Diesmal war’s besonders knifflig, fanden viele Löserinnen und Löser: sowohl die sieben Rätselfragen als auch die Suche nach dem Osterei. Versteckt war es in den Mauerresten einer abgerissenen Mühle im Taubertal. „Das Gefühl, es wirklich in der Hand zu halten, war unbeschreiblich“, schrieb eine Finderin – „nach fünf aufregenden Tagen.“
1. Der wortgewandte Vogel
Seltsame Gesänge drangen aus diesem Käfig, etwa: „Flüssigkeit, bei deren Gewinnung Geigenbogenharz abfällt“ oder „Werkzeug zum Entfernen einer Kerzenschnuppe“. Um den verkohlten Docht abzuschneiden und aufzufangen, gibt es Putzscheren mit löffelartig eingekuhlten Schneiden. Und die beschriebene Flüssigkeit war Kienöl: Es verdampft, wenn man Kiefernharz destilliert; zurück bleibt Kolophonium, womit man Geigenbögen bestreicht. So weit, so gut – aber welcher Vogel singt von Putzscheren und Kienöl?

Buchfinken tun das, jedenfalls in den Ohren ihrer Liebhaber. Einzelne Finkenschläge, also wiederkehrende Gesangsmuster, haben Namen bekommen, die aus dem Gezwitscher einzelne Wörter heraushören wollen: Ein angebliches „zizizizizizizizizizizirrrrrrrbräutgamgíe“ wird als „Bräutigam“ bezeichnet. Andere Schläge heißen eben „Putzschere“ und „Kienöl“ – so beschrieb es 1835 der Naturkundler Harald Othmar Lenz, und so übernahmen es Werke wie Brehms „Thierleben“. Wobei man einzelne Rufe nur lokal hören kann: Lenz berichtete aus einer Region nahe dem Harz, wo noch heute „Finkenmanöver“ stattfinden, so heißen die Wettkämpfe, wessen Finken am dollsten schlagen.
Die weiteren Schläge im Rätsel waren der „Weida“ (in der gleichnamigen Stadt residierten die Vögte, nach denen das Vogtland heißt), das „Werre“ (mancherorts wird die Maulwurfsgrille so genannt) und der erwähnte „Bräutigam“ (der Rätseltext bezog sich auf das bekannte Lied von der Vogelhochzeit). Der gesuchte Finkenschlag mit den zwei Umlautbuchstaben war das „WÜRZGEBÜHR“, in voller Länge: „ziziteuteuteutezellllljoteuzipiah“.
2. Die verdrehten Fünfbuchstaber
Haben Sie jemals eine Schorlemorle bestellt? Kaum jemand kennt noch diese ursprüngliche Form, weil sie Anfang des 20. Jahrhunderts zur Schorle verkürzt wurde; im Duden stehen noch beide Varianten. Im Rätsel gefragt war der nicht selbstständig vorkommende Wortteil, also …morle.
Vom Pflanzensamen, der „vierzig teiltextile Haushaltsgegenstände wirkungslos gemacht haben soll“, liest man in Hans Christians Andersens „Die Prinzessin auf der Erbse“: Durch zwanzig Matratzen und zwanzig „Eiderdaunen-Betten“ hindurch spürt sie schmerzhaft diese einzelne Erbse, Gattungsbezeichnung: Pisum.

Und was „ein Nobelpreisträger angeblich durch Glockenklänge auszulösen vermochte“, ist zum festen Begriff geworden – der Pawlow’sche Hund dient in Merriam-Websters Wörterbuch sogar als Beispielsatz für das gesuchte englische Verb: „The dog hears the bell and begins to drool.“
Sortiert man die jeweils fünf Buchstaben in morle, Pisum und drool neu, bilden sie eine bekannte Wortfolge: „Lorem ipsum dolor …“, so beginnt der wohl bekannteste BLINDTEXT. Er dient als Platzhalter für die Gestaltung von Seiten, deren eigentlicher Text noch nicht vorliegt.
3. Die vielsagenden Häkchen
Zwei Frauen, ein gemeinsamer Nachname. Zu sehen war nur das obere Drittel, doch das verriet schon einiges: Die beiden Háčeks, also die diakritischen Häkchen, deuteten auf eine slawische Sprache. Eher aus Skandinavien kennt man den Kringel auf Vokalen, doch eine slawische Sprachen verwendet ihn ebenfalls: Die beiden Damen mussten Tschechinnen sein.
