Süddeutsche Zeitung

Pannen an Ostern:Armee der Schokohasen

Nie ist der Perfektionsdruck so groß wie an hohen Feiertagen. Doch in manchen Familien ist der Osterhase schlicht beratungsresistent.

Von SZ-Autoren

Treibjagd im Wohnblock

Ostern wird unser Innenhof zur Arena. Er ist sehr schön, mit einem Spielplatz und Rasen und Büschen, aber wer von den mehr als 100 Mietparteien im Block nicht in den Ferien ist und Kinder hat, was sehr viele sind, versteckt da fast gleicheitig Eier und Hasen. Wir wohnen im vierten Stock und haben freie Sicht auf die Szenerie, bei der es an Dramen nicht mangelt. Wie erklärt man einem Kind, dass es den großen rosafarbenen Schokohasen in der Hecke lassen soll, um den mickrigeren in Bioqualität zu nehmen, einen Strauch weiter? Man sieht Eltern, die ihre Kinder, Fasanen bei der Treibjagd gleich, ins richtige Revier scheuchen, wenn die falsche Brut zu nah an die eigenen Verstecke gerät. Es sind viele Tränen geflossen, da unten.

Bei uns oben auch, denn immer lässt der Osterhase lange auf sich warten. Wir hoffen jedes Jahr, es alleine in den Hof zu schaffen, aber wir kommen nie dazwischen, von unserem Hochsitz aus im vierten Stock ohne Aufzug. Nachmittags geben wir auf und fahren Plan B: Dann legt der Osterhase eine Eierspur von unserer Wohnungstür zum Wäscheboden direkt über uns. Die Kinder finden nichts dabei, ihr Leben lang suchen sie schon zwischen Dachbalken und Wäscheteilen.

Claudia Fromme

Das verwüstete Zimmer

Im gregorianischen Kalender findet Ostern frühestens am 22. März statt und spätestens am 25. April. Das bedeutet meistens: Scheißwetter draußen! Keine Spur von frühlingshafter Sonne, wie sie Heranwachsenden beispielsweise auf den Zeichnungen des Kinderbuchs "Die Häschenschule" vorgegaukelt wird. Draußen ist es ekelhaft kalt, die wärmende Wirkung des von Ehrenamtlichen im Morgennebel entfachten Osterfeuers vor der Kirche - lächerlich. Die Kinder wollen endlich Eier suchen, doch draußen geht das einfach nicht. Also versteckt der Vater, mal wieder, die Eier im Wohnzimmer. Im Bücherregal, auf der Wanduhr, hinter dem Fernseher, unter dem Sofakissen, auf dem Bilderrahmen. Die Bilanz: Eine zerdepperte Vase, ein abgestürztes Bild, unzählige herausgerissene Bücher und die nächsten 30 Jahre Schokoflecken auf der Couch.

Martin Zips

Ewig grüßt das Duschgel

In vielen Familien dauert Weihnachten bis in den späten Februar hinein, zumindest werden dann erst die Reste des Weihnachtsschmucks in Kisten gepackt, in der Hoffnung auf den Frühling. Dann kann man gleich die Osterausstattung hervorholen, das Leben ist ja ein einziges Fest. Dazu passt am Ostersonntag der Auftritt der Lieblingstante, die ausgewählte Gaben von Heiligabend dabeihat: Sie stammen aus der Kammer neben ihrer Küche, wo sie Geschenke von Familienmitgliedern und Freunden hortet. Lauter Dinge, die sie selbst nicht braucht, aber von denen sie annimmt, dass andere sie brauchen könnten.

Wie wunderbar, wenn sich an Ostern der Kreis schließt: Weinflaschen, Duschgels, Ziertassen und Süßigkeiten kehren im Zuge eines Ringtausches wieder zu dem zurück, der sie verschenkt hat, was auf die Verschmelzung von Geben und Nehmen hinausläuft, auf eine Fusion von Weihnachtsmann und Osterhase. Man muss die Tante dafür lieben, denn diese Art der Wiederaufbereitung liegt im Trend. Und Ostern ist ja bekanntlich das Fest der Auferstehung.

