Partyszene in der Hauptstadt:Berliner Luxusprobleme

Google Opens New Berlin Office

Das "Cookies" in Berlin schließt nach 20 Jahren seine Pforten. Ein Club soll es nicht mehr sein, sagt sein Erfinder, bevor er im Herbst neu eröffnen will. Der Trend in Berlin geht zur gehobenen Gastronomie.

(Foto: Getty Images)

Berlin ist cool, abgefuckt und wild? Das war einmal. Während ehemals berühmte Läden wie "Weekend" oder "Cookies" sich mit Luxus-Ausgaben ihrer selbst neu erfinden, versuchen Zugezogene, das alte Berlin-Image wiederzubeleben.

Von Ruth Schneeberger, Berlin

Montagnacht um vier Uhr morgens, hoch über dem Alexanderplatz. Während die frühesten Vögel schon wieder ausfliegen, zum Dienst, in ein anderes Land oder einfach aus dem Bett, sind die Nachteulen dieser Stadt noch lange nicht müde. Sie tanzen bestgelaunt zu elektronischen Beats oder sitzen in Decken gehüllt auf der Terasse des 15. Stockwerks des ehemaligen "Haus des Reisens" und genießen den Ausblick über die langsam erwachende Metropole. Montagnacht in Berlin muss niemand schlafen, der nicht will, denn es gibt ja das House of Weekend - dessen Partybetrieb sich entgegen seines Namens eben nicht nur auf das Wochenende beschränkt.

Die einen tanzen, die anderen machen Platte - am selben Platz

Vorausgesetzt, man ist einigermaßen jung, einigermaßen ansehnlich und sowohl partywillig als auch -fähig. Dann sind die Türen geöffnet für eine Welt über den Dächern der Stadt, die sich 15 Stockwerke weiter unten, am "Alex", wie der Berliner sagt, weit weniger mondän zeigt: "Platte" machen hier die jungen Obdachlosen der Stadt.

Doch in der Partyszene geht der Trend in Richtung Luxus. Mittlerweile auch im Weekend, einst Hort für Techno-Jünger aus der ganzen Welt. Der Club am Alex hatte zuletzt dichtgemacht. Und nun wieder neueröffnet, als House of Weekend - nur ein bisschen glamouröser als zuvor. Auch das Cookies, das vor 20 Jahren als Kellerclub in der Auguststraße öffnete und inzwischen piekfein auf der Friedrichstraße residiert, schließt in ein paar Wochen seine Pforten für die Partygänger. Um im Herbst auch wieder neu zu eröffnen - dann aber nicht mehr als Club. Tanzen und ausflippen sind passé; wie es aussieht, wird hier dann eher gehoben getrunken oder gespeist.

Was ist da los? Wird das hippe, coole, wilde Berlin jetzt wie München? Berlin, wo einst ein Tresen und ein DJ-Pult genügten, um die Massen aus der Haut fahren zu lassen, die Umgebung gar nicht abgefuckt genug sein konnte, um das Leben zu feiern, als gäbe es kein Übermorgen? Wo nicht nur die Nächte zum Tag, sondern auch mehrere Tage hintereinander zur Nacht gemacht werden, ausgerechnet in Berlin siegt jetzt die Ökonomie über die Anarchie der wilden Tage?

Ökonomie versus Party

Eine Rückschau: Das Weekend etwa war nie ganz so hip wie das berühmte Berghain, das 2009 zum besten Club der Welt gekürt wurde, wo es keine Spiegel gibt, dessen Betreiber keine Interviews geben und dessen Partys damals noch als unverfälscht und besonders unangepasst galten. Aber das Weekend konnte sich durchaus messen mit den anderen beliebten Elektroclubs im Zentrum der Party-Hauptstadt, dem Watergate zum Beispiel, oder dem Tresor. Hier legten die ganz großen und auch die internationalen DJs auf, hier residierten "Tiefschwarz" und "Phonique", hier hatte man von der Tanzfläche im 12. Stock und von der später eingerichteten Dachterrasse im 15. Stock einen superben Blick über das nächtlich hell erleuchtete Berlin. Das passte zum Minimal-Interieur, das 2006 den Berliner Architekturpreis gewann, und zum Publikum, anfangs Insider, später Touristen, dazwischen: die üblichen Partygänger.

Doch das war einmal. Anfang 2014 war Schluss mit Weekend. Die Touristen und die Umland-Berliner waren fast zehn Jahre nach Eröffnung zwar immer noch da, doch die Stimmung war gekippt: "Das Weekend hat seinen Reiz verloren. Inzwischen tanzt dort Lieschen Müller neben Dieter Durchschnitt, es ist nur noch voll und das Line-Up haut einen eher selten vom Hocker. Vom Insidertipp zur Touristen- und Erstsemesterfalle ist es nur ein schmaler Grat. Das Weekend hat diesen Grat nun überschritten", schrieb ein Kritiker schon 2008, und ein anderer maulte über das Publikum: "Überwiegend Brandenburger, dazwischen ratlose spanische Touristen, die versuchen, die Diskrepanz zwischen dem international vorherrschenden Ruf des Ladens und den tatsächlichen Verhältnissen zu begreifen."