Und eine davon wohl Cembalistin, denn das Rätsel sprach von einem „Zupfinstrument, das oft nicht als solches bezeichnet wird“: Zwar gilt das Cembalo als Tasteninstrument, doch schlägt kein Hämmerchen gegen die Saite, vielmehr zupft ein Plektrum daran. Die gesuchte Virtuosin war Zuzana Růžičková, die 2017 in zwei Überschriften der SZ genannt wurde: im Januar zum neunzigsten Geburtstag, im September erschien ihr Nachruf.

Die Schauspielerin gleichen Nachnamens war die Komödiantin Helena Růžičková, dem deutschen Publikum bekannt als Kleinröschen, die wallend gewandete Wuchtbrumme im Weihnachtsfilm „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“: Auf dem Ball nötigt sie den Prinzen zum Tanz, bis Aschenbrödels Stiefschwester DORA ihr den jungen Mann ausspannt.
4. Die geschlossenen Lande
Wenn man in der Grundschule lernt, dass jeder Regenguss über kurz oder lang ins Meer fließt, dann mag das hierzulande stimmen. Doch auf einem Viertel der weltweiten Landfläche verhält es sich anders: Etliche Landsenken und Becken steigen ringsum an, so dass kein Wasser hinausfließen kann – oder die Gegend ist so heiß, dass alles verdunstet, ehe es die Küste erreicht. Solche Gebiete bezeichnet man als ENDORHEISCH (vom griechischen Wort für fließen, wie in der Redewendung panta rhei). Das größte erstreckt sich von Georgien bis in die Mongolei, darin ruht das Kaspische Meer als abflussloser Endsee.

Auf der Landkarte im Rätsel, das war ein entscheidender Hinweis, berührten die roten Flächen nirgendwo eine Küste: Dargestellt waren die endorheischen Gebiete Afrikas. Der Umriss zwischen Angola und Botswana konnte einem sogar bekannt vorkommen, hier liegt das Einzugsgebiet des Okawango. Sein Delta ergießt sich nicht ins Meer, sondern zerfächert sich ins weite Land, das Wasser verdunstet. Je nachdem, ob eine Karte auch arheische Gebiete dazuzählt (wo gar kein dauerhaftes Oberflächenwasser fließt, somit auch nicht ins Meer), bleiben manche Flächen ausgespart: Libyen zum Beispiel hat oberirdisch keine ganzjährigen Flüsse.
Die im Rätsel erwähnte „körpereigene Substanz“ war übrigens Endorphin: Stünde das Wort endorheisch im Duden, wäre es unmittelbar davor einsortiert.
5. Das göttliche Zahlenraster
Neun mal neun Felder, das sah nach einem Logikrätsel aus. Allerdings fehlte die Anleitung. Die Zahlen reichten von 1 bis 10, ein Sudoku war es also nicht. Was dann?

Zwei Beobachtungen halfen weiter: Die vorgegebenen Zahlen addierten sich auf 81, just so viel, wie es Felder gab. Und während die Einser teils eng beisammen standen, hatten die Zehner mehr Luft um sich. Beides passte zu einem weniger bekannten Logikrätsel: Beim Shikaku soll man das Spielfeld so in Rechtecke aufteilen, dass in jedem genau eine Zahl sitzt – und diese gibt an, wie viele Kästchen das jeweilige Rechteck umfasst.
Tatsächlich ließ sich das Rätselraster auf diese Weise eindeutig zerlegen. Dass einige der Zahlen kopfüber standen, störte dabei nicht, es wurde erst am Schluss relevant: Färbte man alle Gebiete mit kopfstehenden Zahlen ein, so bildeten sie (wenn auch etwas grobpixelig) das Symbol für JUPITER. Er war die gesuchte „mächtige Erscheinung“ – einerseits als größter Planet des Sonnensystems und einer der hellsten Punkte am Nachthimmel, andererseits als oberster Gott in der römischen Mythologie.
6. Die wankelmütigen Zeiten
Früher war die Sache einfach: Ein Tag hat 24 Stunden, jede davon 60 Minuten zu 60 Sekunden, das macht 86.400 Sekunden am Tag. Und so war die Sekunde ursprünglich definiert als ¹/₈₆.₄₀₀ eines Tages – genauer: eines „mittleren Sonnentages“, jener Zeitspanne, in der sich die Erde durchschnittlich so weit um ihre Achse dreht, dass die Sonne wieder am selben Fleck des Himmels zu stehen scheint.