Christian Mayer

Ein Hase kommt nie allein

Der erste Hase ist schnell gefunden: Er liegt dort, wo er hingehört, zwischen Maoams und Brausestäbchen in der Süßigkeitenschublade - seit einem Jahr. Den zweiten entdecke ich ganz hinten im Schrank in einer Tasse. Vielleicht hatte ich ihn da mal vor den Kindern versteckt. Der dritte jedoch ist unauffindbar. Ursprünglich waren es mal fünf. Die goldenen Hasen sind in unserer Familie fester Bestandteil des Osterfests. Sie sind Ausdruck von Tradition, von mütterlicher, geschwisterlicher und schwägerlicher Zuneigung, und ja, vielleicht auch von gewisser Einfallslosigkeit. Mit nur einem Hasen geht niemand nach Hause.

Gegessen hab ich, obwohl schokosüchtig, auch in diesem Jahr keinen einzigen der fünf Hasen. Zwei große Edelbitter-Exemplare sind bei dem Versuch, sie in ein Schoko-Fondue zu verwandeln, zu einem braunen Batzen verschmolzen. Der Rest bekommt von Monat zu Monat außen wie innen ein bisschen trüberes Fell. Anfangs hält mich eine gewisse Ohrenbeißscheue davon ab, sie zu essen, später sind sie zu schade zum Wegschmeißen. Den dritten Hasen fand ich übrigens vier Tage später: Er saß oben auf dem Holzregal hinterm Schnaps. Dort sitzt er noch und wartet darauf, dass sich die Hasenfamilie an Ostern vergrößert.

Ann-Kathrin Eckardt

Vom Eise befreit, aber faul

Gedichte, die als Handlungsanweisung verstanden werden können, gibt es nicht viele, Goethes "Osterspaziergang" aber ist wie ein Befehl zum Ausrücken aus dem Wohnzimmer: "Vom Eise befreit sind Strom und Bäche / Durch des Frühlings holden, belebenden Blick; / Im Tale grünet Hoffnungsglück / Der alte Winter, in seiner Schwäche, / Zog sich in rauhe Berge zurück." Wer da nicht hinaus in die erblühende Natur will, der muss ein Herz aus Stein haben. Aber der berühmteste Spaziergang des Jahres bleibt in den meisten Fällen ein unvollendetes Werk, das über die guten Absichten nicht hinausgeht. Entweder ist es gerade besonders gemütlich auf dem Sofa, oder das Osterwetter ist wieder so mies, dass man keinen Fuß nach draußen setzen möchte. Und dann denkt man: Ach, in einem Jahr ist wieder Ostern! Ich freue mich schon so auf einen fabelhaften Osterspaziergang. Denn: "Zufrieden jauchzet groß und klein: Hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein!

Harald Hordych

Alles Bio?

Es gibt wenige Ernährungsregeln, auf die sich moderne Groß- und Kleinstadtfamilien so klar geeinigt haben wie die, dass Eier bio sein sollen, dass sie also keiner armen Legehenne aus einem osteuropäischen Käfig unter dem Hintern fortgerissen werden dürfen. Für das Osterfest werden also schachtelweise Eier aus dem Bio-Supermarkt nach Hause getragen und mit Bio-Farbe im Topf blau, rot, pink, gelb und grün gefärbt. Schwierig wird das mit dem ökologisch wertvollen Osterfest nun wegen der Freundlichkeit der Menschen beziehungsweise wegen der offenbar überall erwarteten Geste, dass man vor Ostern in Arztpraxen und Läden gekochte Einer geschenkt bekommt. Eier, von denen man sich nicht zu fragen traut, wie glücklich das legende Huhn war und ob das Ei nicht möglicherweise noch aus dem Vorjahr stammt. Sicherheitshalber werden die geschenkten Eier dann zur Dekoration verwendet, bis sie muffeln.

