Dem Geheimnis auf der Spur:Die verhängnisvollen Kaffeebohnen

Dem Geheimnis auf der Spur: Vier Tage lang kämpfte die Besatzung um ihr Schiff, dann sank die "Vrouw Maria" im finnischen Schärenmeer.

Vier Tage lang kämpfte die Besatzung um ihr Schiff, dann sank die "Vrouw Maria" im finnischen Schärenmeer.

(Foto: The National Board of Antiquities in Finland)

Seit dem Untergang der "Vrouw Maria" in der Ostsee 1771 rätselt man über ihre Ladung. Wo sind die wertvollen Barockgemälde, die der Zarin gehörten?

Von Rudolf von Bitter

In den Siebzigerjahren stieß der Historiker Christian Ahlström bei Recherchen zu gesunkenen Schiffen im Archiv des Gerichts von Turku, einst Hauptstadt der schwedischen Provinz Finnland, auf einen Seeprotest von Reynoud Lourens, Kapitän des Handelsschiffs Vrouw Maria. Die eidesstattliche Erklärung stammte vom 23. Dezember 1771. Der holländische Zweimaster war wenige Wochen zuvor untergegangen. "Ein paar der Frachteigner", berichtet Ahlström, "hatten ihre Ware für den Seetransport nach St. Petersburg versichert, aber leider gab es keine Angaben, was weiter damit passiert war."

Außer diesem Verklarungsbericht konnte er noch das Logbuch des Kapitäns einsehen. Die Vrouw Maria hatte sich auf dem Weg von Amsterdam durch den Öresund im Sturm verirrt und fuhr geradewegs ins finnische Schärenmeer südwestlich von Turku mit seinen winzigen Inseln und tückischen Untiefen. Am 3. Oktober erschütterte ein Stoß den Rumpf, aber das Wasser hob das Schiff wieder vom Boden ab. Dann stürzte ein Brecher auf das Ruder, und das Schiff war führungslos und stieß nun fester auf Grund. Vier Tage lang arbeitete die Mannschaft an den Pumpen. "Dann", fährt der Verklarungsbericht fort, "blockierten Kaffeebohnen die Pumpen." Die Seeleute gaben auf. Was sie tragen konnten, brachten sie an Land, Minuten später sank das Schiff.

Auf der Liste des dänischen Zolls fehlten die Kunstwerke

Im Frühjahr 1772 berichtete eine Petersburger Zeitung über den Verkauf der geretteten Kaffeebestände. Graf Nikita Panin, Außenminister des Zarenreichs, wandte sich daraufhin in einer "ungewöhnlichen Angelegenheit" an den schwedischen Hof mit einem Brief, den Ahlström im finnischen Staatsarchiv fand: "Es ging darum, dass ein holländisches Schiff mit Kunstwerken, die der russischen Zarin gehörten und nach St. Petersburg geliefert werden sollten, in einem Sturm im Archipel südwestlich von Finnland gekentert war und ,zahlreiche Kisten mit Gemälden aus dem Besitz der Kaiserin' mit sich genommen hatte, die sie hatte ersteigern lassen." Die Nachricht, dass sich wertvolle Kunstwerke an Bord befunden hatten, löste eine Diskussion über das Wrack aus, die bis 1773 anhielt. Damals herrschte der schwedische König über Finnland, sein Botschafter in Sankt Petersburg und Christoffer Johan Rappe vom finnischen Bezirk Turku und Pori machten ihrerseits Ansprüche geltend. Dazu war das Schiff holländisch - auch dort regte sich Begehrlichkeit.

