Paare im Urlaub:Streit am Strand

Beziehungsstress am Meer

Streit statt Harmonie: Pärchenurlaub kann kompliziert sein.

(Foto: timbec/Photocase)

Auf Reisen gibt es reichlich Anlass für Beziehungsknatsch. Denn wann sonst sind Paare 24/7 zusammen? Da will die eine Ruinen anschauen, der andere aber lieber Schaufenster. Er will alles planen, sie fährt lieber einfach los. Und die wieder anderen wünschen sich Zweisamkeit, haben aber ihre Kinder dabei. Eine Typologie der Urlaubspaare - mit Tipps vom Experten.

Von Lena Jakat und Felicitas Kock

Die schönste Beschäftigung im Urlaub ist ja das Beobachten der anderen Urlauber. Da sind oft Paare zu sehen, die sich anschweigen, Paare, die über die Frage nach "Shoppen oder Steine?" einen Kleinkrieg beginnen oder Familien, die heillos im Chaos versinken. So manches urlaubsbedingte Beziehungsproblem kennt man auch aus der eigenen Erfahrung.

Wir haben eine Typologie der Urlaubspaare und ihrer Probleme erstellt - und einen Experten nach Lösungen befragt. Der Essener Psychologe Rüdiger Wacker berät seit 20 Jahren Paare in Krisensituationen.

Die Verzweifelten

So sind die Verzweifelten: Womöglich wären sie schon längst getrennt, hätten sie nicht schon vor Monaten diesen Urlaub gebucht und nur an der Reiserücktrittversicherung gespart. Das Familienleben hat sich längst in einen einzigen Kleinkrieg verwandelt: Wer bringt den Müll runter? Wer geht zum Elternabend? Und warum muss überhaupt immer nur er den Abwasch erledigen? Ist unter diesem ganzen Hickhack noch genug vergraben, um die Beziehung weiterzuführen? Darüber soll der Urlaub entscheiden, er wird quasi zum jüngsten Gericht in Sachen Ehe erhoben. Die Reise wird symbolisch aufgeladen, zentnerschwer und bis in den letzten Winkel.

Dahin reisen sie: Entweder an einen Ort aus ihrer Vergangenheit, der mit Bedeutung überfrachtet ist - an das Ziel der ersten gemeinsamen Reise, an den Ort, an dem das erste gemeinsame Kind gezeugt wurde, den Ort, an dem sie einst aus einem gemeinsamen Coktailglas geschlürft haben. Oder an einen Ort, der qua Werbeindustrie und popkulturellem Mythos untrennbar mit ewiger Liebe verbunden ist. Paris, natürlich. Venedig. Las Vegas. Oder ein einsamer Sandstrand in der Karibik.

Das Problem: Selbst wenn der Urlaub die Lösung aller Probleme zu sein scheint, wenn er nur so strotzt vor Harmonie und Wohlgefühl, nach ein paar Wochen ist er vorbei. Und dann muss man sich aufs Neue einigen, wer den Müll runterbringt.

Das rät der Paartherapeut: "Nicht wie beim Glücksspiel alles auf eine Karte setzen. Es ist möglich, dass man die Basis der Beziehung bei einem gemeinsamen Urlaub wiederfindet. Wenn nicht, kann sie trotzdem noch da sein. Wichtig ist, sich bewusst zu machen, dass die Arbeit an der Beziehung nach den Ferien erst richtig losgeht. Das Paar muss lernen, Konflikte besser zu besprechen. Wenn man das bedenkt, kann ein Urlaub eine gute Gelegenheit sein, um für diesen Lernprozess Kraft zu tanken."

So sind die Organisationsexperten: Urlaub ist für sie nicht Entspannung oder Abenteuer, sondern ein Projekt. Monatelang werden Flugportale im Netz verglichen, Reiseführer studiert und ein minutengenaues Programm erstellt. Er vertieft sich Abend für Abend in die Schriftzeichen der südvietnamesischen Bahngesellschaft, sie verbringt Tag für Tag ihre Mittagspause in Reiseforen, um den Drei-Tages-Ausflug in den Dschungel bezüglich Kosten und Erlebnisfülle zu optimieren.

Dahin reisen sie: Egal, Hauptsache, es ist eine Herausforderung. Mit dem Auto über den Brenner fahren kann schließlich jeder. Beliebt sind Individual- oder Rucksacktouren nach Fernost oder Südamerika. Bloß nicht in die USA oder Europa: Da sprechen ja alle Englisch!

