Partyszene in der Hauptstadt:Warum Berlin nicht Ibiza ist

Visitors are silhouetted during a dress rehearsal of the Staatsballett Berlin for the the world premier of 'MASSE' at Berghain techno nightclub in Berlin

Das Berghain - auch nicht mehr ganz das, was es mal war.

(Foto: REUTERS)

Als coolste Stadt der Welt lockt Berlin immer mehr Feierwütige und Touristen an. Die Politik der ewigen Pleite ist stolz darauf, dass zumindest dieser Teil der Wirtschaft floriert. Doch vielen Clubbetreibern wird es langsam zu viel. Und prekär in der Clubszene Beschäftigte fragen sich: Wo bleibt das ganze Geld?

Von Ruth Schneeberger, Berlin

Der Berlin-Tourismus boomt: Fast 25 Millionen Übernachtungen wurden 2012 in der deutschen Hauptstadt gezählt, täglich bevölkern im Schnitt bis zu eine halbe Million Besucher die Stadt. Sie suchen Kultur, Historie, Lebensart. Aber sie suchen auch immer mehr: Party.

Das freut den Regierenden Bürgermeister, "Party-Wowi" genannt. 2003 prägte Klaus Wowereit die Parole "arm, aber sexy". Dass sich aus dem hochverschuldeten Haushalt der Stadt noch Kapital schlagen und sogar ein positiv anmutendes Lebensmotto verkaufen ließe, das hätten ihm seine politischen Gegner in diesem Ausmaß damals kaum zugetraut. Inzwischen zeigt sich: Der Schachzug war geschickt, das Motto hat sich etabliert.

Innerhalb des vergangenen Jahrzehnts hat sich der Umsatz der Tourismus-Branche verdoppelt, die Bettenkapazität in der deutschen Hauptstadt hat sich seit 1992 sogar mehr als verdreifacht. Die Gäste kommen vorwiegend aus Großbritannien, Italien, den Niederlanden, Spanien und den USA. Sie alle wollen sie schnuppern, die berühmte Berliner Luft. Und die meisten - vorwiegend jungen - Gäste wollen wissen: Wie cool ist das denn? Feiern fast ohne Geld; Glanz und Gloria nahezu ohne Pecunia; Subkultur für lau - in Berlin liegt das Vergnügen auf der Straße. Ohne Sperrstunde, fast ohne einschränkende Regeln.

In vielen anderen Branchen sieht es längst nicht so rosig aus, die Pannenserie um den Großflughafen ist nur der vorläufige Höhepunkt in der Pannen-Hauptstadt. Berlin ist pleite und macht auch keinen Hehl daraus. Da kommen den Verantwortlichen die Partywütigen gerade recht. Berlin, die Stadt der Großmannssucht, hat am Ende doch noch Karriere gemacht. Als Partyhauptstadt eben.

Techno und die Tagundnachtgleiche

Behilflich war die Techno-Szene, die sich in den 90er Jahren nach der Wende hier exzessiv austoben konnte. Brach liegende Gebäude, brach liegende Kreativität, eine Menge junger Menschen, die in der schönen neuen Elektrowelt eine ganz neue Art von Freiheit entdeckten. Tanzen war nicht mehr nur bis zum Morgengrauen, sondern dank einpeitschender Rhythmen und bei vielen auch dank neuartiger chemischer Substanzen mehrere Tage hintereinander möglich. Die Nacht wurde nicht mehr nur zum Tage, die Tage wurden nun auch zur Nacht gemacht.

Eine riesige Clubkultur ist aus dieser Bewegung entstanden - und einige der Clubs haben bis heute überlebt. Der Tresor lebt zwar vor allem von der Wildheit vergangener Zeiten, doch für genügend Touristen und Nostalgiker reicht der Name immer noch aus. Auch das Berghain, vor ein paar Jahren noch zum "besten Club der Welt" gewählt, hat an Verruchtheit und ausschweifendem Charakter eingebüßt. Und das Watergate, vor nicht wenigen Jahren noch eher Underground, beherbergt inzwischen fast dieselben Touristen wie jeder andere beliebige Club.

