganz individuellen Urlaubsreisen, die wir stillschweigend mit all den anderen, Abermillionen von Pseudoindividualisten teilen.

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