Paartherapie:Die Beziehungsarbeiter

Immer mehr Paare suchen sich professionelle Hilfe, um ihre Beziehung zu retten. Der Ruch des Versagens ist einer neuen Sichtweise gewichen: Die tun was!

Violetta Simon

Seit neun Jahren waren Hannah und Leo (Namen von der Redaktion geändert) ein Paar, und plötzlich lagen sie sich wegen eines angebrannten Toasts in den Haaren. Es wäre ungerecht, zu behaupten, dass ihre Liebe an einem Toast zu scheitern drohte. Dennoch würde sie allmählich an solchen Nichtigkeiten zugrunde gehen. Weil die wahre Ursache zu tief vergraben lag. Weil ihnen die Distanz und der Respekt füreinander abhandengekommen waren. Weil sie sich schon angifteten, bevor sie den Blick frei hatten fürs Wesentliche.

Paartherapie; Beziehung; Partnerschaft; Liebe; Männer und Frauen; Paar Probleme;

Auf der Couch des Paartherapeuten geht es nicht darum, wer die Misere besser erklären kann. Nur gemeinsam nach einer Lösung suchen, hilft weiter.

(Foto: Foto: Matthias Ropel/photocase)

Ohne den anderen zu leben, konnten sich beide nicht vorstellen. Auf diese Weise weiterzumachen, ebensowenig. Da schlug Hannah vor, sich helfen zu lassen. Damit sie wenigstens sicher sein konnten, alles versucht zu haben.

Von wegen Versager

Immer mehr Paare machen es wie Hannah und Leo. Sie suchen sich Unterstützung dabei, ihre Partnerschaft zu retten. Während man früher nur hinter vorgehaltener Hand zugab, eine "Eheberatung" aufzusuchen, arbeiten heute immer mehr Männer und Frauen mit therapeutischer Hilfe an ihrer Beziehung. Der Ruch des Versagens ist einer neuen Sichtweise gewichen: Die tun was!

Doch was genau tut ein Paar mit seinem Therapeuten? "Es gibt die unterschiedlichsten Formen der Paartherapie", erklärt David Wilchfort, der seit mehr als 30 Jahren "Beziehungsarbeit" leistet. "Man kann beispielsweise beleuchten, inwiefern frühere Erlebnisse bestimmte Verhaltensmuster hervorbringen. Oder man hilft dem Paar, sich neu zu erleben, etwa, indem es miteinander etwas Kreatives gestaltet." Oft eignen sich auch Elemente aus der Verhaltenstherapie. Dann bekommen die Partner "Hausaufgaben" gestellt, um eingefahrene Mechanismen abzulegen.

Durch solche Ansätze versucht ein Paartherapeut vor allem eines: die Beziehung aus ihrem festgefahrenen Zustand zu befreien. Das kann zu mehr Nähe, aber auch zur einverständlichen Auflösung der Partnerschaft führen. "Hauptsache, die Endlos-Streitspirale wird beendet", sagt Wilchfort.

Die Rechtsfrage

Auch Hannah und Leo waren gefangen in diesem Teufelskreis eingefahrener Verhaltensmuster. Beim ersten Termin versuchten beide, dem Therapeuten die eigene Sicht der Dinge zu vermitteln und dabei möglichst sympathisch rüberzukommen. "Häufig finden es Paare wichtiger, recht zu haben, als darüber nachzudenken, was sie ändern könnten, um wieder glücklich zu sein", erklärt Wilchfort. "Wenn sie dann hier sind, versuchen sie zu beschreiben, was aus welchem Grund falsch läuft. Es ist nutzlos, darüber zu streiten, wer die Misere besser erklären kann. Nur gemeinsam nach Lösungswegen suchen, hilft hier weiter", sagt der 63-Jährige.

Eine Grundvoraussetzung für diese Herangehensweise ist Objektivität. "Es ist unabdingbar, dass der Therapeut beide Parteien versteht", sagt Wilchfort. "Ich muss nicht herausfinden, was meine Meinung dazu ist, sondern, warum jeder glaubt, mit seinem Verhalten auf der richtigen Seite zu stehen."

Logbuch der Liebe

Bis zur nächsten Sitzung bekamen Hannah und Leo eine Hausaufgabe mit auf den Weg. Sie sollten Logbuch führen, jeden Abend drei Minuten. Beide sollten für sich notieren, was sie Positives mit dem anderen erlebt hatten, egal, wie unwichtig es war. Eine andere Aufgabe lautete: Der Passivere von beiden - in dem Fall Hannah - lädt den Offensiveren zu einem Rendezvous ein. Die Bedingung: Es sollte etwas sein, das Leo Spaß machte und das sie noch nie miteinander gemacht hatten. Zweite Bedingung: Es durfte nur über Dinge gesprochen werden, die gerade passierten - die Frau am Nebentisch, das Essen, die Umgebung. Was gestern war oder morgen sein könnte, sämtliche Vorwürfe und Sorgen, sollten wegfallen.

Zuerst fanden sie es komisch, den Abend nach festen Vorgaben zu verbringen. Fühlten sich wie zwei Darsteller, die nach Drehbuch agieren. Die Distanz war spürbar, aber auf spannende Weise. Es tat sich etwas - die üblichen Vorwürfe und wütenden Reaktionen entfielen, da war Platz für etwas Neues. Für das, was der andere einmal für einen war. An dem Abend schliefen Hannah und Leo zum ersten Mal seit Monaten miteinander. Auch, wenn das harmonische Gefühl nur bis zum Frühstück hielt - die Erinnerung daran hielt länger. Und die Erkenntnis, dass da noch etwas war.

