Osteoporose:"Heimtückischer als ein Herzinfarkt"

Osteoporose, eine "Frauenkrankheit"? Wenige Männer wissen, dass sie zur Risikogruppe dieser mitunter tödlichen Volkskrankheit gehören.

Mirja Kuckuk

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Professor Bernhard Böhm, Leiter der Endokrinologie der Universitätsklinik Ulm, warnt davor, Osteoporose als Problem älterer Frauen abzutun. Der leise Knochenschwund ist eine Volkskrankheit, gegen die auch Männer sehr früh einschreiten müssen.

"Männer gehen weitaus seltener zur Gesundheitsvorsorge als Frauen. Zur gynäkologischen Untersuchung gehört ganz selbstverständlich das Abfragen von Risikofaktoren der Osteoporose. Gibt es Osteoporose-Fälle in der Familie? Beinhaltet die Ernährung ausreichend Kalzium? Die bisherigen medizinischen Untersuchungen beziehen sich größtenteils auf Frauen in und nach den Wechseljahren. Da es keinen 'Männerarzt' gibt, kommen männliche Patienten mit Osteoporose eher durch Zufall zu uns. Es sind Diabetes-Patienten oder übergewichtige Menschen, denn Osteoporose resultiert häufig aus anderen Krankheiten. Mangelnde persönliche Gesundheitspflege führt dazu, dass erkrankte Männer häufig schlechter dran sind, als Frauen."

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Wie erkenne ich, dass meine Knochen an Stabilität verlieren?

Bernhard Böhm: Das Problem dieser Krankheit ist, dass ihre Symptome erst deutlich auftreten, wenn bereits eine 'manifeste' Osteoporose eingetreten ist. Die mechanische Kompetenz des Knochens ist derart verringert, dass er Belastungen nicht mehr standhalten kann. Knochen und Wirbel brechen, ohne dass ein schwerer Unfall stattgefunden hat. Knochenschmerzen im Bereich der Wirbelsäule können auf Mikrofrakturen der Wirbelkörper hinweisen. Menschen mit Osteoporose stellen mitunter entsetzt fest, dass sie in ihrem Pass einmal mit 1,70 Meter gemessen wurden, jetzt aber nur noch 1,65 Meter groß sind. Dann hat bereits ein Zusammensinken der Wirbelkörper stattgefunden. Da sind wir allerdings bereits am Endpunkt der Krankheit angelangt, den wir gerne verhindern möchten.

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Wie stelle ich fest, ob ich Osteoporose gefährdet bin?

Bernhard Böhm: Der Apfel fällt bekanntlich nicht weit vom Stamm. Man muss sich also fragen, ob es Osteoporose-Fälle bereits in der Familie gegeben hat. Außerdem ist der Lebensstil zu hinterfragen: Wie ernähre ich mich, bin ich übergewichtig, treibe ich Sport? Eine phosphatreiche Ernährung vermindert die Kalziumaufnahme des Knochens - Wurst und Cola gehören dazu. Raucher und übergewichtige Menschen sind gefährdet ebenso wie Menschen mit starken Gewichtsschwankungen. Bei radikalen Abmagerungskuren kommt es zu einer Mangelernährung, die Knochenmasse schwindet. Gemäß dem bekannten Jojo-Effekt nimmt man zwar schnell wieder zu, der Knochen baut sich aber nicht mit auf.

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Worauf ist bei einer ausgewogenen Ernährung zu achten?

Bernhard Böhm: Neben dem für den Knochenaufbau wichtigen Kalzium wurde lange Zeit der allgemeine Vitamin-D-Mangel unterschätzt. 2008 wurde der bislang empfohlene Tagesbedarf nach oben korrigiert. In den USA sind bereits Lebensmittel wie Milch mit dem Vitamin versetzt. Wir müssen auf Vitaminpräparate zurückgreifen. Leider findet man heute in den Schulen eher einen Cola-Automaten, als dass Kindern und Jugendlichen frische Milch angeboten würde.

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Welche Sportart hilft, der Krankheit vorzubeugen?

Bernhard Böhm: Joggen ist besser als Fahrradfahren, Fahrradfahren besser als gar kein Sport. Am besten aber sind Ballsportarten. Bewegung ist ein mechanischer Reiz auf den Knochen, der ein ständig umgebautes Organ darstellt. Er braucht den Stimulus für den Umbau, um "mechanisch kompetent" zu bleiben. So kann er angemessen auf Belastungen reagieren. Deshalb sind Sportarten mit vielen Beschleunigungen am wirksamsten. Untersuchungen haben ergeben, dass Profifußballer auch nach dem Ende ihrer Karriere noch lange von der aufgebauten Knochenmasse zehren.

