Pakt für das Zusammenleben:Willst Du mich pazen?

Pakt für das Zusammenleben: Wer Verantwortung übernimmt, soll auch davon profitieren - finden die Grünen.

Wer Verantwortung übernimmt, soll auch davon profitieren - finden die Grünen.

(Foto: Eberhard Grossgasteiger/Unsplash)

Die Ehe für alle kommt. Nur was ist mit denen, die sich umeinander kümmern, aber nicht heiraten wollen - oder können? Der Pakt für das Zusammenleben soll Paare, Alleinerziehende und Senioren rechtlich absichern.

Von Violetta Simon

Ein ganz normales Wohnhaus: Im zweiten Stock lebt ein Paar, gerade kamen die gemeinsamen Zwillinge auf die Welt. Eins der Zimmer bewohnt die halbwüchsige Tochter aus ihrer ersten Ehe, seine beiden Jungs kommen alle drei bis vier Tage und jedes zweite Wochenende dazu. Im Erdgeschoss zwei junge Frauen, sie werden noch dieses Jahr heiraten. Gegenüber wohnen drei Senioren in einer WG, gute Freunde seit Kindheitstagen.

Keine Frage, die Ehe zwischen Mann und Frau hat als Norm ausgedient. Nie gab es so viele Patchwork- und Regenbogenfamilien, nie so viele Single-Haushalte. Studium und Berufswahl führen die Menschen aus ihrem Geburtsort, weg von Familie und Verwandtschaft. Immer häufiger ersetzen Freunde und Bekannte die Familie oder den Partner. Höchste Zeit also, auf die gesellschaftlichen Veränderungen zu reagieren.

Eine Idee, wie man den Begriff Lebensgemeinschaft neu definieren könnte, haben kürzlich die Grünen auf ihrem Parteitag in Berlin vorgestellt. Der Vorschlag ging allerdings wegen der Ehe für alle ein wenig unter: Die familienpolitische Sprecherin, Franziska Brantner, forderte einen "Pakt für das Zusammenleben" (PaZ), vergleichbar mit dem "Pacte Civil de Solidarité" (Pacs), der bereits 1999 in Frankreich eingeführt wurde.

Der Pakt soll Rechte und Pflichten der Vertragspartner regeln, dabei jedoch leichter zu schließen und aufzulösen sein als die Ehe. Eingehen können ihn nicht nur Paare - sondern alle Personen, die gegenseitig füreinander Verantwortung übernehmen wollen, heißt es in dem Antrag.

Die Idee, alternative Formen des Zusammenlebens rechtlich abzusichern, beschäftigt die Politik schon länger: 2009 stellten die Grünen das Modell "Familienvertrag" vor, der auch Menschen ohne verwandtschaftliche Bindung einschließt. 2011 forderten die Hamburger Grünen einen Zivilpakt nach französischem Vorbild auch für Deutschland. 2016 brachte FDP-Chef Christian Lindner die "Verantwortungsgemeinschaft" ins Spiel, eine Lebenspartnerschaft von zwei befreundeten Menschen im Alter.

"Es gibt Beziehungen, die weder auf Liebe noch auf Sex aufbauen, in der sich die Beteiligten aber dennoch umeinander kümmern", sagt Grünen-Politikerin Brantner. Gute Freunde zum Beispiel, die sich im Alter zusammentun und eine Wohngemeinschaft gründen. Alleinerziehende Mütter, die in einem Haus wohnen und täglich Zeit miteinander verbringen. Oder Bewohner eines generationenübergreifenden Wohnmodells, die sich gegenseitig unterstützen.

Der Pakt soll diese Beziehungen rechtlich absichern, gemäß dem Motto: gleiche Rechte für gleiche Verantwortung. "Es ist im Interesse der Gesellschaft, dass Menschen Verantwortung übernehmen", sagt Brantner. Daher sei es auch Aufgabe des Staates, diese Verantwortungsübernahme rechtlich zu vereinfachen.

Sollte der PaZ Eingang ins Gesetz finden, genügen für seine Besiegelung künftig die Vorlage des Personalausweises und der Geburtsurkunde sowie eine Unterschrift. Ähnlich wie Eheleute erhalten die Beteiligten damit Anspruch auf gegenseitiges Informations-, Auskunfts- und Vertretungsrecht. Versorgungsausgleich - Unterhaltszahlung und Erbschaft wären zwar ausgenommen. Denkbar wäre für die Grünen allerdings ein Versorgungsausgleich auf freiwilliger Basis, also eine Art Rentensplitting, sagt Brantner. "Man könnte sagen: Für den Zeitraum, in dem wir zusammen sind, teile ich meine Rentenanwartschaftspunkte mit dir".