Das Problem: Am Abreisetag hat die S-Bahn zum Flughafen Verspätung. Mit einem Sprint erreichen sie zwar den Flieger, doch in Nepal angekommen, bleibt der Fernbus auf dem Weg von Kathmandu in das unberührte Bergdorf liegen, sie müssen vor Ort übernachten. Der Plan gerät aus den Fugen, die Organisation weicht Chaos und blankem Stress. Ein Funke genügt, um eine handfeste Beziehungskrise auszulösen.

Das rät der Paartherapeut: "Je detaillierter die Planung, desto wahrscheinlicher ist eine Abweichung. Oft hilft es schon, großzügige Zeitfenster und Alternativen einzuplanen. Man sollte Überraschungen zudem nicht als Kränkung auffassen, sondern als das, was sie sind - Überraschungen. Und sich das berühmte Zitat von John Lennon vor Augen führen: 'Leben passiert während du etwas anderes planst.'"

Die Anschweiger

So sind die Anschweiger: Wenn das Klingeln des Weckers das Paar morgens aus dem entspannten Urlaubsschlaf reißt, wird es für lange Zeit das einzige Geräusch zwischen den beiden sein. Am Frühstückstisch beugt sich jeder schweigend über seinen Teil der Zeitung, im Bus zur nächsten Sehenswürdigkeit saugen sich die Blicke still an der unbekannten Landschaft fest, beim Cocktail auf der Hotelveranda checkt er seine Mails auf dem Smartphone, sie starrt gedankenverloren ins Leere. Morgens, mittags, abends nichts als Sprachlosigkeit. Je länger sie anhält, umso schwieriger wird es, sie zu durchbrechen. Nur Floskeln gelingen, doch entstehen aus ihnen selten Gespräche. Weist sie auf die schöne Landschaft hin, nickt er nur bejahend. Macht er auf den außergewöhnlichen Drink aufmerksam, sagt sie allenfalls, ein tieferes Wissen offenbarend: "mit Zitrone". Dann gehen beide früh zu Bett. Im Schlaf ist die Stille weniger laut.

German Alps Draw Summer Tourists

Schweigen kann schön sein - oder anstrengend. 

(Foto: Getty Images)

Dahin reisen sie: An Orte, an denen es viel zu sehen und zu erleben gibt - und an denen der Geräuschpegel möglichst hoch ist. Großstädte aller Art kommen in Frage, aber auch Besuche bei ausgewanderten Bekannten. Sie haben wenigstens etwas zu erzählen.

Das Problem: Zuhause ereifert sich das Paar über zahllose Banalitäten: Was machen die Nachbarn, warum ist die Müllabfuhr diesen Mittwoch nicht gekommen, wo war der 16-Jährige Sohn die ganze Nacht, wann muss das Auto zum TüV? Doch im Urlaub, wenn das Paar 24/7 zusammen ist, reicht das Kleinklein des Alltags nicht aus, um einen ganzen Tag zu füllen - es wäre Zeit für die tieferen Fragen des Lebens. Für stundenlange Diskussionen über Gott, die Welt, die Zukunft. Davor schrecken die "Anschweiger" zurück und machen es sich stattdessen in der Stille bequem.

Das rät der Paartherapeut: "Wenn das Schweigen nicht mehr entspannend und erholsam ist, sondern man den liebevollen Austausch mit dem Partner vermisst, dann sollte man dieses Problem schon zuhause angehen. Sehr hilfreich ist, eine feste Paarzeit in der Woche einzuplanen. Zwei Stunden zum Beispiel, während der man mal nicht über die Wohnung spricht, über das kaputte Auto, die Kinder. Sondern am besten über die Gefühle, die Beziehung. Das ist am Anfang vielleicht komisch, aber wenn man das zu Hause einübt, klappt es auch im Urlaub besser."

Die Chaoten

So sind die Chaoten: Mitte Juni fällt dem Chaospaar ein, dass es eigentlich auch mal in den Urlaub fahren könnte - dann soll so schnell wie möglich gebucht werden. Bei einem Reiseanbieter finden sie die Möglichkeit, für wenig Geld an eines von sechs Zufallszielen zu fliegen. Am Flughafen ist klar: Die Reise geht nach Sardinien, der Flug in zehn Minuten. Bei ihr stellt sich die erste Gereiztheit ein. Spontan schön und gut, aber das ist ja Harakiri! Da klingen auch schon ihre beiden Namen aus dem Lautsprecher. Was für ein freundlicher Empfang, obgleich der Mann am Mikrofon, der mit dem nahenden Abflug der betreffenden Maschine droht, etwas gehetzt klingt. Während sie - inzwischen hypernervös - mit einem Puls von 180 zum Gate jagt, joggt er entspannt nebenher.