Bloß gab’s ein Problem mit dieser Definition: Die Erde rotiert ungleichmäßig. Das flüssige Gestein im Inneren ist ständig in Bewegung, darüber zirkulieren die Ozeane und die Atmosphäre, Polareis schmilzt und gefriert im Wechsel der Jahreszeiten, und all solche Massenverlagerungen wirken durcheinander. Für eine zuverlässige Definition der Sekunde wählte man 1967 daher ein konstanteres Naturgeschehen: die Strahlungsfrequenz von Cäsium-Atomen.
Mit dieser atomuhrgenauen Sekunde kann man wiederum die schlenkernde Erdrotation messen – und das Ergebnis war im Rätsel nachgezeichnet: die Tageslängen über zwei Jahrhunderte hinweg. Der angeschnittene Skalenwert betrug auf der Nulllinie also 86.400,000 Sekunden. Derzeit sind Atomsekunde und Erdrotation ungefähr im Einklang, doch in den Jahrzehnten nach der Neudefinition dauerten die Tage etwas länger, bis zu 86.400,003 Sekunden.
Eine winzige Abweichung, doch das läppert sich: Nach 365 Tagen summieren sich diese Differenzen schon auf gut eine Sekunde. Das wurde zum Problem auf Hoher See, denn noch in den 60er-Jahren betrieb man astronomische Navigation, errechnete die eigene Position anhand der Sterne und der möglichst exakten Uhrzeit. Um himmlische und atomare Zeit synchron zu halten, wurde seit 1972 immer wieder mal eine SCHALTSEKUNDE eingefügt, zuletzt am Neujahrsmorgen 2017: Bei uns sprangen die Uhren von 00:59:59 ausnahmsweise auf 00:59:60, erst dann auf 01:00:00 Uhr.
7. Die wertvolle Pflanze
Wie fein Vanille zum Kakao schmeckt, wussten schon die Azteken. Nach 1500 brachten die Konquistadoren das Gewürz aus Mexiko nach Europa, bald pflanzten auch Briten und Franzosen Vanilla planifolia in ihren Überseegebieten an. Doch nirgends wollte die Vanille zuverlässig ihre Fruchtkapseln bilden: Die bestäubenden Bienen oder Kolibris leben nur in Mittelamerika, so dass die spanischen Kolonialherren lange ein Monopol auf das Gewürz hielten.

Bis der zwölfjährige EDMOND ALBIUS sich die zwittrige Vanilleblüte genauer ansah. Er lebte als Sklave auf La Réunion (damals noch Île Bourbon genannt) und stellte 1841 fest: Der pollentragende Teil und die Narbe zur Aufnahme des Pollens sind nur durch eine kleine Klappe voneinander getrennt. Schiebt man diese mit einem Holzstäbchen beiseite und drückt den Rest aneinander, ist die Blüte bestäubt. Binnen Jahrzehnten lief La Réunion dem Exporteur Mexiko den Rang ab. Zu Monopolzeiten hatte man Vanille mit Silber aufgewogen, und so ist es heute wieder: Für das gemahlene Gewürz in Tütchen und Gläschen zahlt man, je nach Herkunft und Händler, zwischen 500 und 1000 Euro pro Kilogramm – ungefähr die Größenordnung des Silberpreises in den vergangenen Jahren.
Und was die Genitalien angeht, von denen das Rätsel sprach: Das Wort Vanille kommt vom spanischen vainilla, der Verkleinerungsform von vaina, was (neben Hülse und Schote) auch Scheide im Sinne von Schwerthülle bedeutet und erkennbar vom lateinischen vagina stammt. Die Vanillepflanze wiederum ist eine Orchidee, was von órchis kommt, dem griechischen Wort für Hoden: Einige Gattungen haben paarige Wurzelknollen, die an Hoden erinnern, weshalb es für Orchideen auch die Bezeichnung „Knabenkrautgewächse“ gibt.
Die gepunktete Stadt …
Mit diesen sieben Antworten konnte man nun das Schlussrätsel lösen: eine Wolke aus dreißig verstreuten Punkten, jeder mit einem Buchstaben versehen. Auch in den Antworten waren einzelne Buchstaben markiert: Bei EDMOND ALBIUS zum Beispiel stand das M in einem Kringel mit schwarzem Mittelpunkt; beim B saß der Punkt auf der Kreislinie. Dies war als bildliche Anleitung zu verstehen, im Punkt M des Schlussrätsels einen Zirkel einzustechen und um diesen Mittelpunkt herum einen Kreis zu zeichnen, dessen Linie durch Punkt B verläuft. Sieben Kreise zirkelte man so in die Punktewolke.