Der PaZ im Alltag

Im konkreten Fall könnte das etwa so aussehen: Eine alleinerziehende Mutter und eine ältere Dame, die in einem generationenübergreifenden Wohnmodell leben, unterstützen sich gegenseitig. Die "Leih-Oma" hütet regelmäßig das Kind, liest ihm vor und wärmt das Essen auf, die Mutter geht für die Seniorin einkaufen und begleitet sie zu Behörden oder zum Arzt.

Natürlich ließen sich solche Abmachungen mündlich regeln. Doch ohne den Pakt würden die damit verbundenen Rechte entfallen. Diese notariell und mit Vollmachten zu vereinbaren, ist derzeit oft kompliziert und langwierig. "Beim PaZ geht es darum, die Rechtsgrundlage - ähnlich wie durch die Heiratsurkunde - zu vereinfachen", sagt Brantner. "Und zwar auf eine Weise, die wasserdicht ist."

Das ist nicht nur dann sinnvoll, wenn jemand beispielsweise keine Angehörigen mehr hat. Auch wenn Kinder oder Verwandte in einer anderen Stadt leben, kann so ein Pakt eine Entlastung für beide Seiten darstellen.

"Stellen Sie sich vor, die alte Dame erkrankt und wird in die Klinik eingeliefert", beschreibt Brantner den Ernstfall. "Dann kann sich die junge Mutter auf das Auskunftsrecht berufen und erhält Informationen vom behandelnden Arzt." Umgekehrt könnte die "Leih-Oma" dank des Vertretungsrechts die Tochter von der Kita abholen und die Mutter notfalls beim Elternabend vertreten.

In dem Zusammenhang spricht sich Brantner dafür aus, das Elterngeld nicht nur für Elternpaare zu öffnen, die in einer festen Partnerschaft leben. Sondern auch für Personen, die im Rahmen eines familiären Netzwerks Verantwortung für ein Kind übernehmen.

Ein Beziehungsmodell, das vom PaZ besonders profitieren könnte, wäre die Co-Elternschaft. Der Begriff steht für zwei Menschen, die gemeinsam ein Kind großziehen wollen, ohne miteinander in einer Partnerschaft zu leben.

So wie Jennifer Sutholt: Nachdem ihr Kinderwunsch über Jahre hinweg am geeigneten Partner scheiterte, beschloss die Singlefrau mit 35 Jahren, trotzdem ein Kind zu bekommen - von einem Co-Vater. Über ihre Erfahrungen berichtet die Flugbegleiterin auf ihrem Blog Planningmathilda.

Derzeit erhält die Berlinerin zwar das komplette Kindergeld und auch Unterhalt für das Kind - so kompensiert sie den Lohnausfall und die damit verbundenen Folgekosten. "Garantiert ist das aber nicht", gibt die 36-Jährige zu Bedenken. "Sollte es zum Streit kommen, so haben wir nur eine mündliche Vereinbarung, die im Zweifel von einer Partei geleugnet werden kann." Hier würde der PaZ sicher Sinn machen, findet Sutholt. Auch die Aufteilung von Pflichten, Zuständigkeiten und andere Details ließen sich in einer Zusatzvereinbarung zwischen Vater und Mutter vertraglich regeln.

Für Sutholt käme ein Paz-Modell genau zur rechten Zeit: "Familie wird immer bunter und vielfältiger, die Idee der Kernfamilie - Mutter, Vater, Kind - ist in so vielen Haushalten keine Realität mehr", sagt die Berlinerin. "Daher finde ich die Idee, den Begriff Familie weiter zu fassen, sehr gut und schon fast überfällig."

In anderen europäischen Staaten existieren bereits vergleichbare Modelle. In den Niederlanden gilt seit 1998 die "Geregistreerd Partnerschap", in Luxemburg und Frankreich hat sich der "Pacte Civile" erfolgreich etabliert - während die Zahl der Eheschließungen zurückgeht. Genau wie die Grünen es für den "Pakt für das Zusammenleben" vorsehen, bestimmt der französische "Pacte Civile" nicht, in welcher Verbindung die beiden Personen zueinander stehen müssen. Er wird daher auch für Verantwortungsgemeinschaften genutzt.

Die Ehe abschaffen will die familienpolitische Sprecherin, die nicht verheiratet war und heute alleinerziehend lebt, auf keinen Fall. Vielmehr soll der Pakt eine Ergänzung sein. Im Gegensatz zur Ehe, die ja - zumindest in der Theorie - als Bund fürs Leben angelegt ist, eignet sich der Pakt auch für eine begrenzte Lebensphase. Entsprechend leicht kann man ihn wieder auflösen. Die Aufhebung erfolgt auf einem Amt, statt einer Scheidungs- erhalten die Partner eine Trennungsurkunde.

Ob und wann der Pakt für das Zusammenleben in Deutschland umgesetzt wird, ist unklar. Fest steht, dass ein Modell für alternative Lebensgemeinschaften den Nerv einer modernen Gesellschaft trifft. "In Frankreich wird der Pacs inzwischen seltener aufgelöst als die Ehe", sagt Brantner.

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