Dahin reisen sie: Wohin der Wind, das Wetter oder der erstbeste Reiseanbieter sie trägt. Ob Strandurlaub in Sardinien, Fjord-Wanderungen in Norwegen oder Rafting in Laos - Chaotentouristen sind auf nichts wirklich vorbereitet und deshalb für alles gleichermaßen offen.

Das Problem: Chaoten auf Reisen erleben wohl die meisten Abenteuer, machen es sich mit ihrer Planlosigkeit aber oft unnötig schwer. Schwierig wird es dann, wenn Partner A eine Nuance weniger verplant ist als Partner B und genervt reagiert, wenn er nicht abfliegen kann, überall zu spät kommt - und sich ständig um den anderen kümmern muss.

Das rät der Paartherapeut: "Die Unterschiedlichkeit im Chaosniveau kennen die beiden wahrscheinlich schon aus dem Alltag. Das Wichtigste und zugleich Schwierigste ist, nicht absolut zu argumentieren, also nicht zu sagen: '20 Minuten zu spät kommen, das macht man nicht.' Sondern zu sagen: 'Das mag für dich normal sein, aber mich ärgert eine Verspätung von mehr als 15 Minuten.' Sich diese Unterschiede bewusst zu machen und versuchen sie zu akzeptieren, sollte man am besten schon vor der Abreise geübt haben."

Die Unvereinbaren

So sind die Unvereinbaren: Völlig versunken in den Anblick eines vorchristlichen Mosaiks schwärmt er beseelt von den Festen, die hier stattgefunden, den antiken Riemchensandalen die hier langgeschlurft, den edlen Togen, die hier den Boden gestreift haben müssen. Erst als er eine Kunstpause macht und sich - Bestätigung suchend - nach der Gattin umsieht, bemerkt er, dass die vermeintliche Zuhörerin längst verschwunden ist und an den Souvenirständen nach passenden Mitbringseln sucht. Die Unvereinbaren gibt es außer im Modell Steinbeschauer/Shoppingqueen in diversen Variationen: Strandfan/Bergziege, Rucksack-Tramper/Pauschaltourist, Mit-Einheimischen-Anbandler/Fremdes-Land-distanziert-Beobachter und so weiter und so weiter.

Dahin reisen sie: Wenn sie sich überhaupt auf einen Ort einigen können (oder sich einer von beiden durchsetzen kann), dann ist es einer, der alle Widersprüche irgendwie vereint. Wo die Ruine quasi direkt neben dem Shoppingzentrum liegt. Wo es nur ein paar Meter zum Strand sind und täglich Auflüge zum Raften, Fallschirmspringen oder Krokodilringen angeboten werden. Wo es Currywurst und Schafskopfeintopf gibt.

Das Problem: Solche völlig widersprüchlichen Orte existieren eher weniger. Und selbst falls die Unvereinbaren sie finden (herzlichen Glückwunsch!): Am Ende war er zwei Wochen Golfen und sie zwei Wochen Reiten. Gemeinsame Erlebnisse? Der Flug und das Abendessen. Wenn sie dann schon vom Sonnenuntergangsritt zurück ist.

Das rät der Paartherapeut: "Vielleicht sind beide ja ganz zufrieden damit, Zeit allein zu verbringen, vielleicht sind sie ein 24-Stunden-Paar, das gemeinsam lebt und arbeitet. Wenn sie trotz widersprüchlicher Interessen Zeit gemeinsam verbringen wollen, kann es helfen, genaue Absprachen zu treffen. Dass das Paar abwechselnd je einen Tag getrennt und einen gemeinsam verbringt, zum Beispiel. Oder, dass man sich eine Stunde vor dem Abendessen trifft, um sich über den Tag auszutauschen."

Die Harmoniesüchtigen

Ostseeurlauber im Regenbogen Camp Prerow

Wunderbar! Großartig! Fantastisch! (ist es in der Realität eher selten.)

(Foto: picture-alliance/ dpa)

So sind die Harmoniesüchtigen: Wie in der Werbung, die turtelnde Paare an Sandstränden/in Hotelpools/auf spektakulären Aussichtsplattformen zeigt. Sie überbieten sich gegenseitig im Bekunden der Faszination füreinander und für den Strand/den Pool/die Aussicht. "Ist dieser antike Tempel nicht toll, Schatz?" "Ja, Schatz, er ist eindrucksvoll!""Nicht wahr Schatz? Atemberaubend!" Die zwei Wochen zwischen Tempel und Sand verbringt dieses Paar mit dauerhaft ineinander verschlungenen Fingern oder der Hand in der Gesäßtasche des anderen. Deutlich zu erkennen gibt sich dieser Typus auch bei Fotoabenden für Freunde, in deren Anwesenheit das gesamte Süßholz-Vokabular noch einmal abgespult wird.