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Wie machen Sie Ihren Patienten Mut, sich zu bewegen - trotz der Angst vor Brüchen?

Bernhard Böhm: Da gibt es nur eine Möglichkeit: Wir geben dem Patienten einen Therapeuten an die Hand. Die Betroffenen haben Schmerzen, die mit Tumorschmerzen vergleichbar sind. Wichtig ist, ihnen das Vertrauen wiederzugeben, dass Bewegung förderlich ist und nicht weitere Schmerzen, sondern Entlastung bedeuten kann. Dem Patienten hilft nicht der kluge Ratschlag "Bewegen Sie sich mehr!" In einer Supervision mit einem Trainer werden alltägliche Bewegungen, wie Aufstehen und Hinlegen hinterfragt und gegebenenfalls korrigiert. Profisportler erhalten schließlich auch Anleitung. Wer wieder Vertrauen in seinen Körper gewonnen hat, geht natürlich nicht gleich joggen. Schwimmen bietet Entlastung und Bewegung zugleich. Vom Fahrradfahren wurde lange Zeit abgeraten wegen der Sturzgefahr und den Erschütterungen. Wenn man sich aber eine Strecke aussucht, die man gut beherrscht, ist auch das möglich. Selbst bei älteren Menschen beobachten wir wichtige Trainingseffekte. Es ist also nie zu spät.

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Warum erkranken so viele Menschen an Osteoporose?

Bernhard Böhm: Es gibt verschiedene Generationen mit unterschiedlichen Problemen. Die Kriegsgeneration litt jahrelang unter Mangelernährung, so auch diejenigen, die als Kinder die Nachkriegsjahre erlebten. In der Phase des Knochenaufbaus haben sie im Zweifelsfall nicht ausreichend Kalzium und Vitamin D zu sich genommen. Dann gab es eine Zeit, in der viel geraucht wurde - auch das ist ein nicht zu unterschätzender Risikofaktor. Heute ist zu beklagen, dass Kinder immer seltener draußen spielen und sich unausgewogen ernähren. Hinzu kommt, dass an den Schulen der Sportunterricht nicht ernst genug genommen wird. Diese Kinder werden die Patienten von morgen sein.

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Wie kann diese "schleichende" Krankheit verlaufen?

Bernhard Böhm: Osteoporose ist eine heimtückische Krankheit, die tödlicher sein kann als ein Herzinfarkt. Wirbelbrüche sind sehr schmerzhaft, aber nicht lebensbedrohlich. Wir behandeln jedoch pro Jahr rund 140.000 hüftgelenksnahe Brüche. Von diesen Patienten versterben bis zu 40.000. Nach einer Hüftgelenksoperation und einer Zeit der Reha-Maßnahmen entlassen wir den Patienten nach Hause. In dieser nachfolgenden Phase können schwere Komplikationen auftreten - der Betroffene kann an einer Infektion, Embolie oder einem Herz-Kreislauf-Zusammenbruch sterben. In unserer Medizin "sortieren" wir falsch: Wir registieren in diesem Fall eher einen Herzinfarkt-Toten als einen Osteoporose-Toten.

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Wie können Sie helfen?

Bernhard Böhm: Ein Patient kann durchaus eine geringere Knochenmasse und dennoch einen durchaus belastbaren Knochen haben. Um die Schwere der Erkrankung zu erfassen, sind wir auf die Knochendichtemessung und das Abschätzen der allgemeinen Risikofaktoren angewiesen. Es gibt leider noch kein Verfahren, um die mechanische Kompetenz, sprich die Belastbarkeit eines Knochens zu messen. Die Basis einer jeden Therapie sind eine kalzium- und Vitamin-D-ausgeglichene Ernährung sowie angepasste Bewegung. In schweren Fällen spritzen wir sogenannte Bisphosphonate; Hormonbehandlungen nehmen wir nicht mehr vor. Eine große Herausforderung: Machen Sie den 15- bis 20-Jährigen klar, dass sie mittels einer gesunden Lebensweise einer Krankheit vorbeugen, die sie andernfalls in 30 bis 40 Jahren zu spüren bekommen. Denn Prävention ist bei Osteoporose das A und O.

(sueddeutsche.de/Mirja Kuckuk/jja)

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