Außerdem waren einige Antwortbuchstaben mit Zahlen annotiert: Übertrug man sie an die entsprechenden Stellen der Grafik, zeichnete sich bereits eine Art Rundweg ab. Man musste nur noch die Punkte von 1 bis 15 verbinden – mal in gerader Linie, mal entlang der zuvor gezogenen Kreisbögen, je nach Angabe in der Verknüpfungsanleitung. Auf den Kreislinien war sinnvollerweise stets der kürzere Abschnitt zu wählen (die einzige Ausnahme war das Teilstück von 4 nach 5, in der Anleitung angedeutet durch einen Bogen in Gegenrichtung). So formte sich der Umriss, den unsere Grafik hier oben zeigt: Etwas vergröbert, doch eindeutig erkennbar hatte man die Stadtmauer von ROTHENBURG OB DER TAUBER gezeichnet. Dieser Städtename, egal ob mit oder ohne Attribut, war die Lösung des großen Osterrätsels.
… und das versteckte Osterei
Wer noch eine ganz besondere Herausforderung suchte, konnte sich persönlich auf den Weg nach Rothenburg machen und unsere Schatzkarte einpacken, um das versteckte Osterei aufzuspüren.
„Nunc est bibendum“ lautet eine bekannte Sentenz: Jetzt lasst uns trinken. Auf der Schatzkarte begann sie leicht abgewandelt: „Hic“, also „hier“. Damit war ein prominentes Gebäude am Marktplatz gemeint, die Ratsherrntrinkstube, in deren Fenstern zwei motorisierte Puppen stündlich eine Trinkszene aus der Stadtlegende vollziehen. Gleich darüber, auf der alten Sonnenuhr, konnte man ein Element der Schatzkarte wiederfinden: die charakteristisch geneigte Zahl IX unter einem Pfeil. Er deutete auf das Tierkreiszeichen Krebs, das nun in eine Art Bilderrätsel auf der Schatzkarte einzusetzen war – der Krebs über einer Bergspitze auf einer runden Scheibe. Diesem Motiv kann man im eigenen Geldbeutel begegnen: So sehen die 50-Cent-Münzen von Slowenien aus. Über dem Triglav, dem höchsten Berg des Landes, prangt das Sternbild Krebs als Verweis auf das Datum der Unabhängigkeit von Jugoslawien im Juni 1991. Aber was hat das mit Rothenburg zu tun?
Die Schatzkarte zeigte diese Münze doppelt, das ergibt 1 slowenischen Euro. Darauf ist Primož Trubar abgebildet, Herausgeber der ersten Bücher in slowenischer Sprache. Verfasst hat er sie jedoch hier, in Rothenburg ob der Tauber: Um 1550 wirkte er als Diakon in der Spitalkirche Heilig Geist, im Süden der Altstadt. Der Kirchhof trägt heute seinen eingedeutschten Namen, Primus-Truber-Hof. Wer sich dort umsah, entdeckte einen weiteren Umriss von der Schatzkarte: die spitzbogige Tür am Kirchengebäude. Sie ist übersät mit eingeritzten Initialen, viele älter als hundert Jahre. Einige davon waren auf der Schatzkarte nachgezeichnet, einige weitere durch Zahlen ersetzt. Suchte man die Tür genau ab, so fügten sich die nummerierten Buchstaben zum Wort MALEPARTVS – so heißt der Wohnbau des Fuchses in der Fabel. Das machte den nächsten Hinweis auf der Karte lesbar: „Beim Malepartus siehst Du …“, dazu die Skizze einer Inschriftstafel samt Wortlängen. Wo in Rothenburg findet man einen Malepartus?
Gemeint war nicht das ehemalige Kleinkunsttheater Fuchsbau, sondern das Fuchsloch, ein Abzweig des Fuchsengäßchens im Norden der Altstadt. Dort hängt die gesuchte Tafel: „Diese Scheune ist durch ruchlose Hand d. 27. Sept. 1897 abgebrannt. Mit Gottes Hilfe wieder erbaut von Christian Letterer u. Leonhard Weiß 1897.“ In der Skizze waren zwei Buchstaben und zwei Ziffern hervorgehoben und paarweise zusammengestellt: „a1“ und „h1“. So lauten die Koordinaten zweier Eckfelder eines Schachbretts – auf jedem der beiden steht zu Beginn der Partie ein weißer Turm. Und so einer steht auch hier in Rothenburg: Der Weiße Turm an der Georgengasse würde zum Schluss einer der Wegweiser zum Osterei werden.