Das war ein Jahr, nachdem Betreiber Markus Trojan seinen Club um eine zweite Tanzfläche auf dem Terassen-Stockwerk erweitert hatte. Viel zum Guten geändert hatte sich in den Jahren danach nicht mehr. Doch Trojan will es nochmal wissen, und so eröffnete er vor ein paar Wochen den Club einfach neu.

Alles wird ein bisschen glamouröser

Auf der Dachterrasse wird nun regelmäßig um 19 Uhr der Großstadtabend eingeläutet - sofern das Wetter mitspielt. An manchen Abenden trotzen nur ein paar Gäste dem starken Wind, doch an anderen ist vom frühen Abend bis zum frühen Morgen der Laden voll, bis zu 1000 Gäste auf einmal wollen dann Hugo und Wodka zu Barbecue und Lachs in Teriyaki-Sauce - und natürlich diese unbezahlbare Aussicht. Im Inneren sind nochmal eine große Bar, adrette Rahmen an der Wand und eine Tanzfläche, die von Gitterstäben gesäumt wird. Großstadt-Schick, kein Underground - und keine zweite Tanzfläche mehr. Zur Neueröffnung kamen Models wie Eva Padberg und speisten Häppchen vom Sternekoch - das neue House of Weekend ist nicht mehr puristisch, sondern es will ein bisschen besonders sein. Die vorwiegend jungen Menschen haben sich schick gemacht, sie kommen, wie die 21-jährige Annett aus Amsterdam zum Nächtedurchmachen nach Berlin, oder wie der 24-jährige Robert aus Steglitz, weil man hier unkompliziert Spaß haben könne, an jedem Abend der Woche. Annett trägt ein schwarzes Cocktailkleid, Robert die berühmte Nerd-Brille, die längst keine mehr ist, und ein gebügeltes T-Shirt mit einem verblichenen Fotoaufdruck des ehemaligen französischen Präsidenten François Mitterrand. Goldschmuck wie in München findet man hier nicht, doch das Publikum ist: gepflegt.

Über fehlende Gaudi können sich in der Nacht zu Freitag auch die Besucher des Cookies nicht beschweren. Um 2 Uhr ist der Laden voll, die Musik dröhnt, der Alkohol fließt. An der Drayton Bar gibt es ausgefallene Cocktails mit lustigen Namen, zwei große goldene Vögel blicken unter Lampenschirmen auf das Partyvolk. Ab 1 Uhr wird getanzt, das Publikum ist eine nicht unangenehme Mischung aus internationalen Touristen, Studenten, die es lieber aufgeräumt mögen, sehr jungen Damen in sehr knappen Outfits, sehr vielen Männern in Jeans und den Berlin-typischen Hipstern. Unaufgeregt, aber angeregt. Und trotzdem schließt das Cookies jetzt.

Jetzt ist der richtige Moment für Neues

"Cookie", so nennt sich der Betreiber und Erfinder des Cookies, Heinz Gindullis, erklärt das genauer bei einem "Dinner on the Dancefloor", zu dem er Journalisten und Blogger eingeladen hat. Einige von ihnen sind Smartphone-Verweigerer, waren aber früher oft im Cookies, als es noch underground war. Das war vor 20 Jahren. Andere kämpfen seit ebendiesen 20 Jahren an vorderster Partyfront, kennen jeden Trend und wissen zu berichten, wo inzwischen der Berliner Bär tanzt. Eher in der Peripherie, im Cosmonaut, im Sisyphos, im Sommer am Wasser, im Winter zum Beispiel in den unzähligen Bars in Neukölln. Nicht mehr so in den berühmten größeren Läden. Ist deren Zeit vorbei?

Für "Cookie" und sein Cookies schon. Allerdings hat er eingeladen, um einen Neuanfang zu verkünden. Aber: "Es wird kein Club mehr sein." Trotzdem will er jetzt umbauen und im Herbst neu eröffnen. Also so ähnlich wie das Weekend? "Nein, wir machen richtig zu", sagt Gindullis grinsend. Aber auch nur, um im Herbst an selber Stelle ein neues Angebot zu präsentieren. "Alles wird umgebaut, aber was es wird, werde ich jetzt noch nicht verraten." Also eine Bar? "Vielleicht." Womöglich ein neues Restaurant, munkeln die gut unterrichteten Gäste, direkt neben dem Cookies Cream, das vegetarische Speisen für Besserverdienende bietet, und in unmittelbarer Nachbarschaft zum Chipps, das vegetarisch, vegan und auch Fleisch für Hipster kocht. Braucht es da wirklich noch ein drittes Restaurant?

