Paartherapeut über die ewige Liebe:"Paare sollten akzeptieren, was ihnen widerfährt"

Was "resignative Reife", ein Bildhauer und ein "flotter Dreier" mit dem Therapeuten in einer Beziehung verloren haben: Ein Gespräch mit dem Paartherapeuten Arnold Retzer über Illusion und Wirklichkeit in modernen Beziehungen.

Martin Wittmann

SZ: Herr Retzer, wie steht es um die ewige Liebe?

Herz

"Die Ansprüche, was eine Beziehung, Partnerschaft oder Ehe zu leisten hat, haben sich massiv verändert": Paartherapeut Arnold Retzer über seine Arbeit.

(Foto: qujramdu1 / photocase.com)

Arnold Retzer: Die Vorstellung, auf ewig zusammenzubleiben, hat sich nicht groß verändert in den vergangenen 200 Jahren, also seit es eine bewusste Entscheidung zur Partnerschaft gibt und nicht arrangiert geheiratet wird. Die Bedingungen für dieses Zusammensein aber sind andere, schon allein, weil man durch die Zunahme der Lebenserwartung geradezu gezwungen ist, länger als früher zusammen zu sein.

SZ: Aber sind nicht auch die Beziehungen an sich anders als früher?

Retzer: Die Ansprüche, was eine Beziehung, Partnerschaft oder Ehe zu leisten hat, haben sich massiv verändert. Sie sind gewachsen parallel zu Anzahl anderer Beziehungen, also zu Kollegen, Freunden, Kunden, Mitschülern. Alles, was man in diesen vielen funktionalen Sozialsystemen nicht mehr bekommt, sucht man nun in der Zweierbeziehung. Nur dort kann man ungehemmt kommunizieren.

SZ: Die Beziehung als Oase?

Retzer: Sie ist ein Ort, wo wir den Partner mit allem, was durch unsere Synapsen streicht, belästigen können. Und gleichzeitig habe ich die Pflicht, für alles, was der andere mir zumutet, ein Gehör zu haben. Das aber überfordert und überfrachtet die Liebesbeziehung.

SZ: Diese vielen neuen Sozialsysteme bedeuten auch mehr Wahlfreiheit, oder?

Retzer: Die Illusion der Freiheit hat tatsächlich zugenommen, also die Vorstellung, wir könnten alles Mögliche erreichen, das Schönste, das Beste. Ein Ausdruck dafür sind die Partnerbörsen, die es überall gibt. Sie schüren die Illusion, man könnte mit der richtigen mathematischen Formel die maximierte, optimale Paarbeziehung erreichen. Früher musste man nehmen, was im Nahbereich auf einen zukam.

SZ: Warum trennen sich beziehungsmüde Menschen in unserer Leistungsgesellschaft nicht einfach und suchen sich was Besseres?

Retzer: Weil es die Vorstellung gibt, es könnte noch was zu machen sein mit dem Partner. Schließlich hat man, ökonomisch betrachtet, etwas in ihn investiert. Zeit, Emotion, vielleicht auch Geld. Paartherapie ist unter diesen Umständen Teil einer Optimierungsillusion. Man will die Beziehung runderneuern, oder noch häufiger: den Partner runderneuern lassen, zur Herstellung des Maximums.

SZ: Ihre Klienten kommen zu Ihnen, damit sich was ändert an ihrer Beziehung, das ist doch nachvollziehbar.

Retzer: Aber in Wirklichkeit ist es meist so, dass sich schon etwas in der Beziehung verändert hat und diese Veränderung mit der Therapie rückgängig gemacht werden soll. Der ursprüngliche Zustand soll per Reparatur wiederhergestellt werden. Dabei hat die Paartherapie den Auftrag, die Paare mit dem notwendigen Scheitern dieser Illusionen zu konfrontieren.

SZ: Mein Gott, Sie zeichnen ja ein schreckliches Bild unserer heutigen Lebenswelt.

Retzer: Dabei ist es keineswegs so, dass früher alles besser gewesen wäre. Ich glaube, mit so einer absoluten Feststellung sind wir auf dem Holzweg. Denn trotz all der Scheidungs- und Trennungsstatistiken gab es noch nie in der Geschichte so viele Menschen, die mit ein und demselben Partner so lange zusammenleben wie heute. 60 Prozent aller Deutschen leben in einer eheähnlichen Partnerschaft. Und 60 Prozent von denen mehr als 45 Jahren. Da stellt sich die Frage: Was machen die richtig?

SZ: Sagen Sie's uns.

Retzer: Sie gehen mit Veränderungen klug und vernünftig um. Ich nenne das die Widerfahrniskompetenz. Das ist auch mein Ziel bei der Paartherapie: Die Klienten sollten nicht die Maximierung, nicht die Optimierung suchen, sondern akzeptieren, was ihnen widerfährt.

SZ: Sie geben sich dem Schicksal hin?

Retzer: Nicht nur dem Schicksal, sondern auch Partner und Beziehung. Das ist nicht so einfach in Zeiten, in denen man für sein Glück selbst verantwortlich ist, in denen man was aus seinem Leben machen muss, in denen jeder eine Ich-AG ist.

SZ: Man sollte anspruchloser sein?

Retzer: Stellen Sie sich eine Beziehung als Kunstwerk vor, das auf zwei Wege entstehen kann. Bei dem einen malt ein Maler seine Vorstellung auf eine weiße Leinwand. Bei dem anderen haut ein Bildhauer Stücke aus einem Marmorblock. Aus meiner Sicht ist eine erfolgreiche Paarbeziehung mit der zweiten Form zu vergleichen. Das Hinzufügen von Ansprüchen und Vorstellungen klappt nicht so gut wie das Weglassen.

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