In Amsterdamer Auktionslisten und in einer niederländischen Dissertation fand Ahlström Hinweise auf die Gemälde auf dem Schiff. Katharina II. hatte sie durch einen Gesandten in Holland aus dem Nachlass des holländischen Kunstsammlers Gerrit Braamcamp ersteigern lassen: von Paulus Potter das beliebte Motiv von Rindern vor Landschaft (für 9050 Gulden), von Gerard ter Borch eine Frau bei ihrer Toilette (1870 Gulden), ein Triptychon von Gerard Dou (14100 Gulden), weitere Bilder von Gabriel Metsu und auch Werke von Philips Wouwerman, dessen Arbeiten im 18. Jahrhundert in ganz Europa gefragt waren.

Doch das Schiff blieb unauffindbar. Ahlström untersuchte die Zollregister von Helsingör. In der dänischen Hafenstadt forderte der Zoll von den Schiffen, die hier auf der kürzesten Ostsee-Route fuhren, eine Abgabe, den Sundzoll, und kontrollierte deshalb regelmäßig die Schiffe. Und tatsächlich war die Ladung der Vrouw Maria akribisch notiert worden: unter anderem 5562 Pfund Zucker, 4700 Pfund brasilianisches Holz, 1220 Pfund Baumwolle, 3250 Pfund Indigo, ein halbes Fass Hering, zentnerweise Zink und mehr. Ausgerechnet die Gemälde fehlten jedoch auf dieser List. Doch das heißt nicht, dass sie nicht an Bord waren. Königliche Eigentümer waren ausgenommen vom Sundzoll. So hatten die Kisten mit Katharinas Kunstwerken wahrscheinlich unkontrolliert den Zoll passieren können.

Der Fund des Wracks war eine Sensation

Im Jahr 1999, mehr als zwei Jahrhunderte nach dem Untergang, wurde das Wrack der Vrouw Maria mit der neuen Technik des Seitensichtsonars in 41 Metern Tiefe entdeckt, in der Nähe der kleinen Insel Jurmo. Eine Sensation, und weil das Wasser der Ostsee besonders stark konservierend wirkt, war das Schiff erstaunlich intakt. Taucher inspizierten das Wrack, trauten sich aber nicht hinein in der Befürchtung, sich in den durcheinandergeratenen Frachtstücken zu verheddern. Zu sehen waren Fässer, Kisten und verwirbelte Stellagen. Hier vermutete man auch die Kisten mit den Gemälden.

Sofort ging die Diskussion wieder los, wem Schiff und Inhalt gehören sollten. Die SZ berichtete 2008, dass Marian Paschke, Professor am Hamburger Institut für Seerecht, der Ansicht sei, "dass der russische Staat Eigentümer geblieben ist. Andererseits hängt es auch davon ab, inwiefern das Schiff vom Kapitän und der Besatzung vernachlässigt und als Eigentum aufgegeben wurde. Dann hätte Finnland womöglich zumindest finanzielle Ansprüche". Der Präsident der russischen Stiftung zur "Rettung nationaler kulturhistorischer Werte" machte sich für die Bergung stark. Aber er starb 2017.

Doch inzwischen wollten auch die Finder an der Ausbeute beteiligt sein, wenn das Schiff gehoben werde. Sie klagten durch alle Instanzen bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - vergeblich. Das finnische Kultusministerium legte fest, das Schiff habe "in situ" zu verbleiben. Es wurde ein interdisziplinäres Unterwasser-Forschungsprojekt "Vrouw Maria" aufgelegt. Proben der Ladung wurden geborgen und analysiert: Sie bestätigten die Zoll-Liste von Helsingör.

Als Nächstes entwickelte das Baltic Rim Project Prinzipien und Handlungsvorgaben, wie mit dem maritimen Kulturerbe umzugehen sei, daraus entstand 2017 das Maritime Cultural Heritage Management Project. Von einer Bergung des Schiffs oder der Ladung ist da schon nicht mehr die Rede, vielmehr von der "Unterwasserlandschaft" der Vrouw Maria. So wird wohl, wie Allison McNearny 2018 im Daily Beast schrieb, Paulus Potters "Große Rinderherde" weiterhin am Grund der Ostsee weiden - wenn sie denn auch wirklich dort ist.

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