Sie beschlossen, die Paartherapie weiterzuführen. Nach einiger Zeit erschien auch das Erfüllen der "Hausaufgaben" normal. Und das Wichtigste: Durch die konkreten Vorgaben hatten beide das Gefühl, etwas Konkretes für ihre Beziehung tun zu können. "Bei diesen Aufgaben geht es darum, eine Testsituation zu erschaffen und herauszufinden, ob es den Partnern noch gelingt, sich für kurze Zeit aus der Krisensituation herauszunehmen", erklärt Wilchfort. Wichtig dabei sei die Wiederholung im Alltag.

Siehst du mich?

Einmal sollten sich Hannah und Leo ein Ritual überlegen, wie sie sich abends begrüßen wollen. Sie sahen sich ratlos an. "Aber wir begrüßen uns doch!", erwiderte Leo. "Ja, aber im nächsten Moment ärgern Sie sich schon wieder übereinander. Selbst, wenn Sie sich auf den anderen gefreut haben", gibt Wilchfort zurück. Der Therapeut erklärt, worum es bei dieser Übung geht: Die Partner müssen beim anderen das Gefühl erzeugen: Ich sehe dich!

Sie beschließen, weiterzumachen

Hannah und Leo erwägten verschiedene Techniken. Schließlich einigten sie sich darauf, im Moment des Wiedersehens alle Tätigkeiten beiseitezulegen, sich für einige Minuten in den Arm zu nehmen. An jedem Abend soll abwechselnd einer von beiden beschreiben, wie es ihm gerade geht - ohne Vorwürfe. Der andere sollte zuhören, ohne sich zu verteidigen oder das Gesagte zu beurteilen. Am dritten Abend sagte Hannah, dass sie sich auf ihn gefreut habe und es genieße, diese Freude diesmal auszukosten. Am Abend darauf wirkte Leo abwesend und sagte, er sei genervt und wäre eigentlich lieber ein Bier trinken gegangen. Und dass er froh ist, dass er das ehrlich sagen dürfe.

Erfolg ist relativ

Der Erfolg einer Paartherapie lässt sich nicht immer daran messen, ob ein Paar die Beziehung weiterführt. "Wenn ein Paar, das über Trennung nachgedacht hat, die Therapie verlässt und zusammenbleibt, um in der gleichen nutzlosen Weise weiter zu streiten, wäre das aus meiner Sicht kein Erfolg", sagt Wilchfort. "Wenn beide jedoch die gegenseitigen Erwartungen verstehen und erkennen, dass sie nicht bereit ist, diese zu erfüllen und sich trennen, war das für mich eine erfolgreiche Behandlung."

Andererseits hat auch die Möglichkeit einer Paartherapie ihre Grenzen. Hin und wieder passiert es, dass es für die Beziehung keine Lösung gibt. "Wenn einer von beiden eine Affäre hat und dort das bekommt, was er eigentlich von seinem Partner will, rate ich von einer Therapie ab", erklärt Wilchfort. Dann fehle oft die Bereitschaft, den notwendigen Einsatz zu bringen. Auch wenn einer der beiden sich bereits entschieden hat, zu gehen, gebe es keine gemeinsame Zielsetzung.

Dass sie ein gemeinsames Ziel haben, wurde Hannah und Leo im Laufe der Therapie immer klarer. Sie hatten erkannt, dass es im Grunde genau darum ging: sich zu verstehen. Ganz im Sinne des Wortes.

Eine Einschätzung, ob die Beziehung von Hannah und Leo funktioniert, kann der Therapeut nur bedingt liefern. "Ich kann den Betroffenen zeigen, unter welchem Einsatz mehr in der Beziehung möglich wäre oder auch nicht", sagt Wilchfort. "Entscheiden müssen sie selbst. Es ist ihr Leben, sie müssen die Beziehungarbeit leisten - und die Wachstumsschmerzen aushalten."

Manchmal braucht die Liebe Unterstützung, das gilt auch - oder gerade - für "alte Hasen". David Wilchfort, Paartherapeut in München, und Redakteurin Violetta Simon, Autorin der "Luft & Liebe"-Kolumne, suchen künftig unter dem Motto "Die Paar Probleme" gemeinsam nach Antworten auf Beziehungsfragen unserer Leser - für beide Partner.

Haben Sie und Ihr Partner ein Problem, das Sie uns - jeder aus seiner Perspektive - mitteilen möchten? Dann senden Sie eine E-Mail an leben@sueddeutsche.de, Betreff: "Paarprobleme". Sämtliche Angaben werden anonym und vertraulich behandelt.

Damit wir auf Ihren Konflikt möglichst genau eingehen können, sollten Sie folgende Punkte beachten: 1. Einigen Sie sich auf einen vor kurzem stattgefunden Streit. 2. Schildern Sie - unabhängig voneinander - in wenigen Sätzen, wie sich Ihr Partner verhalten hat und was Sie daran gestört hat. 3. Lassen Sie uns wissen, welches Verhalten Sie sich in dieser Situation vom Partner gewünscht hätten.

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