Das schlägt der Subkultur - und auch den Betreibern so manch etablierter Clubs - inzwischen sauer auf. Weshalb sich bei den "Berlin Music Days" (Bermuda) an diesem Wochenende gleich mehrere Podiumsdiskussionen um das Thema drehten: "Techno-Tourismus - Wir wollen nicht Ibiza werden". Oder auch: "Prekäres Arbeiten in der Techno-Szenewirtschaft". Denn: Feiern wollen sie alle immer noch gerne in Berlin, auch die Berliner selbst. Und in der Szene zu arbeiten gilt ebenfalls noch als begehrenswertes Kennzeichen von Unabhängigkeit, Unangepasstheit und freiheitlichem Denken. Das Problem ist nur: Berlin wird mittlerweile überschwemmt von Party-Touristen. Das große Geld damit verdienen andere.

Wer sind die wahren Profiteure des Billig-Tourismus, der Partymetropole mit Hang zum ewigen Exzess, wohin fließt das Geld all der jungen Menschen, die hier massenweise angekarrt werden?

Prekäre Elektroszene

Massenweise Hostels, Billigflieger, Fahrradverleihe schießen aus dem Boden. Der Einzelhandel verzeichnete allein im ersten Halbjahr 2013 einen Zuwachs um 8,1 Prozent. In vielen Neubauten in Mitte werden - oft illegal - Ferienwohnungen eingerichtet. Die noch in Mitte verbliebenen Anwohner stöhnen - oder werden durch exorbitant steigende Preise gleich ganz aus ihrem angestammten Viertel verdrängt. Gentrifizierung gibt es auch in anderen Großstädten. Aber in Berlin wird dadurch Platz gemacht für Billigtouries - und für die Anbieter, die an ihnen verdienen.

Im Inneren der Musikszene fragen sich hingegen immer mehr Leute: Wo bleibt denn eigentlich das ganze Geld? Sie arbeiten die Nächte durch, sie stecken ihre gesamte Kreativität in die Musik, in die Party, in das Erfinden von Vertriebswegen, die möglichst wenig Geld kosten (irgendein Bekannter ist immer gerade arbeitsloser Grafiker, der kostenlos einen Freundschaftsdienst erweist, oder die Gestaltung eines Flyers gegen ein Bier übernimmt). Und tagsüber müssen viele dann "richtig" arbeiten, um sich das Überleben in der immer teurer werdenden Hauptstadt sichern zu können.

Billigtouristen im Dauerrausch verdrängen Kreative

Ralf Kollmann, Mitbetreiber des Technolabels Mobilee Records, fragt sich auf der Bermuda-Podiumsdiskussion um Gema-Gebühren, warum er so geringe Einnahmen habe. Die Musik seines Labels werde weltweit in den Clubs gespielt, doch einen Porsche, wie so mancher Berliner Clubbetreiber, werde er sich wohl niemals leisten können. Auch Alexandra Dröhner erklärt in der Diskussion um "Prekäres Arbeiten", dass sie als DJane in den 90er Jahren im Tresor an einem Abend noch rund 300 Mark verdient habe. Inzwischen seien es oft nur noch 50 Euro bei irgendeinem Kellerclubfestival.

Steffen Hack ist wütend, weil er als Betreiber des Watergate im Sommer allabendlich bis zu 400 Leute an der Tür abweisen muss. Und dass er sich nach den boomenden Sommermonaten im September immer wieder fragen muss, ob seine Szenegäste jetzt trotzdem wiederkommen. Allein Sylvia Lundschien, die eine Masterarbeit unter anderem über die Elektroszene geschrieben hat, sieht das Thema etwas zuversichtlicher: Flexiblere Arbeitsbedingungen seien auf dem Vormarsch - mit all ihren Vor- und Nachteilen. Gerade aus der lebendigen Clubszene könnten wichtige Impulse für diese Arbeitsmodelle kommen, die bald an der Tagesordnung sein würden.