Doch zunächst zurück zum Primus-Truber-Hof, wo noch der Hinweis offen war, man finde „nahebei die Wehrhafte“: Keine hundert Meter weiter schließt sich die Stadtmauer zur Spitalbastei. Wer den finsteren Doppelrundbau mit seinen Rampen, Treppen und Rundgängen erkundet, stößt auf zwei Kanonen. Eine davon trägt eine Schusstafel eingestanzt, eine ballistische Umrechnungstabelle, mit justament 26 Zeilen. Manche der Zahlenwerte waren auf der Schatzkarte wiedergegeben, sie verschlüsselten dort einen Textabschnitt. Mithilfe der Kanone konnte man ihn nun dekodieren: 2½ – 1½ – 4½ … entsprach den Zeilennummern 7 – 5 – 14 … (bei doppelt vorkommenden Werten präzisierte ein Kreuzchen, welche Zeile zu wählen sei). Und die Zeilen wiederum, es waren ja genau 26, standen für die Buchstaben G – E – N … So ließ sich der ganze Hinweis lesen: „Der Spott gab GENUA VARA ihren Namen“. Der lateinische Begriff ist die medizinische Bezeichnung für O-Beine. Laut Schatzkarte war nun etwas Ortsfestes zu suchen, das „zeigt, daß auch sie gab“ – sie, deren Name spöttisch mit O-Beinen assoziiert wurde.
Wenn es in Rothenburg einen Ort gibt, der zeigt, dass jemand etwas „gab“, dann ist es die Stadtmauer: Wer für ihren Erhalt spendet, wird auf einer Steintafel verewigt. Kilometerlang liest man auf diesem Rundweg die Namen von Privatleuten aus aller Welt, großen Konzernen, kleinen Firmen. Auch Prominente finden sich darunter – so wie Hedwig Courths-Mahler. Ihr Spendenstein nennt sie „Volksschriftstellerin“, andere Urteile lauteten weniger gnädig, schon zu ihren Lebzeiten. Die Handlungsstränge ihrer zweihundert Liebesromane gelten als so stereotyp, dass ab den 1900er-Jahren ein Spottbegriff aufkam, der heute schon wieder ausgestorben ist: O-Beine wurden auch „Courths-Mahler-Beine“ genannt – „erst haben sie sich, dann gehn sie auseinander, und dann haben sie sich wieder“, so erklärte es zum Beispiel der Dornseiff, ein Standardwerk zum deutschen Wortschatz, noch Anfang der 2000er.

Zog man eine Linie vom Weißen Turm zum Spendenstein der „Volksschriftstellerin“ (gleich beim Ruckesser, einem ehemaligen Eckturm der Stadtmauer) und schlug darauf die Mittelsenkrechte, so führte diese zu einem Ort, den die Schatzkarte mit „7 Söhne“ bezeichnete. Gemeint war ein Denkmal im Burggarten: „Dem ehrenden Andenken der im Kriege gegen Frankreich 1870–1871 gebliebenen Söhne Rothenburgs“ steht auf dem Obelisken; seine Basis nennt sieben Gefallene.
Der Rest war Geometrie: Eine Linie vom Weißen Turm hierher, geteilt im Verhältnis 7 zu 6, ergab einen Fixpunkt für die letzte Peilung, nämlich vom Spendenstein durch ebendiesen Punkt hindurch (und zwar bis zur vorhin gezogenen Mittelsenkrechte und dann ¹⁰/₇ der bisherigen Strecke weiter). Dieser Pfeil wies über die Stadtmauer hinaus, hinunter ins Tal, auf eine unscheinbare Wiese. Seit dem 16. Jahrhundert hatte hier die Stegmühle gestanden, eine der vielen, die sich im idyllischen Tal entlang der Tauber reihen. Doch vor fünfzig Jahren wurde die Stegmühle abgerissen; nur ein paar Meter steinerner Einfassung des Mühlbachs zeugen noch davon – und der Rest einer Mauer, geduckt in eine Böschung; darin eine Nische, so wie in der Schatzkarte skizziert. Gleich daneben, wo der Hügel die Mauer verschlingt, lag Deutschlands bestverstecktes Osterei.
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