Dahin reisen sie: Vorzugsweise ans Meer oder in andere Landschaften, die schön und still genug sind, um ausreichend Gelegenheit und Raum für Begeisterungsrufe zu bieten. Überall dorthin, wo es köstlich! traumhaft! paradiesisch! ist.

Das Problem: Das Paradies ist nun mal nicht von dieser Welt. Selten ist das Farbenspiel des Sonnenuntergangs bei einem zweiwöchigen Paarurlaub immer gleich spektakulär und Verliebtheit und Harmonie gleichbleibend perfekt. Wenn das Hotelbett unerträglich knarzt, wenn der Partner mit Übelkeit danieder liegt, wenn es regnet oder sich der Urlaub sonstwie vom vollkommenen Ideal entfernt - was fast zwangsläufig so ist - droht Zwietracht.

Das rät der Paartherapeut: "In der ersten Verliebtheitsphase gelingt es spielend, einen absoluten Traumurlaub zu verbringen. Da ist der Körper hormonell noch total verseucht. Eine Wiederholung dessen ist später sehr unwahrscheinlich. Aber der Spielraum zwischen Perfektion und Katastrophe ist durchaus beachtlich. Hinter dem Perfektionsanspruch steckt oft Unsicherheit oder Angst vor Unvorhersehbarem. Gegen diese Furcht sollte man sich wehren. Denn wenn man Herausforderungen meistert, kann man stolz auf sich und den Partner sein, hinterher die besten Geschichten erzählen - und die Beziehung kann dadurch reifen."

Die Familienurlauber

Die Familienurlauber

So sind die Familienurlauber: Von wegen Entspannung und Kulturgenuss! Beim Italienurlaub kreisen die Tage ausschließlich um die Windpocken der Kleinen (aua, aua, aua) und die Nahrungsbeschaffung für deren großen Bruder (Ich hasse Pizza mit Pilzen. Ich will aber Pommes. Zitroneneis ist blöd). Dabei soll im Urlaub doch endlich mal die Erinnerung an die prähistorischen Zeiten aufgewärmt werden, als man noch zu zweit war. Bei einem Glas Wein, wenn die Kinder schlafen. Bei verschlossener Tür, wenn die Kinder nebenan schlafen. Deswegen haben manche Eltern sogar noch ein weiteres Familienmitglied dabei, die Großmutter zum Beispiel oder eine Tante. Doch auch das hilft nicht gegen alles.

Dahin reisen sie: In ein "Familotel" im Bayerischen Wald zum Beispiel. Wo einen auf der Startseite als erstes fröhliche Kinder und lachende Babys begrüßen und von Lagerfeuer bis Modenschau und Ponyreiten alles für die liiieben Kleinen geboten ist. Oder in eine ähnliche Institution an einem beliebigen Ort auf der Welt. Hauptsache, Hotel und Verwandtschaft ergänzen sich lückenlos in der Kinderbetreuung.

Das Problem: Es gibt es nun einmal Situationen, in denen nach Mamaaa und Papaaa geplärrt wird, und zwar erbarmungslos, in denen weder Opa noch die Kinderbetreuungstante helfen. Wenn den Eltern dann noch nicht klar ist, dass die Idee von der Zweisamkeit in einem Familienhotel eine Illusion ist, folgt diese Erkenntnis spätestens im Speisesaal, wo sich Mama und Papa im quietschbunten Ambiente zwischen den kreischenden Kindern anderer Eltern wiederfinden.

Das rät der Paartherapeut: "Das Entspannungslevel, das sich in einem Urlaub mit Kindern erreichen lässt, ist naturgemäß begrenzt. Wenn es Betreuungsmöglichkeiten gibt, ist das ein seltener Luxus, den man genießen sollte! Und wenn die Kleinen nach den Eltern schreien, muss man ihnen beibringen, dass es wie in der Kita oder der Schule ist - und Mama und Papa erst am Nachmittag zurück kommen. Außerdem ist es wichtig, eine erholsame Wohnsituation zu haben, in der sich die Eltern auch mal zurückziehen können, zum Beispiel in einer Ferienwohnung."

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