Nur: Welche Clubszene? Ist Berlin nicht längst überschwemmt von Billigtouris im Dauerrausch, die, ähnlich wie auf Ibiza oder Mallorca, zum Saufen kommen und sämtliche Subkultur verdrängen?

Nicht ganz. Die Subkultur ist nach wie vor lebendig, sie sucht sich nur andere Orte. Wenn Watergate und Berghain überschwemmt werden, gehen die Szenegänger halt zum Kater Holzig, ins Ritter Butzke, in die Wilde Renate oder ins Sisyphos. Und auch diese aktuell wilderen, weil vom kühlen Stil der Jahrtausendwende abrückenden Clubs, die sich eher als Spielwiese oder Abenteuerclub für Erwachsene geben, werden nicht für immer bleiben. Noch erfindet sich Berlin immer wieder neu, gerade im Nachtleben.

Das Geschäft mit den anderen

Doch wohin die Reise in naher Zukunft geht, möchte die Politik ein deutliches Stück mitbestimmen. Man müsse die "touristische Vermarktung Berlins zentralisieren", sagte Stadtentwickler Ares Kalandides gerade erst, auch Klaus Wowereit ließ verkünden, der Berlin-Tourismus entwickele sich "prächtig". An Zuwächsen liege Berlin "europaweit an der Spitze, weit vor allen anderen Großstädten", sagt Visit-Berlin-Chef Burkhard Kieker. In Paris und London gibt es zwar aktuell noch mehr Übernachtungen - doch nirgendwo ist das Wachstum so rasant wie in Berlin.

Weshalb die Szene sauer ist, dass zwar mit ihr für die Stadt und um Touristen geworben wird, sie aber von der Politik im Gegenzug kaum unterstützt werde. Das liege unter anderem daran, dass die Politik die Szene nicht verstehe, so Johnnie Stieler, ehemaliger Mitbegründer des Tresor, der zuletzt seinen neuen Club Horst Kreuzberg schließen musste. Es gebe inzwischen viel zu viele Clubs. Allerdings werde damit immer weniger kreatives Publikum angesprochen, das sich mit der Musik identifiziere, als Partyvolk, das einfach nur möglichst stramm feiern wolle.

Der taz sagte Stieler zuletzt: "Berlin ist immer noch der Nabel der elektronischen Tanzkultur, aber es ist nicht mehr so schillernd. Die Stadt hat es nicht verstanden, den Kreativen hier einen Platz zu geben. Für die interessiert sich niemand. Was die im Senat wollen, ist Feierei, massenhaft Easyjet-Fatzkes, die in Schönefeld aus dem Flugzeug fallen, in dieses am Sonntag wieder reinkullern und dazwischen 300 bis 400 Euro ausgegeben haben." Um die Kreativen, die der Stadt und der Szene ihr berühmtes Gesicht gegeben hätten, bemühe sich hingegen niemand, stattdessen werde ihre Arbeit oft erschwert. Weshalb viele von ihnen der Stadt mittlerweile den Rücken kehrten - und abwanderten.

Währenddessen boomt das Geschäft mit den anderen: "In jeder einzelnen Minute kommen statistisch gesehen 20 Gäste in unsere Stadt", verkündete Wowereit stolz bei der Vorstellung der Halbjahresbilanz des Berlin-Tourismus für 2013. Und Visit-Berlin-Chef Kieker sprach von einer "Comeback-Story" Berlins innerhalb der vergangenen 20 Jahre. Visit Berlin wurde 1993 als Berlin Tourismus Marketing GmbH mit fünf Mitarbeitern gegründet. Heute hat die Gesellschaft 180 Mitarbeiter, die in Berlin und in 39 Ländern für die Metropole werben. Ihr Jahresetat beträgt 16 Millionen Euro. Sieben davon stammen aus dem Landeshaushalt.

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