Katharina Riehl

Julian, der Eierdieb

Nicht gerade ökologisch wertvoll. Er hieß Julian, hatte pechschwarze Haare und immer Hunger. Dem Familien-Cockerspaniel mit treuherzigem Blick war normalerweise sofort anzusehen, wenn er unerlaubt Lebensmittel abtransportierte. Gesenkter Kopf, verstohlene Blicke - meistens konnten wir ihm den guten Südtiroler Speck oder die Butter gerade noch rechtzeitig abluchsen. An Ostern gelang das nicht immer, wenn im Garten alles Zuckerzeug versteckt war, kam Julians Stunde. Sollten die Kinder ruhig ziellos zwischen Narzissen oder letzten Schneehaufen herumkriechen. Er wusste, wo die guten Sachen lagen.

Später im Wohnzimmer wurden die Verluste beklagt, mal ein Fondant-Küken, mal die Hefehasen vom Bäcker. Traumatisch war der Diebstahl eines makellos gefärbten lila Ostereis, auf dem ein herrliches Abziehbild mit Lämmchen prangte. Bittere Tränen, tagelang! Irgendwann tauchte das verscharrte Raubgut bei der Gartenarbeit auf. Als zerfallenes, stinkendes Etwas, der Anblick linderte den Schmerz. Aber nie wieder war ein Osterei so schön.

Anne Goebel

Erstickt in Geschenken

Der bisherige Rekord waren 14 Schokohasen, zwei Dutzend hart gekochte Eier, mehrere Spielsachen - und ein Fahrrad. Da wurde es zu viel. Ostern ist doch ein Fest der kleinen Geschenke! Finanziell klein, aber auch tatsächlich klein - klein genug, um zwischen Schokolade und Eiern im Nest zu liegen. An einem Fahrrad verhebt sich der stärkste Osterhase. Die Hasen der angeheirateten Verwandtschaft sind da allerdings beratungsresistent, weswegen die Familien-Rundmails jedes Jahr deutlicher werden: Nicht mehr als zehn Euro ausgeben, am besten von dieser Liste - und nein, Tante Christa soll nicht noch extra etwas besorgen. Ob es dieses Jahr klappt? Immerhin gibt es für die Armee der Schokohasen inzwischen eine Lösung. Die werden einfach in den nächsten Kuchenteig gebröselt.

Barbara Vorsamer

Ostern braucht Eiermatsch

In meiner Familie existiert, seit ich denken kann, ein wüster Osterbrauch, der sich "Eierkullern" nennt und nur bedingt zur Nachahmung empfohlen ist. Traditioneller Austragungsort ist ein lieblicher Hügel mit steilem Südhang. Dort oben veranstalten wir ein Picknick. Höhepunkt: das Eierkullern. Dafür sucht sich jeder ein Wettkampf-Ei. Die ganze Familie verteilt sich auf gleicher Höhe am Steilhang. Auf Signal werden die Eier hinabgestoßen und springen dann unter ekstatischen Anfeuerungsrufen etwa 50 Meter bergab, bis sie von einem angrenzenden Feld gestoppt werden.

Vordergründig geht es darum, welches Ei am schnellsten unten ist. In Wirklichkeit eskaliert das ganze zuverlässig nach wenigen Metern, wenn sich die ersten Eier in ihre Bestandteile auflösen und Schalen und Eigelb eine Schneise der Verwüstung hinterlassen. Hinterher sieht der Hang aus wie ein abstraktes Land-Art-Projekt. Letztes Jahr aber ereignete sich das Osterwunder - alle Eier blieben unversehrt. Zum ersten Mal in der Geschichte des Eierkullerns wurde ein zweiter Durchlauf angesetzt: Wieder blieben alle heil. Ostern war letztes Jahr recht spät, das Gras war schon hoch, das dämpfte die wilde Fahrt. Lag es daran? Oder an den harten Schalen der Bio-Eier? Wie auch immer, es war unbefriedigend, und wir hatten auf dem Heimweg Lust, die Eier einfach auf den nächsten Kanaldeckel zu donnern. Ostern ohne Eiermatsch? Fühlt sich für uns nicht richtig an.

Max Scharnigg

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Quelle:
SZ vom 31.03.2018
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