Um Cookie und seine Geschäftstüchtigkeit muss man sich wohl keine Sorgen machen: Wer es in 20 Jahren von der Kellerbar zu Feingastronomen geschafft hat, der mitten auf der Friedrichstraße regelmäßig Parties für die Fashion Week ausrichtet und trotzdem sein Stammpublikum dienstags und donnerstags noch irgendwie zu halten weiß, der springt eben einfach zum richtigen Zeitpunkt weiter zum nächsten Projekt. Und dieser Zeitpunkt ist jetzt.

Die wildesten Zeiten sind vorbei

Denn Berlin hat sich verändert. Diese Stadt verändert sich ständig, schneller als jede andere in Europa. Die Partyszene, wie sie nach der Wende zu einer der größten und lebendigsten weltweit avancierte, gibt es nicht mehr.

Zwar kommen mehr Partytouristen denn je in die Stadt, aus ganz Europa fliegen Billigairlines Feierwütige nach Berlin. Doch darüber freut sich vor allem die Politik. Die Gäste lassen viel Geld da, für Übernachtungen, Souvenirs, öffentlichen Nahverkehr. Für viele Clubbetreiber, die ihr Stammpublikum erhalten wollen, nicht auf komasaufende Jugend stehen und sich immer noch als underground begreifen wollen, ist das Gift. Beim "Dinner at the Dancefloor" sind sich die Partyberichterstatter jedenfalls einig: Die wildesten Zeiten sind vorbei. Nach 25 Jahren hat sich die Wucht, die mit der Maueröffnung und der plötzlichen Freiheit einherging, sich in bahnbrechende Feierlaune entlud und Berlin zu einem Hort der experimentellen Musik machte, wohl erschöpft.

Natürlich gibt es hier immer noch an jeder Ecke was zu feiern. Die Clubs werden nicht weniger, eher zu viel, zu beliebig. Weshalb die Großen, siehe Weekend, siehe Cookies, siehe Kater Holzig, sich neu orientieren müssen.

Jetzt kommen die Neuen - und bringen das alte Lebensgefühl mit

Doch es gibt schon wieder einen neuen Trend. Das Stadtmagazin Zitty titelte gerade damit, dass nun ausgerechnet die jungen Europäer, die Easyjet einst in die Stadt gebracht hat, und die in ihren Heimatländern gerade sowieso kaum Arbeit finden, Berlin seine Wildheit zurück geben wollen. Mit Technoparties, wie es sie früher gab. Abseits der großen und berühmten Clubs, wieder in kleinen Kellern, wie ganz am Anfang.

Die "Cheap-Acid-Reihe" etwa sei ein Beleg dafür, denn deren Macher, der eine aus Spanien, der andere aus Italien, veranstalten jetzt Parties in Berlin, anstatt in ihrer Heimat arbeitslos zu sein. Oder auch die Reihe "Trojan Measures", die es zuvor in London gab. Partyreihen, gegründet von jungen Veranstaltern, die wieder die Party zur Musik in den Vordergrund rücken wollen, nicht die leckeren Häppchen drumherum, die ausgefallenen Drinks oder die ganz besonders bunte Location, wie etwa im Ritter Butzke oder in der Wilden Renate.

Und während die Berliner Clubs noch darum buhlen, wer der beste ist oder wer überhaupt noch dazugehören darf, trifft sich in der Nacht zu Samstag in Neukölln eine kleine, eingeschworene Gemeinschaft. Hier steht niemand Schlange, der Eintritt kostet 3 statt 15 Euro, und der Barkeeper guckt komisch, wenn man Cola bestellt, denn eigentlich trinken hier alle nur Bier. Cola gibt es dann trotzdem, für 1,50 Euro aus der großen Flasche eingeschenkt, wie auf einer Studentenparty. Aber die Musik. Im Loop, diesem winzigen Club mit der großen surrealen Maske über der Tür, gibt es eigentlich gar nichts außer dieser Musik. Sie peitscht den Gästen jeden Alters so ordentlich ein, dass kaum einer von ihnen, wenn er einmal angefangen hat zu tanzen, die Tanzfläche freiwillig wieder verlassen will. "Cheap Acid" steht für Elektro, der ins Bein geht, und zwar gehörig. Weil die Musik hier wieder direkt am DJ-Pult entsteht, zusammen mit den Menschen, die dazu tanzen.

Womöglich gelingt jetzt den jungen Europäern wirklich, ein Lebensgefühl wiederzubeleben, das Berlin einst zur Partyhauptstadt gemacht hat: diese Wildheit, gepaart mit Coolness. Denn den Berlinern scheint es abhanden gekommen zu sein - oder sie sind es einfach leid.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: